Die Verbreitung europäischer Waldpflanzen verschiebt sich überraschend nach Westen. Stickstoffeinträge – und in geringerem Maße der Klimawandel – sind die Hauptursachen. Dies sind die Ergebnisse einer in der Zeitschrift „Science“ veröffentlichten Studie, an der drei Forschende des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) beteiligt waren. Die Studienergebnisse widersprechen der Annahme, dass hauptsächlich der Klimawandel für die Verschiebung der Artenverbreitung verantwortlich sei.

Sie werfen ein neues Licht auf die Frage, wie Umweltfaktoren, und insbesondere Stickstoffeinträge, die Artenvielfalt verändern.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Arten nach Westen verlagern, ist laut der neuen Studie 2,6 Mal höher, als dass sie sich nach Norden verlagern. Der Hauptgrund dafür: Hohe Stickstoffeinträge durch Luftverschmutzung, die eine rasche Ausbreitung stickstofftoleranter Pflanzenarten vor allem aus Osteuropa nach Westen ermöglichen. Die Ansiedlung konkurrenzstarker Arten in Gebieten mit hohen Stickstoffeinträgen geht oft auf Kosten hoch spezialisierter Pflanzenarten.

Die Ergebnisse verdeutlichen, dass künftige Biodiversitätsmuster durch komplexe Wechselwirkungen verschiedener Umweltveränderungen bestimmt werden und nicht allein durch den Klimawandel.

„Die Wechselwirkungen des Klimawandels mit historisch wichtigen Faktoren werden häufig übersehen“, sagt Co-Autor Dr. Ingmar Staude, Wissenschaftler bei iDiv und der Universität Leipzig. „Wir können die meisten Arealverschiebungen europäischer Waldpflanzen in den vergangenen Jahrzehnten auf die Stickstoffeinträge zurückführen, und nur in geringerem Maße auf den Klimawandel.

Dies wirft eine wichtige Frage auf: Wie können sich Ökosysteme an steigende Temperaturen anpassen, während die Verschiebungen der Artenvielfalt hauptsächlich durch andere Umweltveränderungen, insbesondere die Luftverschmutzung, verursacht werden?“

Das bessere Verständnis dieser komplexen Wechselwirkungen sei wichtig für Landbewirtschafter und politische Entscheidungsträger, um biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen schützen zu können, sagen die Forschenden.

Wichtigste Ergebnisse:

Europäische Waldpflanzen verschieben ihr Verbreitungsgebiet mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 3,6 Kilometern pro Jahr.

39 % der Pflanzenarten verlagern sich nach Westen. Nach Norden verlagern sich nur 15 % der Arten. Überraschenderweise sind Stickstoffeinträge und nicht der Klimawandel Hauptfaktor für die Verlagerungen der Verbreitungsgebiete.

In der Studie wurden die Verschiebungen im Verbreitungsgebiet von 266 europäischen Waldpflanzenarten über mehrere Jahrzehnte analysiert. An einigen Standorten wurden die ersten Messungen schon 1933 gemacht.

Mehrere der symbolträchtigsten Wälder Europas wurden in diese Studie einbezogen, z.B. der Urwald Białowieża in Polen. Die Studie wurde u.a. von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG; FZT-118) unterstützt. Sie ist ein Produkt der sDiv-Synthesearbeitsgruppe sREplot. iDiv’s Synthesezentrum sDiv finanziert Arbeitsgruppentreffen, bei denen Forschende aus aller Welt gemeinsam wissenschaftliche Fragen bearbeiten.

Originalpublikation: Unexpected westward range shifts in European forest plants link to nitrogen deposition. Science, 2024.

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