Abgerechnet wird zum Schluss. Ein wenig denkt auch die sächsische Staatsregierung so, wenn es um die Schulabschlüsse der Kinder im Lande geht. Frei nach dem Motto: Wer sich durch den Hürdenwald kämpft, ist am Ende fürs Leben gestählt. Beliebteste Hürde: die "Bildungsempfehlung". Am Montag, 19. März, stellte das Kultusministerium die neuesten Zahlen für 2012 vor.

Und das Überraschende dabei: Die Zahlen pendeln sich wieder da ein, wo sie waren, bevor die Staatsregierung die Zugangsbedingungen fürs Gymnasium verschärfte.

Im Schuljahr 2010/2011 erhielten von rund 27.000 Grundschülern der 4. Klasse an öffentlichen Schulen 44,5 Prozent (12.086 Schüler) eine Bildungsempfehlung für das Gymnasium und 54,7 Prozent (14.855 Schüler) für die Mittelschule. Ans Gymnasium gewechselt sind dann freilich nur 40,5 Prozent der Viertklässler.

Doch die jetzt vorgelegten Zahlen zeigen, dass der Wunsch der Kinder (und wohl auch der Elternhäuser) durch die Verschärfung der Empfehlungsbedingungen nicht tatsächlich ausgebremst ist. Zu viele Berufskarrieren verlangen mittlerweile eine hohe Vorbildung. Wer tatsächlich anspruchsvolle Berufswünsche verwirklichen will, kommt um das Abitur als Regelabschluss gar nicht umhin. Viele Eltern und viele Jugendliche wissen das nur zu genau. Nur hatten 2010 nicht allzu viele die nötige Zeit, sich an die geänderten Bedingungen anzupassen. Denn auch die sächsische Schule funktioniert nach einem ökonomischen Effizienz-Prinzip, wie Klaus H. Sindern in seinen kritischen Schriften zum deutschen Schulwesen gern immer wieder betont.

Denn um möglichst gute Zensuren auf dem Zeugnis zu erreichen, muss niemand in der Schule tatsächlich echte Bildungsanstrengungen unternehmen. Man muss nur die vom Lehrplan geforderten Wissensbausteine punktgenau zu Testaten, Prüfungen und andere Leistungskontrollen abrufen können. Man lernt also nicht dafür, das System Schule möglichst gut ausgebildet, hochbefähigt und allseits gebildet zu verlassen. Man lernt für die “TÜV-Plakette” und nur das, was tatsächlich abgefragt wird. Nicht mehr.

Und die Lehrer wissen das genauso gut wie die Schüler und die Eltern.

Und auch deshalb scheint das Herumgemurkse an der sächsischen Bildungsempfehlung, mit der der so genannte “Leistungsgedanke” im sächsischen Schulwesen gestärkt werden sollte, nicht zu gelingen. Lehrer, Elternhäuser und Schüler haben sich den neuen TÜV-Richtlinien angepasst, wie es aussieht.

Und so wie die Leipziger Studie “Jugend in Leipzig” nachwies, dass auch ein hoher Anteil von Mittelschülern bis zum Realschulabschluss die Absicht bekundet, das Abitur nachzuholen und studieren zu wollen, so zeigt jetzt auch die nunmehr doppelte sächsische Bildungsempfehlung, dass mindestens jeder zehnte Mittelschüler in der 6. Klasse durchaus das Zeug dazu hat.

Denn neu ist in diesem Schuljahr 2011/2012 ja auch, dass auch alle 26.385 Sechstklässler eine orientierende Empfehlung bekommen. Eine verpflichtende Bildungsempfehlung bekommen alle 14.465 Schüler der 6. Klasse an Mittelschulen. Die Sechstklässler an den Gymnasien bekommen eine Schullaufbahnempfehlung – das betrifft 11.920 Schüler.

“Damit soll die Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit zwischen beiden Schularten verbessert werden”, betont das Ministerium.

Knapp 10 Prozent der Sechstklässler der Mittelschule haben nun eine Bildungsempfehlung für das Gymnasium erhalten. Die Bildungsempfehlung für das Gymnasium wird Mittelschülern der Klassenstufe 6 erteilt, wenn sie in den Fächern Mathematik, Deutsch und Englisch einen Notendurchschnitt von 2,0 und besser haben und der Durchschnitt der anderen Fächer nicht schlechter als 2,5 ist. Das heißt, eine Note 3 kann innerhalb dieser Fächer mit einer Note 1 ausgeglichen werden. Keines dieser Fächer darf aber mit der Note 4 oder schlechter bewertet worden sein.

“Zudem muss das Lern- und Arbeitsverhalten erwarten lassen, dass die Schüler den Anforderungen des Gymnasiums gewachsen sind”, erklärt das Ministerium seinen altväterlichen Ansatz. Und bestätigt einmal mehr, dass man den jungen Leuten eine eigene souveräne Entscheidung über die Bildungskarriere gar nicht zutraut. Nicht ohne Grund haben die “Kopfnoten” aus DDR-Zeiten in Sachsen eine selige Wiederauferstehung gefeiert. Darin steckt der alte, alle kontrollierende Patriarch.

Wie viele der rund 1.400 Sechstklässler aus den Mittelschulen, die jetzt eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen haben, auch wechseln werden, wird sich erst mit Schuljahresbeginn zeigen.

“Es ist sehr erfreulich, dass etwa zehn Prozent der Sechstklässler an sächsischen Mittelschulen eine Bildungsempfehlung für das allgemeinbildende Gymnasium erhalten haben”, meint Norbert Bläsner, bildungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Landtag. Für ihn zeige das die Leistungsfähigkeit der Schüler und der künftigen Oberschule als Kernstück des sächsischen Schulsystems. “Es zeigt auch, dass der erste Schritt der Weiterentwicklung der Mittelschule zur Oberschule, die Einführung einer verbindlichen Bildungsempfehlung in Klassenstufe 6, wirkt. Auch wenn ein Großteil der Mittelschüler, die jetzt eine Bildungsempfehlung für das Gymnasium erhalten haben, einen Wechsel nicht wahrnehmen sollte, verdeutlicht es dennoch die gestiegene Durchlässigkeit zwischen künftiger Oberschule und allgemeinbildendem Gymnasium.”

Die hohe Anzahl an Bildungsempfehlungen sei umso erfreulicher, wenn man bedenke, dass die inhaltliche Weiterentwicklung der Mittelschule zur Oberschule mit der Einführung der Leistungsgruppen und der Ausweitung der 2. Fremdsprache im Schuljahr 2013/2014 die Möglichkeit eines späteren Wechsels auf das Gymnasium weiter verbessern werde. Bläsner: “Die ersten Schritte zur Weiterentwicklung der Mittelschule zur Oberschule und der Umgestaltung der Bildungsempfehlung wirken und führen zu mehr Leistungsgerechtigkeit sowie Durchlässigkeit im sächsischen Schulsystem.”

Dagegen steht freilich die Tatsache, dass die Bildungsempfehlung in der 6. Klasse zum ersten Mal erteilt wurde. Vergleichszahlen zu den Vorjahren fehlen, so dass auch niemand sagen kann, wie viele Schüler da die Empfehlung fürs Gymnasium bekommen hätten.

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