Zweieinhalb Jahre war das Kant-Gymnasium nach Grünau ausgelagert. Kurz vor den Sommerferien stehen die Zeichen auf Rückzug in die Südvorstadt. Die Lehrer haben die Umzugskisten bereits wieder hervorgekramt und versuchen den Umzug zwischen Notenschluss, Zeugnissen, Bücherrückgabe und Vorfreude auf das sanierte Gebäude abzufiedeln. Aber das ist fast noch schwerer als damals im Winter 2010.
Auf dem Schulhof des Kant-Gymnasiums ist es ruhig. Kein Schüler in Sicht, nur die vorbeifahrenden Autos auf der Ratzelstraße funken in die morbide Stimmung vor dem sanierungsbedürftigen Interimgebäude des Gymnasiums. Zweieinhalb Jahre haben Lehrer und Schüler des Gymnasiums hier im “Leipziger Schultyp” verbracht. Eine Schule, die schon, bevor das Kant hierher zog, ein gründliches Gebäude-Doping benötigt hätte. Im zweiten Stock stehen die Klassenzimmertüren offen, Arbeit liegt in der Luft.
“Im Prinzip ist das ein tolles Gebäude”, sagt Geschichtslehrer Frank Neuse einmal mehr auf einer Leiter stehend, um zwei Millisekunden später die entscheidenden Worte nachzuschieben, “wenn es saniert ist.” Nebenbei holt er nach und nach die vor zwei Jahren angeklebten Plakate von der Wand. Die Schüler haben die letzten zwei Schulwochen schon nach dem zweiten Block Schluss, damit die Lehrer wieder in Ruhe packen können. Neuse scheint in seinem Geschichtszimmer schon am dritten Tag gut vorangekommen zu sein, Chaos ist jedenfalls etwas anderes. Oder ist es in seinem Zimmer noch gar nicht richtig losgegangen?
Am 20. August kommt die Umzugsfirma, am 27. August, eine Woche vor Unterrichtsbeginn, fallen wieder alle Lehrerblicke in die gepackten Kisten. Dann ist Auspacken angesagt. Steckt im Kistenpacken nicht auch eine gewisse Vorfreude auf das sanierte, moderne Schulgebäude? Neuse schmunzelt: “Für Vorfreude bin ich der falsche Ansprechpartner, ich wohne hier gleich nebenan.”
Im Ernst fügt er an, dass dieser Rückzug auch für das Schulleben Vorteile bringen wird. “Für die Schüler und für mich ist der Umzug insgesamt natürlich eine tolle Sache. Das Interim hatte auch Auswirkungen auf die Arbeitsgemeinschaften. Wenn die Schüler zwischen Schule und meiner Volleyball-AG zwei Stunden frei hatten, sind sie natürlich nach Hause gefahren. Da ist keiner geblieben. Zukünftig können sie für zwei Stunden nach Hause laufen und dann bequem wiederkommen.”
“It’s the final coundown”, schallt es plötzlich durch den Gang. Zimmernachbar Heiko Piske hat für das finale Einpacken das Radio angeschmissen. Seine Mineraliensammlung muss der Geografielehrer noch einpacken, andere Dinge würde er lieber hier lassen. “Schau dir mal die Tische an”, fordert er mich auf, “die sind teilweise so lawede, dass schon zusätzliche Schrauben in die Tische gedreht werden mussten, damit die nicht einknicken.”
Tatsächlich: Auf der Oberfläche einiger Tische sind Schraubenköpfe zu sehen. Doch auch im neuen Gebäude muss Piske mit diesen Tischen leben, denn ein runderneuertes Gebäude bedeutet nicht runderneuertes Mobiliar. “Wir müssen alles mitnehmen.”
Mitnehmen will Bibliothekarin Sommerfeld so einiges, aber sie kann nicht: Es gibt keine Kartons mehr. Lieferengpass bei der Umzugsfirma. Ihre Bücher sind deshalb noch im Urzustand, stehen brav im Regal. Es bedarf wohl geschätzter 50 Kisten, um sie umzugsbereit zu bekommen. Auf den Umzug freut sich Sommerfeld dennoch. “In der neuen Schule haben wir ganz andere Möglichkeiten, hier hatten wir gar keinen Platz.” Nur zwei kleine Zimmer umfasste die Interimsbibliothek, Rückzugsorte zum Schmökern oder Arbeiten gab es nicht.
