Unwetter, Flutkatastrophen, steigende Temperaturen – die Negativschlagzeilen zum Klimawandel können ein Gefühl der Machtlosigkeit entstehen lassen. Die Sozialpsychologin Dr. Karen Hamann von der Universität Leipzig hat jetzt im oekom Verlag mit anderen Forschenden ein Buch herausgegeben, das zeigt, wie Menschen angesichts der Klimakrise zum gemeinsamen Handeln motiviert werden können, anstatt zu resignieren.
Das Buch „Klimabewegt“ fasst den Kenntnisstand aus wissenschaftlicher Perspektive zusammen und soll gleichzeitig Klimaaktivist/-innen unterstützen.
Der Begriff „Klimaangst“ ging in den vergangenen Monaten durch die Medien. Ist dieses Phänomen durch die Forschung belegt?
Wenn wir Leute fragen, ob sie Angst vor der Klimakrise haben, dann sehen wir hohe Zustimmungsraten, insbesondere bei Jugendlichen. Wenn wir aber zum Beispiel eine klinisch angelehnte Skala anlegen, die misst, ob Menschen emotional und verhaltensbezogen durch die Klimakrise stark belastet sind, ist das meistens weniger der Fall. Klimaangst in diesem Sinne ist also kein psychisches Störungsbild, aber sie hat Anteile, die einer leichten Depression ähneln können.
Was mich interessiert, ist aber die andere Seite der Medaille, nämlich wie die Leute ins Handeln kommen, was Protest und Engagement angeht. Um wirklich aktiv zu werden, braucht es mehr als die Angst.
Was genau braucht es aus Sicht der psychologischen Forschung, damit wir uns für eine Sache einsetzen?
Über verschiedene Bereiche hinweg hat die Forschung drei Motivationssäulen für gesellschaftliches Engagement als essenziell ermittelt, die gelten auch im Klimaschutz.
Die stärkste Säule von allen ist die Identifikation mit sogenannten politisierten Gruppen. Dass ich mich zum Beispiel mit Fridays for Future identifiziere oder mit der Letzten Generation, aber vielleicht auch mit meiner lokalen Nachbarschaftsinitiative, die sich für Ökostrom einsetzt.
Die zweite Säule ist Moral und Wut: Wenn es mich wütend macht, dass es Ungerechtigkeiten gibt in der Bevölkerung oder dass die junge Generation irgendwie benachteiligt ist, dann bin ich eher bereit, auf die Straße zu gehen und mich zu engagieren.
Die dritte Säule ist die Wirksamkeit, also das Gefühl, dass wir als Kollektiv etwas erreichen können und dass ich als Individuum für das Kollektiv einen wichtigen Beitrag leiste.
Da gibt es viele Möglichkeiten, viele Ideen, auf denen Klimagruppen und Menschen, die sich engagieren wollen, aufbauen können.
Ihr Buch nimmt ausdrücklich kollektives Handeln im Gegensatz zur individuellen Verantwortung in den Fokus. Wie gehen Sie persönlich mit der Klimakrise um und was würden Sie anderen raten?
Auch ich treffe sowohl ökologische als auch unökologische Entscheidungen. Manchmal verfallen Freundinnen von mir ins Grübeln und machen sich stundenlang darüber Gedanken, welches Produkt sie kaufen sollen, um ökologisch zu handeln. Ihnen rate ich: Lass den Gedanken zu, was kollektiv passieren müsste, wie sich Strukturen verändern müssten, damit du gar nicht erst in diesen Entscheidungszwang hinein gerätst.
Wenn eine Gruppe es schafft, dass sich Strukturen verändern, dann beeinflusst das gleich so viel mehr Individuen, die sich nicht den Kopf darüber zerbrechen müssen, ob sie heute die Plastiktüte entgegennehmen oder nicht. Welche Gruppen spiegeln das wider, wofür du stehst? Wo würdest du dich wirksam fühlen?
Wenn ich merke, eine private Entscheidung kostet mich zu viel Kraft, gehe ich auf jeden Fall in diesen Reflexionsprozess rein: Ist es das jetzt gerade wert oder sollte ich nicht lieber meine Kraft in etwas anderes stecken, zum Beispiel gemeinsam mit anderen an einem Buch zur Bekämpfung der Klimakrise zu arbeiten?
In den Medien wird oft mit negativen Begriffen wie „Klimakollaps“ gearbeitet. Wie wirkt sich die öffentliche Berichterstattung auf unsere Haltung zur Klimakrise aus?
Ich würde sagen, es ist abhängig davon, ob man dem Publikum gleichzeitig ein Gefühl der Wirksamkeit und vielleicht auch der Hoffnung vermitteln kann oder ihm auch die Möglichkeit gibt, seine Wut zu äußern. Wenn wir mit angsterfüllten Botschaften konfrontiert werden und nicht wissen, was wir tun sollen, dann haben wir eher die Neigung, uns zurückzuziehen und gar nichts zu tun.
Wir brauchen konstruktiven Journalismus, es braucht positive Geschichten, die die Leute auch motivieren. Ich habe letztens einen Film gesehen, der sich 88 Minuten lang um die Klimakrise drehte und darum, wie schlimm es wird. Erst in den letzten zwei Minuten wurde gesagt, wo es einen Funken Hoffnung gibt – dies ist nicht genug. Um wirklich aktiv zu werden, braucht es mehr als die Angst.
Die Fragen stellte Nina Vogt von der Medienredaktion der Uni Leipzig.
Publikation: Das Buch „Klimabewegt: Die Psychologie von Klimaprotest und Engagement“ ist 2024 im oekom Verlag erschienen. Dr. Karen Hamann gehört zum sechsköpfigen Herausgeber/-innen-Team des Wandelwerk e.V., das sich aus Forschenden und Absolvent/-innen der Psychologie zusammensetzt.
Die Publikation ist laut Hamann sowohl populärwissenschaftlich lesbar als auch wissenschaftlich nutzbar. Es bietet erstmals einen Überblick über das Forschungsfeld Klimaengagement und Klimaprotest aus psychologischer Sicht. Gleichzeitig war es den Autor:innen wichtig, die Inhalte praxisnah und für Laien verständlich darzustellen.
Ein ausführliches Interview mit Dr. Karen Hamann – unter anderem zur Rolle von Identifikationsfiguren in der Klimabewegung und zum Verhältnis von Wissenschaft und Aktivismus – findet man auf der Webseite der Universität Leipzig.
Keine Kommentare bisher
Das stimmt Angst und Glaube in Kombination bewirken viel Gutes als auch Schlechtes. Die letztendlich über den Hafen von Genua nach Nordafrika verschifften Kinderkreuzzügler glaubten in Tunis dann auch in Jerusalem zu sein.