Er ist erst 16, aber es scheint so, als wenn Leipzigs Stadtschülersprecher Georg Heyn in bildungspolitischen Fragen mehr Engagement zeigt als mancher, der schon seit Jahren die Bildung auf anderer Ebene voranbringen soll. Heyn spricht die Probleme offen an, die auf die sächsische Schülerschaft zurollen. Leipzigs Stadtschülersprecher und stellvertretende Landesschülersprecher über Aktualität und Folgen des Lehrermangels.

Erst vor etwas mehr als einer Woche hat Georg Heyn mit seinen 16 Jahren sächsischen Landtagsabgeordneten gegenüber gesessen und das Problem des ansteigenden Lehrermangels angesprochen. Nicht alle bei dieser Podiumsdiskussion hatten das Thema so “durchgeknetet” wie der Zehntklässer des Wilhelm-Ostwald-Gymnasiums. Seit September 2011 ist Heyn Leipzigs Stadtschülersprecher, seit Januar 2012 stellvertretender Landesschülersprecher. Mindestens eine Stunde pro Tag widmet er sich den anfallenden Aufgaben. In der Schule läuft es zum Glück noch ohne größeren Aufwand. Um Gehör für die Schüler-Anliegen zu finden muss Heyn dafür umso mehr strampeln…

Herr Heyn, bei der Podiumsdiskussion zum Thema Lehrermangel am 5. März saßen Sie mit Landtagsabgeordneten von SPD, FDP, Linke, CDU und Grüne in einer Runde. Ist für alle klar gewesen, welches Problem auf Sachsen zukommt?

Nein, das war auf jeden Fall nicht bei allen so, dabei ist das Problem eigentlich unübersehbar.

Sie sind im Gespräch mit Schülersprechern Leipziger Schulen und haben zu den Folgen des Lehrermangels eine Umfrage gemacht. Was haben Sie für Rückmeldungen erhalten?

Teilweise sehr dramatische. An einer Schule fiel ein Fach ein Vierteljahr komplett aus, weil kein Lehrer zu bekommen war. Durch die Abordnungspraxis sind die Lehrkräfte zudem vollkommen überfordert. An meiner Schule musste eine Lehrerin eine Zeit lang täglich 50 Kilometer von Torgau bis nach Leipzig fahren. Unter diesem Stress leidet der Unterricht, aber er darf nicht leiden. Es gibt Stoffversäumnisse, die es bei Stoff, der für Prüfungen wichtig ist, nicht geben darf. Der Lehrer ist dafür verantwortlich, dass der Stoff vermittelt wird, aber es gibt derzeit einfach in vielen Fächern einfach zu wenige Lehrer.

Vor allem in Kunst, Religion, Spanisch, Französisch, Musik oder selbst Gemeinschaftskunde muss Unterricht deshalb nicht selten ausfallen. Bei uns an der Schule unterrichtet momentan ein Lehrer alle 21 Kunstklassen, weil die Kollegin im Schwangerschaftsurlaub ist. Für diese Fälle muss es eigentlich Ersatzlehrer geben. Weil es die aber oft nicht gibt, fallen in den genannten Fächern oft die Stunden aus. Die aktuelle Statistik über den Unterrichtsstundenausfall ist nicht so dramatisch, wie das Problem, weil sie nicht die Stunden erfasst, bei denen wir uns selbst beschäftigen müssen oder fachfremd unterrichtet werden.

Kultusminister Wöller sagte selbst einmal, dass die Ausbildung des ganzheitlichen Menschen Ziel der Bildungspolitik ist, aber wenn Fächer ausfallen, die diese Ganzheitlichkeit ausmachen, hat sein Konzept eine Schwachstelle.Sie haben viele Beispiele von Gymnasien genannt, sind aber nicht Grundschulen und Mittelschulen stärker betroffen als diese?

Ja, das stimmt. Da gibt es Abstufungen, auch geografisch. In den Städten ist das Problem größer als in den Landkreisen. Aber an den Gymnasien werden die Probleme immer größer. Wenn man sich die Zahlen ansieht, ist das auch kein Wunder. Am Ende dieses Schuljahres gehen 1.124 Lehrer planmäßig in Rente, nur 400 neue Lehrer sollen eingestellt werden. Das ist ein Defizit von über 700 Lehrern, das sich das Jahr darauf noch verschärfen wird, denn dann gehen 750 Lehrer planmäßig in Rente und nur 250 kommen dazu. Das geht aus Zahlen hervor, die uns die Linkspartei zur Verfügung gestellt hat. Bei der Podiumsdiskussion war ich geschockt, als der Landtagsabgeordnete der FDP, Norbert Bläsner, sagte, dass die in Rente gehenden Lehrer meist Lehrer sind, die derzeit sowieso nur Altersteilzeit arbeiten. Man würde das also gar nicht merken. Doch ohne sie könnte der Unterricht überhaupt nicht abgesichert werden. Sie tragen genauso zur Absicherung bei wie alle anderen.

