Spät meldet sich Rolf Ahrendt, Geschäftsführer forum thomanum Schulen GmbH, zu Wort. Über die fatalen Folgen des so genannten "Bildungspaketes", das Kultusminister Roland Wöller und Finanzminister Georg Unland gemeinsam ausgeknobelt haben, hat die L-IZ schon am 22. Dezember berichtet. Aber der Stoff ist auch im Januar noch brisant. Und die Stellungnahme von Rolf Ahrendt entsprechend geharnischt.

Rolf Ahrendt

In den Sonntagsreden der Politiker aus Berlin und den Landeshauptstädten wird es beschworen: die Erkenntnis, das Bildung der Rohstoff Deutschlands ist und Bildung deshalb eine besondere Bedeutung für Deutschland hat. In der Kommune in der Schule vor Ort kommt außer den Worthülsen aber nicht viel an. Fakt ist: bis 2020 verliert Sachsen 8.000 Lehrer und es besteht ein Investitionsstau an Sachsens Schulen in Millionenhöhe.

Als Begründung für das magere Tun wird gebetsmühlenartig das mangelnde Geld bemüht. Diese Begründung verkennt völlig die Bedeutung der Bildung für Deutschland. Bildung ist keine abhängige Variable von Haushalten/wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Richtig ist die Umkehrung: das Schicksal Deutschlands (und zwar nicht nur das materielle) ist abhängig von der Bildung der Menschen. Bildung steht sozusagen vor der Klammer.

Alle gesellschaftlich relevanten Themen – wie Arbeit und Soziales, Wirtschaft und Finanzen, Justiz, Kunst, Kultur, Wissenschaft und Forschung, Gesundheit, Sicherheit, Landwirtschaft usw. bis zu Europa, die Entwicklung der Demokratie – sind abhängig von der Bildung, der diese Begriffe mit Leben erfüllenden Menschen. Viele Menschen aus unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft haben die Bedeutung der Bildung für Deutschland in seiner Dimension begriffen – nur ihre gewählten Vertreter, die Politiker, nicht.

Um die Bedeutung der Bildung darzustellen, wird nach einer Begriffsdefinition auf die Zusammenhänge zwischen Wissen und Wohlstand bzw. Bildung und Wohlstand eingegangen. Wissen ist nicht Bildung Nach dem “Bildungsdreieck der Elementarkompetenzen” besteht die Bildung aus den gleichgewichtigen Komponenten Wissen, Denken und Kommunikationsfähigkeit.

“Wissen umfasst dabei die Wissensinhalte (deklaratives Wissen), das Denken hingegen die unterschiedlichen Strategien des Erkenntnisgewinns wie Problemlösen, Beschreiben, Erklären, Interpretieren [Erfahrungen machen], usw. Unter Kommunikationsfähigkeit kann … die Fähigkeit eines Menschen verstanden werden, seine Gedanken, Ideen, Thesen usw. anderen transparent zu machen und umgekehrt sich in die Gedankenwelt anderer aktiv hineinzuversetzen … Diese grundlegenden Aspekte der Bildung konstituieren gleichermaßen die Basis für alle weitergehenden Aspekte der Bildung, wie moralisches Denken und Handeln, [Urteils- und Gestaltungsfähigkeit, politische Handlungsfähigkeit, Fähigkeit zur Selbstverwirklichung und -kritik], Kreativität und künstlerische Fähigkeiten oder instrumentelle Fertigkeiten. In diesem Sinne können diese drei Aspekte als Elementarkompetenzen der Bildung bezeichnet werden.” – nach Wikipedia, Bildung.

Ziel von Kindertagesstätten, Schulen und Hochschulen ist zu erziehen und zu bilden. Neben der Wissensvermittlung als Zielstellung besteht die anspruchsvollere Bildungsaufgabe, die Persönlichkeit des Einzelnen mitzubilden und so das elementare Rüstzeug mitzugeben, um für die Anforderungen des Lebens gewappnet zu sein.

Wissen und Wohlstand

Wissen ist Bestandteil der Bildung. Das explizite Wissen der Welt explodiert. Nach der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert erleben wir gerade den Wandel von der Industrie- zur Informationsgesellschaft. Ausgehend vom Jahr 1800 kann man nach Prof. Dr. Gerhard de Haan von der Freien Universität Berlin rückblickend feststellen, dass sich das explizite Wissen bis 1900, also innerhalb von 100 Jahren, verdoppelt hat. De Haan vermutet, dass sich dieses explizite Wissen im Jahre 2050 täglich (!) verdoppelt.

Und dieses Wissen, so de Haan, bestimmt das Wirtschaftswachstum. So werden z.B. 70% des Preises für Microchips durch Wissen bestimmt, 70 bis 80% des wirtschaftlichen Wachstums basieren auf neuem oder verbessertem Wissen. Wohlstand hängt vom Wissen ab: Gemäss einer OECD-Studie “The High Cost of Low Educational Perfomance – The Long-Run Economic Impact of Improving PISA Outcomes” würde das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands um 18 Billionen US-$ steigen, erreichte Deutschland in der PISA-Studie in den MINT-Fächern das Niveau Finnlands (die Verschuldung Deutschlands beträgt etwa 2 Billionen Euro).

