Ein internationales Team von Forschenden hat erstmals den Aufbau des Gehirns einer Fruchtfliege (Drosophila melanogaster) rekonstruiert. Die Wissenschaftler/-innen des FlyWire-Konsortiums โ unter ihnen die Biologin Dr. Katharina Eichler von der Universitรคt Leipzig โ erstellten ein sogenanntes Konnektom, einen Schaltplan des Gehirns dieses Insektes. Das gilt in der Fachwelt als Meilenstein, da es sich um den bisher grรถรten jemals erstellten Gehirnschaltplan handelt.
Begleitende Studien demonstrieren die Nรผtzlichkeit des Konnektoms fรผr die Erforschung neuronaler Prozesse und geben einen Einblick, wie diese Ressource das Forschungsfeld revolutionieren wird. Erstmals wurden dazu neun Paper in einer Ausgabe des renommierten Fachjournals โNatureโ verรถffentlicht; an sechs davon war Eichler beteiligt.
Alles, was wir tun, denken oder fรผhlen, entsteht aus den Aktivitรคtsmustern in unserem Gehirn, die von den Verbindungen unserer Gehirnzellen abhรคngen. Viele Neurowissenschaftler/-innen glauben, dass das Verstรคndnis der Gehirnfunktion durch das Kartieren aller Neuronen und Verbindungen des Gehirns โ das Konnektom โ mรถglich wird.
Dies ist eine unfassbar komplexe Aufgabe, da das menschliche Gehirn mehr als 80 Milliarden Neuronen und 100 Billionen Verbindungen enthรคlt. Das Gehirn der Fruchtfliege hingegen enthรคlt eine Million Mal weniger Neuronen als das menschliche Gehirn. Trotzdem kรถnnen Fliegen komplexe Verhaltensweisen wie Navigation, Lernen und soziale Interaktionen zeigen.
In der Zeitschrift โNatureโ beschreiben die Forscher Sven Dorkenwald von der Princeton University (USA), Dr. Philipp Schlegel von der University of Cambridge (Groรbritannien) und ihre Kolleg/-innen die erste vollstรคndige Kartierung des Konnektoms des erwachsenen Drosophila-Gehirns. Die Forscherin Dr. Katharina Eichler vom Institut fรผr Biologie der Universitรคt Leipzig war Teil des internationalen FlyWire Konsortiums.
Das FlyWire-Projekt
Das Projekt basierte auf im Jahre 2018 gesammelten Elektronenmikroskopie-Bildern, die mit neuen Bildgebungstechnologien aufgenommen wurden. Das FlyWire-Team entwickelte Methoden zur prรคzisen Ausrichtung der Bilder und nutzte maschinelles Sehen, um einzelne Neuronen automatisch zu rekonstruieren. Um Fehler zu korrigieren, baute das Team eine computerbasierte Infrastruktur auf, die es Forschenden weltweit ermรถglichte, die Neuronen-Rekonstruktionen zu รผberprรผfen.
Dieses massive Unterfangen fรผhrte letztendlich zum Erfolg: ein vollstรคndiges Drosophila-Gehirn-Konnektom, das etwa 140.000 Neuronen und 54,5 Millionen Synapsen umfasst.
โIn den begleitenden Arbeiten konnte ich als Teil des FlyWire-Teams diese einmalige Ressource nun bereits nutzen, um neuronale Schaltkreise zu verfolgen, Hypothesen รผber ihre Funktion zu generieren und Schaltkreis-Modelle zu erstellen, die auf tatsรคchlicher Konnektivitรคt basierenโ erklรคrt Dr. Katharina Eichler. Langfristig kรถnnte dieser wissenschaftliche Durchbruch ein essenzieller Schritt sein, um eines der grรถรten Rรคtsel der Neurowissenschaften zu beantworten: Wie funktioniert ein Gehirn tatsรคchlich?
โDas Fliegenkonnektom gibt uns Einblicke, wie Informationen im Gehirn verarbeitet und in Verhalten umgewandelt werden. Einige dieser Prinzipien sind wahrscheinlich im menschlichen Gehirn ganz รคhnlich organisiert. Auรerdem wurden durch dieses Projekt viele Techniken entwickelt und Forschungsfortschritte erzielt, die ein wichtiger Schritt in Richtung des Mauskonnektoms oder vielleicht in einigen Jahren auch des menschlichen Konnektoms sindโ, gibt Dr. Katharina Eichler einen Ausblick.
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