Als am Donnerstag, 3. Mai, in Leipzig 500 rote Ballons in die Luft gingen, war es 13:30 Uhr. Wenn ein paar davon Richtung Dresden segeln sollten, wird das eine Weile dauern. Die Adressatin hatte da gerade wieder eine hübsche Ich-tu-was-Meldung in die Welt gegeben: "Internationalität des Studiums fördern, Mobilitätshindernisse für Studierende abbauen".

Sie hat ein bisschen gebraucht, um für sich die Ergebnisse der achten Bologna-Minister/innenkonferenz in Bukarest auf den Punkt zu bringen. Immerhin hat Helge Braun, der als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung für die Bundesregierung an der Konferenz am 27. April teilnahm, sein Resümee auf der Website des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auch schon am 27. April veröffentlicht. Und kam dabei auch zu ein paar Erkenntnissen, die im sächsischen Wissenschaftsministerium irgendwie nicht mehr ankommen.

Sabine von Schorlemer war einzig von dem Wort Mobilität fasziniert, mit der bis 2020 in den teilnehmenden Ländern eine Graduiertenquote von 20 Prozent erreicht werden soll.

“Diesen Prozess bringen wir in Sachsen voran, indem wir mit den Hochschulen des Freistaates über Zielvereinbarungen die Entwicklung von Internationalisierungsstrategien, den Abbau von Mobilitätshürden und die aktive Steigerung der Anzahl ausländischer Studierender und Wissenschaftler einfordern”, so Sabine von Schorlemer. “Mit dem neuen Hochschulgesetz verbessern wir darüber hinaus auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Anerkennung von im Ausland erworbenen Studienleistungen.” Diese sollen nach den Prinzipien der Lissabon-Konferenz schneller und einfacher anerkannt werden. Zentraler Maßstab werde der “wesentliche Unterschied”, den Hochschulen im Falle der Ablehnung der Anerkennung einer im Ausland erworbenen Studienleistung begründen müssen.

Marco Tullner, Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft und Wirtschaft in Sachsen-Anhalt, der als Vertreter der Bundesländer in Bukarest dabei war, sah dort noch ganz andere Handlungsfelder zu Bologna besprochen. “Jetzt kommt es darauf an, im Interesse der Studierenden, der Hochschulen und der Gesellschaft die Qualität der Umsetzung, die Qualität von Studium und Lehre weiter zu verbessern”, stellt er fest. “Mehr Attraktivität, Effektivität und Vereinfachung sind dabei wesentliche Leitziele. Wir wollen überprüfen, wo wir Lehrende von Bürokratie entlasten können. Voraussetzungen für einen nachhaltigen Erfolg des Reformprozesses bleibt seine Akzeptanz bei den Wissenschaftlern, den Studierenden und bei der Wirtschaft.”
Das hört sich nach etwas Anderem an als dem derzeitigen sächsischen Versuch, 1.000 Lehrstellen zu kürzen, obwohl der Freistaat Rekord-Studierendenzahlen verzeichnet.

Und noch etwas hat Tullner gemerkt: Im Abschluss-Kommuniqué von Bukarest wird auch die Notwendigkeit betont, junge Menschen aus nicht-akademischen Elternhäusern stärker zu fördern und zum Studium zu ermuntern. Tullner: “Es wird aus den Erhebungen deutlich, dass ein Studium das Risiko von Arbeitslosigkeit deutlich verringert. Deswegen ist es wichtig, den Hochschulzugang verstärkt für alle sozialen Gruppen zu öffnen.”

Von all dem in der Mobilitäts-Meldung der sächsischen Wissenschaftsministerin kein Wort.

Vielleicht war sie in Gedanken schon beim 10. Mai. Dann findet in Dresden die gemeinsame Großdemonstration von Schüler/innen und Student/innen gegen die Kürzungen im Bildungsbereich statt. Von Leipzig fährt ein Sonderzug vom Hauptbahnhof um 12:38 Uhr von Gleis 13 nach Dresden.
Und viele Studierende werden mitfahren, weil sie im Studienalltag längst erleben, was allein schon die Kürzungen der letzten Jahre bedeuten – überfüllte Hörsäle, überforderte Dozenten, Lehrstühle sind teilweise über Jahre verwaist, Abschlüsse können in der Regelzeit nicht geschafft werden, weil Kurse überbelegt sind, die Betreuer mit dem Testieren nicht nachkommen oder Prüfungen vermasselt werden, weil die Vorbereitung nicht genügte.

Mit den von Sabine Schorlemer im Herbst 2011 abgeforderten Kürzungsvorschlägen der Hochschulen sind jetzt komplette Studiengänge von der Schließung bedroht – an der Uni Leipzig zum Beispiel in der Ethnologie und der Pharmazie, an der HTWK im Informatik-Mathematik-Bereich.

