Ein Forschungsteam unter der Leitung des Deutschen Zentrums fรผr integrative Biodiversitรคtsforschung (iDiv) und der Universitรคt Leipzig hat einen Algorithmus entwickelt, der Beobachtungsdaten der App โFlora Incognitaโ analysiert. Daraus lassen sich รถkologische Muster ableiten, die Aufschluss รผber die Auswirkungen des Klimawandels auf die Pflanzenwelt geben. Die Studie wurde im Fachmagazin Methods in Ecology and Evolution verรถffentlicht.
Pflanzen reagieren auf jahreszeitliche Verรคnderungen, etwa indem ihre Knospen aufbrechen, sie Blรคtter austreiben oder blรผhen. Der Klimawandel kรถnnte diese Phasen im Lebenszyklus von Pflanzen verschieben โ und umgekehrt kรถnnen Daten รผber solche phรคnologischen Verรคnderungen an vielen verschiedenen Orten und bei verschiedenen Pflanzen Rรผckschlรผsse รผber die Auswirkungen des Klimawandels erlauben. Doch fรผr solche Analysen werden viele Daten benรถtigt โ ohne die Beteiligung von Bรผrgerwissenschaftlerinnen und Bรผrgerwissenschaftlern wรคre eine Datenerfassung im groรen Stil undenkbar.
โDas Problem ist: Je weniger Menschen sich als Bรผrgerwissenschaftler an solchen Datensammlungen beteiligen, desto stรคrker leidet die Qualitรคt der Datenโ, sagt Erstautorin Karin Mora, Wissenschaftlerin an der Universitรคt Leipzig und bei iDiv.
Mobile Apps wie Flora Incognita kรถnnten hier Abhilfe schaffen. Sie ermรถglichen es den Nutzerinnen und Nutzern, unbekannte Pflanzen, die ihnen in der Natur ins Auge fallen, anhand von Fotos zu identifizieren.
โWenn ich mit der App eine Pflanze aufnehme, dann wird diese Beobachtung mit einem Orts- und Zeitstempel versehenโ, sagt Ko-Autorin Jana Wรคldchen vom Max-Planck-Institut fรผr Biogeochemie (MPI-BGC), die Flora Incognita gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der TU Ilmenau entwickelt hat. โDamit haben sich inzwischen Millionen von zeitgestempelten Pflanzenbeobachtungen aus verschiedenen Regionen angesammelt.โ
Zwar erfassen auch Erdbeobachtungssatelliten die Phรคnologie ganzer รkosysteme von oben, mit den gewonnen Daten lรคsst sich aber nicht so leicht beurteilen, welche Prozesse tatsรคchlich am Boden ablaufen.
Pflanzen reagieren synchron
Die Forschenden entwickelten einen Algorithmus, der auf fast 10 Millionen Beobachtungen von fast 3.000 Pflanzenarten zurรผckgriff, die zwischen 2018 und 2021 รผber die Flora Incognita-App in Deutschland erfolgten. Jede Pflanze verfรผgt รผber einen eigenen Rhythmus, also zum Beispiel eine eigene Blรผhphase oder eine eigene Vegetationsphase.
Die Untersuchungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigten, dass aus diesem individuellen Verhalten ein Gruppenverhalten auftritt. Daraus konnten sie wiederum รถkologische Muster ableiten und untersuchen, wie sich diese innerhalb eines Jahreszyklus verรคndern. So unterscheiden sich etwa รkosysteme am Fluss von denen in den Bergen, wo phรคnologische Ereignisse spรคter einsetzen.
Das Verfahren berรผcksichtigt auch das Beobachtungsverhalten der Nutzerinnen und Nutzer, das โ anders als bei einer klassischen Datenerhebung โ nicht systematisch erfolgt. So werden รผber die App mehr Beobachtungen am Wochenende und in dicht besiedelten Gebieten verzeichnet.
โUnsere Methode kann diese Effekte von den รถkologischen Mustern automatisiert isolierenโ, erklรคrt Karin Mora. โWeniger Beobachtungen bedeuten auch nicht, dass wir die Synchronisation nicht erfassen kรถnnen. Natรผrlich gibt es im tiefen Winter sehr wenige Beobachtungen, aber da gibt es auch nur sehr wenige Pflanzen, die man beobachten kann.โ
Es ist bekannt, dass sich aufgrund des Klimawandels auch jahreszeitliche Verschiebungen ergeben und der Frรผhling immer eher einsetzt โ was das konkret fรผr die Beziehung zwischen Pflanzen und Insekten und somit auch fรผr die Ernรคhrungssicherheit bedeutet, wird derzeit noch erforscht. Mithilfe des neuen Algorithmus lรคsst sich nun besser untersuchen, welche Auswirkungen diese Verรคnderungen auf die Pflanzenwelt haben.
Diese Studie wurde unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG; FZT-118) und durch den iDiv-Flexpool gefรถrdert.
Originalpublikation: Karin Mora, Michael Rzanny, Jana Wรคldchen, Hannes Feilhauer, Teja Kattenborn, Guido Kraemer, Patrick Mรคder, Daria Svidzinska, Sophie Wolf, Miguel D. Mahecha (2024): Macrophenological dynamics from citizen science plant occurrence data. Methods in Ecology and Evolution
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