Vor kurzem veröffentlichte das Bundesjustizministerium den Gesetzesentwurf zur finanziellen Verbesserung für politisch verfolgte Bürger/-innen in der ehemaligen DDR. Viele Betroffene sind nach wie vor benachteiligt. Die gesundheitlichen Folgen politischer Traumatisierung untersuchte ein Forschungsverbund der Universitäten Leipzig, Jena, Magdeburg und Rostock drei Jahre lang. Sein Fazit: Bis heute leiden Menschen an vergangenen Repressionen und müssen sich mit Stigmatisierungen auseinandersetzen.
Die Betroffenen weisen eine hohe Rate für psychische Störungen auf und reagieren in Stresssituationen, knapp 35 Jahre nach der politischen Wende, körperlich wie emotional stärker als ihre Zeitgenoss/-innen.
„Die Geschichten der Opfer von SED-Unrecht sind verstörend. Viele erfahren auch heute noch Ausgrenzung, oft bedingt durch die bürokratischen Strukturen, denen sie ausgesetzt sind“, resümiert Prof. Dr. Georg Schomerus. Der Professor für Psychiatrie an der Universität Leipzig fand heraus, dass es Betroffene beim Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen besonders schwer haben.
„Menschen mit SED-Unrechtserfahrung werden tatsächlich von Mitarbeitern im Gesundheitssystem häufig negativer gesehen als Menschen ohne solche Erfahrungen. Hier muss eine Sensibilisierung für die Bedarfe dieser Gruppe erfolgen“, betont der Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie vom Universitätsklinikum Leipzig.
Eine Vorgeschichte von SED-Unrechtserfahrungen löst bei im Gesundheitssystem Tätigen eine stärkere Ablehnung aus als eine konfliktfreie DDR-Biografie. Das ergab eine Umfrage unter 750 Personen aus dem medizinischen Bereich. Passend dazu berichteten ehemalige Haftopfer im Rahmen der Beantragung von SED-Unrechts-Entschädigungsverfahren von Traumareaktualisierungs- und Retraumatisierungserfahrungen.
Forschende arbeiteten mit verschiedenen Betroffenengruppen zusammen
Die vier Standorte der Universitätsmedizin Jena, Leipzig, Magdeburg und Rostock forschten in zwölf Teilprojekten an verschiedenen gesundheitlich relevanten Themen wie Stigma, Beratung, Begutachtung, psychische und körperliche sowie psychobiologische Folgen. Dafür arbeiteten sie mit verschiedenen Betroffenengruppen zusammen: sogenannte Zersetzungsopfer, Frauen, die von Hepatitis-C-kontaminierter Anti-D-Prophylaxe betroffen sind, und zwangsgedopte Leistungssportler/-innen.
„Unsere Forschungsergebnisse belegen, dass die gesundheitlichen Langzeitfolgen von SED-Unrecht auch heute schweres Leid verursachen. Das betrifft nicht nur ehemals politisch Inhaftierte, die um Wiedergutmachung kämpfen, oft vergeblich und in sich jahrelang hinziehenden Verfahren. Auch Opfer von Schädigungen im Gesundheitswesen, zum Beispiel durch Hepatitisvirus-verseuchte Spritzen, leiden bis heute.
Glücklicherweise gibt es inzwischen spezielle Beratungsangebote und Netzwerke, die den Opfern helfen, und zu deren Verbesserung und Weiterentwicklung wir als Forschungsverbund beitragen“, fasst Prof. em. Dr. Jörg Frommer von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg zusammen. Er hatte das Forschungsprojekt auf den Weg gebracht, das ab dem zweiten Jahr unter der Sprecherschaft von Prof. Dr. Bernhard Strauß vom Universitätsklinikum Jena koordiniert wurde.
Noch viel Unkenntnis über die DDR und die Praktiken der SED
Die in Jena durchgeführten Untersuchungen zu organisierter Gewalt und vor allem die zu nicht-strafrechtlicher Repression belegen, „dass die Folgen des SED-Unrechts auch heute noch sichtbar sind und bestimmte Opfergruppen, allen voran Menschen mit Zersetzungserfahrungen, auch heute noch Auffälligkeiten im Hinblick auf die Stressreagibilität zeigen. Diese wiederum gelten als Risikofaktor für die Entwicklung psychischer, aber auch körperlicher Störungen“, beschreibt Professor Strauß die Ergebnisse.
Ein weiteres Projekt in Jena befasste sich mit der curricularen Weiterbildung für die Fallarbeit. Hierzu resümiert Strauß: „Im Zusammenhang mit Hilfsangeboten in Beratung und Rehabilitierungsverfahren zeigt sich, dass trotz einer guten Struktur von Angeboten, die es in den neuen Bundesländern gibt, noch viel Unkenntnis über die DDR und die Praktiken der SED herrscht, die es gilt, in zukünftigen Fort- und Weiterbildungsveranstaltung gezielt zu beheben.“
Zwei Projekte unter Leitung von Prof. Dr. Carsten Spitzer von der Universitätsmedizin Rostock fokussierten auf minderjährig zwangsgedopte Athlet:innen und ihre Erfahrungen im Leistungssportsystem der DDR. In ihren Lebensgeschichten fand sich ein hohes Ausmaß an biografisch frühen (traumatischen) Belastungen. Die Anzahl von depressiven, Angst- und chronischen Schmerzstörungen lag ein Vielfaches über den Raten in der Allgemeinbevölkerung. Nur bei einer sehr kleinen Minderheit von rund 2 Prozent wurde überhaupt keine psychische Störung im Lebensverlauf diagnostiziert.
Ähnliches berichteten Betroffene der Hepatitis-C-kontaminierten Anti-D-Prophylaxe, deren Kombination aus somatischen und psychischen Schäden zu anhaltender Frustration, Verzweiflung, Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen und zum Rückzug aus dem sozialen Leben führte.
Menschen, die in der DDR unter intensiven nicht-strafrechtlichen Repressionen litten, insbesondere unter „Zersetzung“, reagieren noch heute in Stresssituationen körperlich und emotional sehr intensiv. Sie weisen eine hohe Rate für spezifische psychische Störungen wie Angst, affektive und dissoziative Störungen auf.
Weiterbildungen für andere Berufsgruppen geplant
Ein Fachbeirat, zu dem unter anderem die sechs Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und die SED-Opferbeauftragte, wie auch Personen aus Wissenschaft und Betroffenenverbänden zählen, unterstützte den Forschungsverbund. Die aktuellen Ergebnisse bieten eine entscheidende Grundlage, um curriculare Weiterbildungen für andere Berufsgruppen zu erarbeiten, die mit Betroffenen zusammenarbeiten. Darüber hinaus soll eine Online-Literaturdatenbank künftig dazu dienen, die Forschungsergebnisse weiterzuverbreiten.
Der Forschungsverbund wurde vom Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland gefördert.
In der aktuellen Buchpublikation „Gesundheitliche Langzeitfolgen von SED-Unrecht“ sind die vorliegenden Ergebnisse veröffentlicht. Weitere Informationen zum Verbund findet man unter www.sed-gesundheitsfolgen.de
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