Seit eine Woche hängen Protesttransparente an etlichen Hochschuleinrichtungen. Am heutigen Donnerstag, 3. Mai, sammelten der StuRa der Uni Leipzig und der StuRa der HTWK Stellungnahmen von Studierenden. Sie durften ihre Wunschzettel an die zuständige Ministerin schreiben.

Allein 300 knallrote Ballons mit Wunschzetteln der HTWK-Studenten gingen gegen 13:30 Uhr vor dem Gebäude der HTWK in der Karl-Liebknecht-Straße 145 in die Luft. Erst ein wenig nordwärts an der Fassade des Lipsius-Baus entlang und dann – mit einem Sprung übers Dach – Richtung Dresden. Und auch wenn sie dort nicht direkt bei der Ministerin mit ihrer Freude an der Mobilität ankommen sollten. Die Studierenden hoffen trotzdem auf viel Aufmerksamkeit im Land.

Eine Botschaft bekam die Ministerin schon am Donnerstag auf den Tisch: Eine deutliche Kritik des Bundesministeriums für Bildung und Forschung an den Personalkürzungen in den sächsischen Hochschulen – nachlesbar in der “Sächsischen Zeitung”. Selbst in Berlin hat man mitbekommen, dass Sachsen völlig ausschert aus den bundesdeutschen Anstrengungen, die Grundlagen für Hochschulbildung zu verbessern.

Ein durchaus ungewöhnlicher Vorgang, wie auch der hochschulpolitische Sprecher der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, Gerhard Besier, feststellt. “Wegen seiner drastischen Stellenkürzungen an den Hochschulen erteilt das Bundesministerium für Bildung und Forschung der Sächsischen Staatsregierung eine Rüge. Der Personalabbau in Höhe von 1.042 Stellen bis 2020 gefährde einen erfolgreichen Abschluss aller Studienanfänger. Sachsen verstoße damit gegen seine vertraglich vereinbarten Verpflichtungen aus dem Hochschulpakt 2020, heißt es aus dem Hause Schavan. Angesichts der Kritik aus Berlin gerät Sachsens Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Frau von Schorlemer, immer mehr zwischen alle Stühle”, stellt er fest. Denn auch die Opposition im Sächsischen Landtag fordere längst ein sofortiges Umsteuern in der Hochschulpolitik, eine seriöse Ausfinanzierung der Hochschulen, um eine kontinuierliche Personalentwicklung betreiben zu können, die eine optimale Betreuungsrelation und Forschungsleistungen auf höchstem Niveau ermöglichen.

Auf einen gemeinsamen Antrag der Opposition hin wird am 10. Mai eine Landtagsdebatte zum Thema: “Bildungslandschaft Sachsen sichern und weiterentwickeln” (Drucksache 5/8987) stattfinden. Am selben Tag demonstrieren Studierende und Schüler in Dresden gegen die Personalkürzungen im Schul- und im Hochschulbereich. Da käme die Kritik aus Berlin gerade zum richtigen Zeitpunkt.

So sieht es auch Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, hochschulpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag: “Nun hat die Staatsregierung durch das Bundesministerium bestätigt bekommen, was die Opposition in Sachsen schon lange sagt: Die geplanten Stellenkürzungen an den Hochschulen, 300 Stellen bis 2015 und insgesamt 1.042 bis 2020, sind nicht mit den Vorgaben des Hochschulpaktes vereinbar. Alle Argumente für den Erhalt dieser Stellen scheiterten bisher am Finanzministerium. Das Umdenken der Staatsregierung ist überfällig. Wenn sie jetzt nicht ihre falsche Personalpolitik aufgibt, riskiert sie den Verlust von 185 Millionen Euro Fördergeld aus dem Hochschulpakt.”

Für ihn zwangsläufig: “Angesichts der gegenüber den Prognosen deutlich höher ausgefallenen Studierendenzahlen ist auch mehr Hochschulpersonal notwendig, um eine gute Betreuung zu gewährleisten. Die als Ausgleich für die Kürzungen momentan in Aussicht gestellten 300 befristeten Stellen für die Lehre greifen entschieden zu kurz, da gerade einmal der Status Quo erhalten bliebe. Erschwerend kommen die völlige Forschungsferne und die prekären Beschäftigungsverhältnisse hinzu, die damit weiter in den Hochschulen Fuß fassen würden. Wettbewerbsfähigkeit und Exzellenz der sächsischen Hochschulen lässt sich auf diese Weise nicht herstellen.”

Der Antrag von Linken, GRünen und SPD von 27. April:
http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=8987&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=1

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