Die Europawahl und (hier in Leipzig) die Stadtratswahl sind Geschichte, die Landtagswahl in Sachsen und auch die nächste Bundestagswahl sind nicht mehr weit. Das Gender-Thema hat sich von den Befürwortern auf die Gegner desselben verlagert, niemand redet so oft darüber wie CDU und die Parteien rechts davon. Was von Anfang an auffiel war der Umstand, dass außer einigen Aktivistinnen und Aktivisten aus der Sprachwissenschaft (nein, der Verein Deutsche Sprache betreibt keine solche) die Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler kaum in Erscheinung traten.
Das ist bemerkenswert, schließlich hat das Thema etwas mit deren Forschungsgebiet zu tun.
Wenn dann am 28. Juni 2024 die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig zum Akademie-Forum: „Gender in Grammatik und Sprachgebrauch“ einlud, musste man doch einfach hingehen. Unter diesem Link sind auch die Folien zu den einzelnen Vorträgen zu finden, es ist hier nicht möglich, auf alle Details einzugehen. Kleiner Spoiler: Es war interessant und tatsächlich eine sachliche Diskussion. Wer hier das Aufregerthema sucht, wird nicht fündig.
Leitfäden
Nach einigen einführenden Worten ging es mit Professor Dr. Wolf Peter Klein (Universität Würzburg) los. Das Thema „Leitfäden für geschlechtergerechte Sprache. Eine linguistische Einordnung“ war, wider Erwarten, hochinteressant.
Mit fast taggenauem Stand gab es 1.161 Gender-Leitfäden für die Deutsche Sprache, davon 598 im universitären Bereich. Und gleich zu Anfang stellte Prof. Klein fest, dass Leitfäden keine sprachwissenschaftlichen Stellungnahmen sind. Das ist keine Distanzierung vom Gendern, es ist einfach eine Feststellung.
Normativ sind Leitfäden, entgegen der oft medial verbreiteten These des Zwangs zum Gendern, als Angebote bzw. Empfehlungen auszulegen, nicht als „strenge Regeln.“ Am Ende führte Prof. Klein noch einen, in der Linguistik neuen, Begriff ein, wenn er die Leitfäden als Form der „ambitionierten Sprachbetrachtung“ bezeichnet, da diese im Gegensatz zu den üblichen Sprachthematisierungen nicht beschreiben oder vorschreiben. Sie haben die Ambition, die Sprache grundlegend zu ändern.
Soll sich die Linguistik beteiligen?
Prof. Dr. Alexander Lasch von der TU Dresden ging das Thema in seinem Vortrag anders an. Er fragte: „Soll die Linguistik einen Beitrag leisten zu einer diversitätssensiblen Gesellschaft?“. Er zeigte anhand von Kommentaren in den sozialen Medien, dass es schon bei dem Thema „leichte oder einfache Sprache“ Akzeptanzprobleme gibt.
Wichtig erscheint die Analyse des Anteils der Ansichten für Stellenanzeigen durch Frauen, mit über 118 Millionen Datensätzen von Stepstone. Diese zeigt, dass es Unterschiede für die verschiedenen Formen der Stellenbenennung gibt. Die Studie „Effects of Gender Sensitive Language in Job Listings: a Study on Real-Life User Interaction“ erscheint im August 2024.
Es wird interessant, die komplette Analyse zu sehen. Es wäre ja auch möglich, dass Firmen, die explizit (auch) Frauen wünschen, ihre Stellenanzeigen anders formulieren – abgesehen vom Gendern. Gendern ist also scheinbar doch gesellschaftlich relevanter, als mancher denkt. Nach einigen weiteren Betrachtungen beantwortete Prof. Lasch die eingangs gestellte Frage eindeutig mit: Ja, wir sollen uns beteiligen.
Gender in der Grammatik
Zum Thema „Grammatische Gender-Markierung weltweit“ sprach dann Prof. Dr. Martin Haspelmath vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Es wurde eine Betrachtung zu Themen wie „Natürliches und grammatisches Geschlecht“ in verschiedenen Sprachgruppen und Sprachen, die unterschiedliche Häufigkeit von weiblichen Personenbezeichnungen und weitere. Wir werden demnächst mit ihm dazu sprechen.
Zukunft des Genderns
Last not least sprach Dr. Ewa Trutkowski (Bergische Universität Wuppertal und Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft Berlin) zum Thema „Aufwind oder Gegenwind? Zur Zukunft des Genderns“.
Es war eine Betrachtung zum Gendern im Schnelldurchlauf, beginnend mit dem generischen Maskulinum und der Widerlegung der These vom historisch-sozialen Ursprung. Das generische Maskulinum, aber auch heute verwendete Formen wie „Gästin“ wurden bereits im Althochdeutschen benutzt. Weiter ging es mit „Was ist Gendern?“, einer kurzen, aber inhaltsreichen Beschreibung des Gebrauchs und der Struktur geschlechtergerechter Sprache und der Beschreibung von problematischen Fällen.
Am Ende stand fest: Gendern ist im Sprachgebrauch unökonomisch. Es ist aber ein Zeichen von Höflichkeit und Awareness, was die unökonomische Struktur wieder nichtig machen kann.
Dr. Trutkowski stellte Argumente für und gegen den Sprachwandel gegenüber. Auch wenn es den Anschein hat, dass diese mehr gegen das Gendern sprechen, muss das nicht die Intention der Rednerin sein.
Die anschließende Diskussion war sachlich, nicht konfrontativ, sie beschränkte sich zum großen Teil auf Verständnisfragen zu den Themen.
Fazit: Soll man gendern oder nicht? Die Frage sollte hier nicht beantwortet werden. Es war ein Überblick sprachwissenschaftlicher Betrachtungen zu dem Thema, diese sind auch wichtig.
Der Variante „Entspannt gendern!“ im Vortrag von Prof. Lasch können sich wahrscheinlich viele anschließen.
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