Über dem Zugang der Deutschen Nationalbibliothek am Deutschen Platz wachen, in Stein gehauen, mit strengem Blick die Häupter Gutenbergs, Goethes und Bismarcks. Obgleich offenbar nicht aus Sachsen-Anhalt gebürtig, waren sie allesamt Früharbeiter. Und jeder, der einmal in den Genuss stiller Morgenstunden in der Bibliothek gekommen ist, wird das verstehen.
Es ist bald vier Jahrzehnte her, dass auch der Verfasser erstmals scheu den ehrwürdigen Bibliotheksbau betrat, der damals noch schlicht Deutsche Bücherei (DB) hieß und jedem (Erwachsenen) für fünf Mark ein ganzes Jahr lang offen stand. Wochentags von morgens acht bis abends zehn, unerschütterlich, gleich etwa dem Petersdom in Rom (der öffnet freilich schon um sieben in der Frühe). Doch dieses eherne Öffnungs-Gesetz soll nun für die DB nach dem Willen des Nationalbibliotheksmanagements in Frankfurt am 28. Februar zweiundzwanzig Uhr außer Kraft gesetzt werden. Aus römischer Sicht würde es damit das Pontifikat Benedikts XVI. lediglich um zwei Stunden überdauern. Denn ab 1. März sollen sich die Pforten des Wissenstempels am Deutschen Platz von Leipzig hinfort immer erst ab zehn Uhr morgens öffnen.
Das nimmt sich – neben einem Papstrücktritt etwa – als Lappalie aus. Auch wird man wegen der um zwei Stunden verringerten Öffnungszeit morgens keine verendeten StudentInnen vor den verschlossenen Gittern der DB finden. Aber es ist in aller Stille ein kleines, dafür umso kontraproduktiveres Signal für den Bildungsstandort Deutschland. Ganz abgesehen davon, dass es ungewollt stabile Klischees im innerdeutschen Ranking bedient: emsiger Frühfleiß Wissenshungriger östlich der Elbe, übersättigtes spät aus den Federn Kommen, dafür zeitiger Abgang abends vor der Party westlich der Elbe. Denn die Bibliothekszentrale am Main hatte schon jeher montags bis donnerstags nur zehn bis zwanzig Uhr, freitags gar nur bis achtzehn Uhr geöffnet. Natürlich wird das eindeutig kundenunfreundlichere Frankfurter Modell in Leipzig übernommen, nicht etwa umgekehrt.Sicher, zwei Stunden Bibliotheksbesuch mehr oder weniger am Morgen “machen das Kraut nicht fett” im studentischen Überlebenskampf. Doch zu den Nutzern der Bibliothek zählen ja nicht allein vom Nachtleben gezeichnete HochschülerInnen oder verkaterte Wissenschaftler, denen ein späteres Weckerklingeln ohnehin nur recht sein kann: Die neue Regelung schränkt ganz handfest die Möglichkeit des Bibliotheksbesuch insgesamt und für alle ein, beschneidet also grundsätzlich das Bildungsangebot in unserer Stadt mit vielen Hoch- und Fachschulen.
Bestimmte Gruppen von Bibliotheksbesuchern wird das möglicherweise empfindlicher treffen, so dass diese an sich kleine Veränderung auch Chancengleichheit abbaut und letztlich Bildungsprivilegien stärkt. Und es gibt für die heute immerhin 38 Euro kostende Jahreskarte dann eine ganze Menge weniger Öffnungsstunden. Aber so wird die DB nun endlich dem Tagesrhythmus der Kommerztempel in der City gleichgeschaltet, ist es den Intelligenzstrebern hinter den Bücherstapeln genommen, sich künftig noch über die morgens in der Innenstadt erst ab zehn zum Zuge kommenden Heerscharen von Kauflustigen zu erheben. Ganz im Sinne unserer christlich-liberalen Landesregierung, die in Dresden gerade um erweiterte Öffnungszeiten von Autowaschanlagen an Sonntagen ringt. Dabei haben doch zumindest alle geneigten LeserInnen der DB jetzt an jedem Wochentag von acht bis zehn ausreichend Zeit, ihren Wagen zur Wäsche zu bringen. Das betrifft sicher auch manchen Besucher dieses Internet-Portals.
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