Es wird noch über Jahre so weiter gehen, dass enorm viele Lehrer in Rente gehen. Die Klassenzimmer sind oftmals veraltet. Wie sehen Sie das als Schüler?

Als Schüler habe ich das Glück, dass die Lehrerschaft an meinem Gymnasium vergleichsweise jung ist. Es gibt aber auch Lehrerkollegien wie das am Berufsschulzentrum 12 in Leipzig, deren Mitglieder im Schnitt 53 Jahre alt sind. Ganz allgemein halte ich diesen hohen Altersdurchschnitt für bedenklich, weil meiner Meinung nach ein junger Lehrer noch mal einen viel besseren Draht zu den Schülern finden kann als jemand, der vier Jahrzehnte vorher geboren wurde. Darüber hinaus geht es auch um moderne Unterrichtsmethoden.

Kultusminister Wöller verschickte im letzten Jahr einen Brief an alle Abiturienten, um sie als zukünftige Lehrer anzuwerben. Wird das ausreichen, um den Bedarf zu decken?

Das sollte nicht die einzige Bemühung bleiben. Die Schülerzahlen steigen rasant an, wir müssen also nicht nur die in Rente gegangenen Lehrer ersetzen, sondern zusätzlich Lehrer einstellen. Wie der Kultusminister selbst gesagt hat, müsste in Zukunft jeder vierte Abiturient in Sachsen ein Lehrerstudium beginnen und abschließen, um der Lage Herr zu werden. Aber dazu muss ich den Lehrern auch etwas bieten. In Sachsen-Anhalt würden sie monatlich 500 Euro brutto mehr verdienen, das sind im Jahr also 6.000 Euro mehr. Warum ist das in Sachsen-Anhalt möglich und nicht bei uns? Ich habe kürzlich die Referendare an meiner Schule gefragt, wo sie ihre Zukunft sehen. Keiner hat sich dafür ausgesprochen, in Sachsen zu bleiben, sie wollen alle das lukrativste Angebot nehmen.

Wird die Stimme des Landeschülerrats überhaupt gehört?

Wir tun alles dafür, allerdings wurden wir erst im Januar gewählt. Am 20. März sind wir zum Antrittsbesuch bei Minister Wöller, bei dem wir das Thema direkt ansprechen wollen. Außerdem wird es am 28. März einen Aktionstag der Schüler in Dresden, Bautzen, Chemnitz und Leipzig geben. Der Tag steht unter dem Motto: “Bildet die Rettung – Rettet die Bildung!” Es ist wichtig, dass der Schüler bei allen bildungspolitischen Diskussionen im Vordergrund steht. Er ist das kostbarste Gut und wenn sich das Bundesland daran festhält, dass Bildung Ländersache ist, dann muss das Land auch etwas investieren. Es kann nicht sein, dass für Bildung weniger ausgegeben wird als für Straßenbau. Investitionen in die Bildung sind Investitionen in die Zukunft des Freistaats.

Die Schüler in den genannten Städten werden durch dezentrale Aktionen auf das Problem des Lehrermangels und der Überalterung aufmerksam machen. In Leipzig wird es an 20 bis 30 Schulen Aktionen geben. Wir schätzen, dass sich daran 5.000 bis 10.000 Schüler beteiligen werden. Bei dieser Aktion arbeiten wir mit dem Philologenverband, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, dem Sächsischen Lehrerverband und dem Stadtelternrat zusammen. Eine unserer größten Forderungen ist, dass es einen langfristigen Plan für die Bildung gibt, denn eins ist auch klar: Dass wir das aktuelle Problem haben, ist nicht nur ein Verschulden der schwarzgelben Landesregierung, sondern auch der Regierung davor.

Der Stadtschülerrat im Netz: www.ssrleipzig.de

Zur Website des Landesschülerrates: www.lsr-sachsen.de

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