Das Problem, das viele Leute heute haben, wenn es um den Klimawandel geht, ist nun einmal: Sie haben nie gelernt, die Erde als ein sensibles System zu verstehen, in dem alles aufeinander wirkt und kleine schlechte Gewohnheiten sich zu einem globalen Problem ausweiten können. In der Schule wird es augenscheinlich nicht gelernt. Und die Forschung dazu ist auch überschaubar. Die VolkswagenStiftung will das ändern und fördert jetzt auch eine Junior-Professur in Leipzig.

Erdsystemwissenschaften begreifen die Welt als komplexes System. Phänomene des Anthropozäns, etwa der Klimawandel, sind in diesem Systemgedanken das Ergebnis vielfacher Wechselwirkungen, deren Zusammenspiel die Erdsystemwissenschaften erforschen. Um diese Leitidee in Forschung und Lehre zu etablieren, hat die VolkswagenStiftung sechs Junior-Professuren bewilligt – mit einer Fördersumme von insgesamt rund 10 Millionen Euro.

Die Junior-Professuren sollen wesentlich dazu beitragen, Forschung und Lehre in den Hochschulen neu auszurichten, um eine übergreifende Perspektive auf das System Erde zu entwickeln. Deshalb forderte die Stiftung von den Antragsteller/-innen in der Förderinitiative „Erdsystemwissenschaften“ eine konkrete Forschungsagenda zusammen mit einem übergreifenden Strategiekonzept.

Damit will die Stiftung sicherstellen, dass das Forschungsprojekt in Vernetzungsvorhaben relevanter Forschungsbereiche eingebettet ist. Beantragt werden konnten bis zu 1,5 Millionen Euro für bis zu sechs Jahre Laufzeit.

Sechs der beantragten Projekte hat das Kuratorium der VolkswagenStiftung kürzlich bewilligt. Sie reichen von der Untersuchung klimatischer Einflüsse auf Biodiversität über den Beitrag von Silikatverwitterung auf den CO₂-Ausstoß bis hin zu Plattentektonik und Prozessen im Erdinneren und deren Einfluss auf die Erdatmosphäre – verglichen mit ähnlichen Prozessen auf der Venus.

Das Leipziger CASCADE-Projekt

Eins der bewilligten Projekte ist „CASCADE – Cascading impacts of climate extremes: new perspectives for interlinking Earth System Sciences“ von Dr. Mariana de Brito von der Universität Leipzig, wird mit rund 1,56 Millionen Euro gefördert plus rund 110.000 Euro für die Professur Dr. Miguel Mahecha.

Um die Auswirkungen von Klimaextremen zu beforschen, will Mariana de Brito einen interdisziplinären Ansatz verfolgen, der Sozial- und Naturwissenschaften vereint. Dabei fokussiert sie auf die Folgen von Überschwemmungen und Dürren auf die Gesellschaft. Mithilfe von Zeitungsdaten sowie durch Bürger/-innen- und Expert/-inneninterviews und Umfragen möchte die Forscherin sowohl quantitative als auch qualitative Daten erheben, um auch die Sicht der Bevölkerung auf seltene Ereignisse mit schwerwiegenden Auswirkungen zu erfassen.

Sie möchte wichtige gesellschaftliche und physikalische Treiber identifizieren, die den Auswirkungen von Klimaextremen zugrunde liegen. Dazu setzt sie Computerlinguistik in Form von Natural-Language-Processing und Machine-Learning-Verfahren ein.

Die Junior-Professur wird an der Fakultät für Physik und Erdsystemwissenschaften der Universität Leipzig angesiedelt sein. Durch die neuen Fördermittel will die Universität die Themen „Kopplung der Sphären des Erdsystems“, „Systemische Risiken an der Schnittstelle von Klima- und Biodiversitätswandel unter dem Einfluss menschlicher Aktivitäten“ und „Data Science und KI-Methoden zur Entschlüsselung komplexer Dynamiken“ vertiefen.

Unter anderem sollen eine Seminarreihe und eine Sommerschule dazu beitragen, eine Brücke zwischen der Junior-Professur und den Naturwissenschaften zu schlagen und die Geisteswissenschaften zu integrieren.

