Wenn man ein Thema politisch nicht klären kann, braucht man verlässliche Daten und Fakten. Denn nicht nur Leipzigs Sozialbürgermeister Thomas Fabian frustriert es, wenn 15,2 Prozent der Leipziger Schulabgänger 2011 ohne Schulabschluss abgehen. Eine Rekordzahl. Aber woran liegt das? Und vor allem: Was kann die Stadt da verändern? Am Montag, 9. Juli, legte Fabian nun den zweiten "Schulentwicklungsbericht" vor.

Zumindest stellte er die wichtigsten Ergebnisse der Presse vor. Der Bericht selbst ist derzeit noch eine Lose-Blatt-Sammlung, die durch die einzelnen Fachgremien der Stadt wandern muss und im Herbst zur Vorlage in den Stadtrat soll. Auch ordentlich als Broschur gebunden soll sie noch werden, so wie der erste Bericht, der 2011 erschien und die Daten für 2010 sammelte. Was Fabian sich davon im Lauf der Zeit erwartet, ist eine echte Zeitreihensammlung. Nicht nur über steigenden Schülerzahlen und die damit entstehenden Kapazitätsprobleme in Leipziger Schulgebäuden.

“Das ist ein anderes Thema”, betonte Fabian am Montag. Das betrifft dann die genauso komplizierte Schulnetzplanung, die ebenfalls im Herbst in den Stadtrat soll.

Die steigenden Geburtenzahlen in Leipzig seit ungefähr 2000 kamen – überpünktlich – im Jahr 2006 als steigende Schülerzahlen in den Grundschulen an, seit 2009 in den Mittelschulen und seit 2010 in den Gymnasien. Seitdem fehlt es in allen Schularten an allen Ecken und Enden an Platz.

Gestiegen sind auch die Zahlen von Schülern mit Migrationshintergrund – auf aktuell 11,4 Prozent im Schnitt. “Das haben wir extra näher beleuchtet”, sagt Thomas Fabian. Denn das verändert das Schulleben in einigen Leipziger Ortsteilen schon deutlich. Einige Schulen – insbesondere im Leipziger Osten – haben mittlerweile 20 Prozent Schüler mit Migrationshintergrund. Der Leipziger Durchschnitt liegt bei 11,4 Prozent. Und wächst.

Die Frage wäre: Hat das etwas mit der hohen Quote von Schulabgängern ohne Abschluss zu tun?
“Eher nicht”, meint Fabian. Dafür deuten andere Zahlen aus dem Bericht darauf hin, dass die Ergebnisse der jüngst vorgestellten Caritas-Studie auf Leipzig ganz besonders zutreffen: Soziale Armut ist der Grund für viele Formen der Bildungsarmut. Das zeigt zum Beispiel eine Leipzig-Karte, die die Vergabe von Bildungsempfehlungen im Schuljahr 2011/2012 zeigt. In einigen Ortsteilen wie in Grünau oder dem Leipziger Osten liegt die Zahl der Empfehlungen fürs Gymnasium unter 30 Prozent.

Der Leipziger Durchschnitt liegt bei 47,9 Prozent. Übrigens gehört auch der Bereich Wahren mit seiner möchtegern-homogenen Wohnbevölkerung zu diesen 30-Prozent-Stadtbezirken.

Hingegen liegen die Bildungsempfehlungen an Schulen im und ums Stadtzentrum fürs Gymnasium bei über 65 Prozent. Was zumindest andeutet, dass Reichtum sich in Leipzig eben nicht nur übers Geld definiert, sondern auch über die Familienfreundlichkeit und die Wohnqualität von Stadtquartieren. Oder noch etwas zugespitzt: Kinder, die in einem sowieso schon kreativen und anspruchsvollen Umfeld aufwachsen, werden geradezu herausgefordert dazu, ihre Fähigkeiten zu entfalten.

Noch leben die innenstadtnahen Quartiere von einer jungen, experimentierfreudigen Einwohnerschaft. Ein Zustand, der auch in Leipzig durch die zunehmende Gentrifizierung und das punktuelle Steigen der Mietpreise bedroht ist.

Es gibt noch eine Grafik, die den engen Zusammenhang von sozialer Lage und Bildungserfolg zeigt: die der Mittelschulabschlüsse in verschiedenen Stadtteilen. Hier fallen insbesondere Mittelschulen in Grünau, dem Leipziger Osten und dem Leipziger Westen auf, wo zuweilen über 25 Prozent der Schüler nicht einmal den Hauptschulabschluss schaffen.

Ein Projekt, das Stadt und Bildungsagentur Leipzig in zwei Leipziger Schulen durchführen, soll helfen, diesen Zustand zu ändern. “Kein Schüler ohne Abschluss” heißt es. “Hier werden nicht nur die Lehrer und Schüler eingebunden, sondern auch die Eltern”, erklärt Roman Schulz, Sprecher der Bildungsagentur Leipzig. Es richtet sich auch nicht erst an die Schüler der 9. und 10. Klasse, denen schon alle Felle davongeschwommen sind. “Wir versuchen hier von Anfang an die Eltern mit einzubeziehen. Denn Institutionen allein können das Problem nicht lösen.” Eltern aber könnten das Bemühen von Schule und Jugendlichen unterstützend begleiten. “Auch in eigenem Interesse”, sagt Schulz. “Ich kann mir nicht vorstellen, dass Eltern kein Interesse daran haben, dass ihre Kinder ihren Abschluss schaffen.”

Deutlich macht der nun zweite Schulentwicklungsbericht aber auch, dass für viele Kinder die Weichen schon längst vor Schulbeginn gestellt sind. “Viele Defizite stellen wir schon bei den Vierjährigen fest”, sagt Fabian. Das sei noch nicht zu spät, etwas zu ändern, betont er aber auch. Deswegen seien der Besuch des Kindergartens und das Vorschuljahr so wichtig. Nicht nur für Kinder aus sozial schwachen Familien. Auch für Einzelkinder sei der Besuch des Kindergartens ein wichtiger Lernbaustein.

Was das Bemühen der Stadt, in den Kindertagesstätten und Horten mit zusätzlichen Förderangeboten aktiv zu werden, nicht überflüssig macht. “Deswegen bauen wir ja zehn Kindertagesstätten in Brennpunktstadtteilen ganz gezielt zu Familienzentren aus, arbeiten so früh wie möglich mit den Eltern zusammen”, sagt Thomas Fabian.

Wahrscheinlich werden die nächsten Schulentwicklungsberichte bestätigen, dass es gar nicht anders geht, dass die Stadt frühzeitig unterstützend wirksam werden muss. Denn die Schwellen an den einzelnen Übergängen werden ja nicht niedriger, wenn die Kinder erst einmal den Anschluss an ihre Altersgenossen verloren haben. Umgekehrt sind die Löcher riesengroß: Auf niedrigere Schularten zu wechseln ist in Leipzig viel einfacher, als – vielleicht sogar mit Verspätung nach der 6. Klasse – aufs Gymnasium zu kommen. Ganze 46 Sechstklässler an Mittelschulen bekamen im vergangenen Schuljahr eine Bildungsempfehlung für den nachträglichen Wechsel ans Gymnasium

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