Die Zeit ohne Kartons nutzt Sommerfeld zum Aussortieren. “Wir haben noch so viele Bücher im Bestand, die Anfang der Neunziger veröffentlicht wurden, da sind einige nicht mehr zu gebrauchen.” Erst recht nicht, da Sommerfeld und ihre Bücher im täglichen Wettstreit mit dem Internet stehen, der zuweilen verwunderliche Blüten trägt. “Kürzlich riet ein Schüler seinem Freund, er könne das gesuchte Wort ja mal im Lexikon nachschlagen. Er wusste gar nicht, was zu tun war und war überfordert.”
Physiklehrerin Walbe ist derweil froh, dass wenigstens ihre Klasse heute ganz gut mit Büchern umzugehen wusste. Denn nicht nur, dass die Schule zur Zeit den Umzug vorbereitet, es ist ja auch noch aller möglicher Schuljahresend-Klimbim zu erledigen: Notenvergabe, Zeugnisse schreiben und natürlich Bücherabgabe. Walbe ist seit Jahr und Tag die Frau der Schulbücher. Doch in dieser besonderen Situation brauchte sie auch mal Hilfe, immerhin kamen am Mittwoch alle Schüler auf einmal, um ihre treuen Wegbegleiter aus dem Rucksackmuff zu befreien und Walbe zu überantworten. Ihre Klasse half ihr beim Sortieren und Entgegennehmen.
“Da haben wir zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Die Klasse war beschäftigt und ich hatte helfende Hände. Das hat wunderbar mit meiner 10b geklappt”, so Walbe stolz. Freitag geht das Prozedere dann in die andere Richtung. Nein, nicht Walbe hilft der 10b, sondern alle Schüler holen die Bücher für das neue Schuljahr ab. Die 10b hilft wieder freiwillig mit, die Bücherberge in den zwei Klassenzimmern korrekt aufzuteilen.
Während Walbe für heute ihre Bücherbewahranstalt abschließt, wuseln im ersten Stock wie schon beim Umzug nach Grünau Marlies Lippert und Astrid Sonnenburg dynamisch durch ihr Chemie-Vorbereitungszimmer. Noch vor zweieinhalb Jahren klagten sie über unliebsame Überraschungen in den Schränken, über Chemikalien, die noch mit Federtusche und in altdeutscher Schrift etikettiert wurden. Davon kann diesmal keine Rede sein, Lippert und Sommerburg sind optimal vorbereitet, sie haben ja auch die unliebsamen Überraschungen eiskalt aussortiert und: “Seit Februar habe ich Zeitungspapier gesammelt, um alle Chemikalien ordentlich einzuwickeln”, so Lippert Und so hat auch die LVZ ihre Verwendung gefunden.
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Doch so glatt wie alles im Vorbereitungszimmer läuft, im Keller gibt es Probleme. Dort hatte der Fachbereich Chemikalien einsortiert, aber der unterste Stock ist feuchter als eine finnische Dampfsauna. Alle Chemikalien sind im Laufe der Zeit verschimmelt.
Auf der anderen Seite des Gebäudes weiß auch Informatiklehrer Petri so einiges über den Keller zu berichten. Seine Rechner hat er aber allesamt in den oberen Stockwerken ihrer Bestimmung zugeführt. In seinem Fachbereich hält sich der Umzugsstress vergleichsweise in Grenzen, der Großteil der Arbeit besteht darin, die Rechner abzuschließen und zu sortieren. “Dann kommt die Lecos, transportiert alles ab und schließt auch alles wieder an”, so Petri. Mäuse und Tastaturen werden in gesonderten Kartons gestapelt. Wie die Bibliothek und der Fachbereich Chemie trennt sich auch Informatik von Altlasten. “In den letzten Unterrichtsstunden hab ich noch ein paar alte Rechner mit Schülern auseinandergenommen und die wichtigen Bestandteile ausgebaut.”
Immerhin: Ein paar Schränke muss auch Petri beräumen. Das geht allerdings stellenweise recht flott. “Hier”, öffnet er die Schranktüre und zeigt in die unteren Fächer, “das sind Kartons, die ich seit dem letzten Umzug noch gar nicht ausgepackt habe…”
So ruhig es im Fachbereich Informatik ist, so betriebsam ist es im Sekretariat der Schule. Alle Schränke und Materialien sind zwar noch an Ort und Stelle, aber der Raum ist Durchgangszimmer zu den Chefs und damit zeitweise zugestellt mit Problemen und Fragen. Wenn Schulleiterin Heike Palluch und ihr Stellvertreter Johny Morgenstern diese nicht in ihrem Zimmer behandeln, dann direkt im Sekretariat. Als ein Schwarm von Menschen und damit auch von Problemen aus dem Zimmer entschwunden ist, lässt sich Morgenstern auf einem der Stühle fallen und gesteht. “So ein Umzug am Ende des Schuljahres ist zehnmal schlimmer als in den Winterferien, aber wir wissen ja, wo es hingeht.”
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