„Urban Remote Sensing“ an der Ruhr-Universität

Ein weiteres gefördertes Projekt ist „Urban Remote Sensing“ von Dr. Valerie Graw an der Ruhr-Universität Bochum, da ebenfalls mit rund 1,5 Millionen Euro gefördert wird.

Darum geht es: Ob Menschen in ländlichen oder städtischen Gegenden wohnen – ihr jeweiliges Handeln beeinflusst nicht nur ihre eigene direkte Umgebung, sondern auch Mensch und Umwelt fernab dieser. So wirken etwa städtische Prozesse in diesen hochkomplexen Mensch-Umwelt-Systemen auch immer auf das ländliche System und umgekehrt. Dieses komplexe Zusammenspiel von Menschen und Umwelt bildet den Schwerpunkt der Junior-Professur von Dr. Valerie Graw.

Dabei bezieht sie die planetaren Grenzen in ihre Forschung mit ein und untersucht, welche Risikofaktoren ein stabiles System ins Wanken bringen können. Sowie auch, welche Resilienzansätze es gibt oder geben muss, um bspw. Schäden durch Naturgefahren zu minimieren. In diesem Kontext erforscht sie, wo sichere und wo gerechte planetare Grenzen liegen. Dazu analysiert und verarbeitet sie große Erdbeobachtungs-Datenmengen. Ihre Forschungsräume befinden sich unter anderem in Südamerika und Subsahara Afrika, wo sie auch indigene Gruppen in ihre Arbeit integriert.

Angesiedelt wird die Junior-Professur in der Fakultät für Geowissenschaften, die durch die Bewilligung in einem neuen Programm Maßnahmen in Forschung und Lehre für die Stärkung und den Ausbau der Erdsystemwissenschaften konzipieren und umsetzen wird.

Der Fokus liegt auf sicheren und gerechten planetaren Grenzen für Klima, Biosphäre, Wasser- und Nährstoffkreisläufe sowie Aerosole. Vernetzung, Forschungsdatenintegration, Studium und Lehre sowie Transfer und Kommunikation, bspw. in Form von Pop-Up CityLabs und Lehrer:innenfortbildungen, sind Kernelemente des Konzepts.

Weitere bewilligte Projekte

Building a Future with Earth System Sciences (Dr. Emma Dunne, Universität Erlangen-Nürnberg, rd. 1,45 Mio. Euro; Prof. Dr. Wolfgang Kießling, rd. 220.000 Euro)

Studying palaeoclimate at subannual to interannual resolution applying congruent imaging techniques (Dr. Igor Obreht, Universität Mainz, rd. 1,55 Mio. Euro; Prof. Dr. Denis Scholz, 110.000 Euro)

Soil and landscape dynamics − Quantifying processes in Earth’s Critical Zone (Svenja Riedesel, Ph.D., Universität Köln, rd. 1,47 Mio. Euro; Prof. Dr. Tony Reimann, rd. 210.000 Euro)

EPSS@UFR − Earth and Planetary System Sciences (Dr. Johanna Gülcher, Universität Freiburg, rd. 1,57 Mio. Euro; Prof. Dr. Thomas Kenkmann, rd. 138.000 Euro)

Die VolkswagenStiftung

Die VolkswagenStiftung ist eine eigenständige, gemeinnützige Stiftung privaten Rechts mit Sitz in Hannover. Mit einem Fördervolumen von insgesamt etwa 150 Millionen Euro pro Jahr ist sie die größte private deutsche wissenschaftsfördernde Stiftung und eine der größten Stiftungen hierzulande überhaupt. Ihre Mittel vergibt sie ausschließlich an wissenschaftliche Einrichtungen.

In den mehr als 60 Jahren ihres Bestehens hat die VolkswagenStiftung rund 33.000 Projekte mit insgesamt mehr als 5,5 Mrd. Euro gefördert. Auch gemessen daran zählt sie zu den größten gemeinnützigen Stiftungen privaten Rechts in Deutschland.

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