De Haans Schlussfolgerung: “die Lebenschancen des Einzelnen und die Chancen für eine gute Gesellschaft hängen vom eigenen Wissen und dem anderer ab”.

Bildung und Wohlstand

Wie de Haan weiter ausführte, hat die Förderung sogenannter nichtkognitiver Fähigkeiten im Kindesalter (wie Geduld, Selbstkontrolle, Hilfs- und Kooperationsbereitschaft, Gewissenhaftigkeit und Verlässlichkeit sowie Zielorientierung und Durchhaltevermögen) einen direkten positiven Einfluss auf viele wohlfahrtsrelevante Aspekte im Erwachsenenalter (z.B. Einkommen, Gesundheitszustand, Schulbildung) . Dabei setzt sich die Wohlstandsdefinition aus der Wohlfahrt (Löhne, Lebenserwartung, Freizeit, Gleichheit, Gesundheitsversorgung etc.) und dem Wohlbefinden (Bewertung persönliche Wohnqualität, Sicherheit, “Waren Sie in den letzten zwei Wochen froh und guter Laune?”) zusammen.

Damit wird die überragende Bedeutung von Bildung für den Wohlstand, insbesondere für Deutschland deutlich.

Mit Bildung der Demografie begegnen

Aber abgesehen von dieser elementaren Bedeutung, die der Bildung in Deutschland ohnehin zukommt, wird diese Bedeutung noch doppelt potenziert: einerseits durch den Wandel zur Informationsgesellschaft und andererseits durch die allseits thematisierte demografische Entwicklung der Gesellschaft. Um dem demografischen Wandel zu begegnen bedarf es sicher vieler Antworten. Wird aber nicht rechtzeitig reagiert, droht das Schrumpfen der Wirtschaft(-sleistung) und damit des Wohlstandes nach vorgenannter Definition mit unangenehmen Folgen für die Meisten in diesem Land. Um sich der Demografie entgegenzustellen, muss ein Potenzial genutzt werden: die drastische Reduzierung der hohen Anzahl an Schulabbrechern.

Deutschland kann es sich schlicht nicht mehr leisten, dass Menschen dem ersten Arbeitsmarkt aufgrund des Fehlens eines Schulabschlusses nicht zur Verfügung stehen. Die Stärken der Kinder früh zu entdecken und zu fördern kann dabei ein Schlüssel sein. Die Stärkenförderung hilft ihnen, Selbstbewusstsein aufzubauen, mit dessen Hilfe sie die leistungsschwachen Fächer besser bewältigen können. Die Stärkenförderung fordert wiederum eine Schulprofilvielfalt. Und hier handelt die Politik wieder kontraproduktiv. Anstatt Profilvielfalt über freie Träger und öffentliche Schulen nicht nur zuzulassen, sondern gebotenerweise zu fördern, dämmt sie die Vielfalt bewusst ein, indem sie die Anforderungen an die Schulexistenzgründungskriterien für freie Träger erhöht und bei öffentlichen Schulen und Hochschulen zu jedem Thema die “Es-ist-kein-Geld-da-Melodie” spielt.

Viele aus der Gesellschaft wissen um die Bedeutung der Bildung

Wirtschaftsvertreter haben über die demografische Entwicklung das Thema Bildung auf der Agenda, da sie sich um den Nachwuchs sorgen. Spät genug scheint hier die Bedeutung der Bildung für die eigene Zukunft, der des Wohlstandes und der Gesellschaft allgemein erkannt.

Auch für die Medizin rückt die Bildung von Kindern in den Fokus. Gemäß Wieland Kiess, Leiter der Kinderklinik der Universität Leipzig gehören “Bildung und Gesundheit … einfach zusammen”, da es einen direkten Zusammenhang zwischen Einkommen, Bildungsstatus Gesundheit und Lebensdauer gibt. Kiess fordert eine Bündelung der Aktivitäten, da das Wohlergehen und die Zukunft des Landes darauf beruhen, “dass die Generation von morgen gesund, gut ausgebildet und aktiv ist”. Nur so könne der demografische Wandel gemeistert werden.

Fazit

Die Bildung des Menschen ist das Topthema für die Zukunft Deutschlands. Politiker sollen diesen Stellenwert endlich erkennen oder, haben sie diese Erkenntnis bereits gewonnen, endlich durch Handeln das erforderliche Gewicht zukommen lassen.

Und noch einmal: Bildung ist zu wichtig, um von Finanzbedingungen abhängig gemacht zu werden. Aber selbst wenn man sich auf die Finanzdiskussion einlässt und prüft, ob sich Bildung ökonomisch lohnt (insbesondere die sogenannten Finanzexperten der Politik, die Kämmerer und Finanzpolitiker, sollen sich hier angesprochen fühlen), abschließend nochmal de Haan: “Wer in die Bildung von Kindern zwischen 3 und 6 Jahren investiert erzielt, eine Rendite von 8 Prozent”! Bei einem Fremdkapitalzins von derzeit ca. 3 % ist jeder Kredit, jede Verschuldung gut investiertes Geld und damit nicht nur ökonomisch sinnvoll, sondern inhaltlich “überlebensnotwendig” für Deutschland.

Also Deutschland, betreibe mutig Bildungsverschuldung zugunsten der Zukunft kommender Generationen! Eine andere Alternative gibt es nicht.

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