Arbeitsvertrรคge werden in Deutschland meist unbefristet abgeschlossen, das ist ein Konsens, aber keine rechtliche Grundlage. Rechtliche Grundlagen gibt es fรผr befristete Arbeitsvertrรคge im Teilzeit- und Befristungsgesetz, speziell fรผr den wissenschaftlichen Nachwuchs gibt es das Gesetz mit dem monstrรถsen Titel Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG). Seit langem wird darum gerungen dieses zu reformieren, jetzt ist eine Reform absehbar.
Diese hat bereits das Bundeskabinett passiert und wird von der Bildungsministerin beschrieben mit โMit der Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes leisten wir einen wesentlichen Beitrag, um die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft zu verbessern. Wir wollen insbesondere die Planbarkeit und Verlรคsslichkeit fรผr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in frรผhen Karrierephasen erhรถhen.โ
Das klingt gut, Akteure aus dem Wissenschaftsbereich, besonders betroffene Menschen, sehen das anders.
Die LZ hatte bereits 2015, im Print (siehe Bild) unter โKeine Zeit zum Nachdenkenโ und online unter โGrรผne fordern Mindeststandards fรผr Arbeitsverhรคltnisse der wissenschaftlichen Mitarbeiterโdas Thema aufgenommen, es ist wirklich kein neues Thema.

2021 gab es in den sozialen Medien eine Aktion unter dem Hashtag #ichbinhanna, der 2023 von Professoren deutsche Universitรคten unter #profsfuerhanna aufgenommen wurde. Inzwischen hat sich mit RespectScience e.v. ein Verein gegrรผndet. Laut Selbstbeschreibung ein interdisziplinรคres Team aus jungen und angehenden Wissenschaftler/-innen, die sich fรผr eine Verbesserung der Wissenschaftslandschaft in Deutschland einsetzen.
Was kritisieren die Betroffenen an der Reform des WissZeitVG? Wir haben dazu bei RespectScience und beim Mittelbau der Universitรคt Leipzig, Herr Marten Winter nachgefragt. Die Fragen an RespectScience und Mittelbau wurden schriftlich gestellt und beantwortet.
Das Fazit aus den unten stehenden Antworten ist eindeutig: Es bedarf einer grundlegenden รnderung des WissZeitVG bzw. generell des Umgangs mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs, um den Wissenschaftsstandort Deutschland auf hohem Niveau zu halten. Wenn der wissenschaftliche Nachwuchs keine Chance hat im Wissenschafts- und Forschungsbereich, unter guten Bedingungen, zu arbeiten, dann schadet das uns allen.
Fragen und Antworten von RespectScience e.V.
Wie ist der Gesetzentwurf aus Ihrer Sicht einzuschรคtzen?
Die Bundesregierung hat sich auf einen Gesetzentwurf fรผr eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) geeinigt. Dass dieser exakt dem Referentenentwurf des Bundesministeriums fรผr Bildung und Forschung (BMBF) vom Juni 2023 entspricht, ist unakzeptabel. Dieser Entwurf bedroht sowohl die Vereinbarkeit von Leben und Beruf als auch die Qualitรคt von Forschung und Lehre massiv.
Die รผberwiegende Mehrzahl der 76 Stellungnahmen zum im Juni 2023 vorgelegten Referentenentwurf sieht zwar die vorgeschlagene Regelung zu Mindestvertragslaufzeiten fรผr wissenschaftliche Mitarbeiter/-innen und studentische Beschรคftigte als Schritte in die richtige Richtung, kritisiert aber scharf die geplante Verkรผrzung der Hรถchstbefristungsdauer nach der Promotion von sechs auf vier Jahre, ohne dass die Hochschulen und Forschungseinrichtungen verpflichtet werden, den Postdocs entweder eine unbefristete Beschรคftigung oder zumindest eine verbindliche Zusage zur Entfristung bei Erfรผllung festgelegter Kriterien anzubieten.
Eine Anschlusszusage soll erst dann verbindlich werden, wenn eine weitere Befristung von maximal zwei Jahren nach Ablauf der vier Jahre angeboten wird. Eine pauschale Befristung aufgrund von Qualifizierung ist nach der Promotion nicht mehr angemessen. Bereits heute stellen Wissenschaftler/-innen in befristeten Arbeitsverhรคltnissen ihre Familienplanung zurรผck und halten sich mit wissenschaftlicher Kritik zurรผck, um ihren unsicheren Arbeitsplatz bzw. die Chancen auf eine Anschlussbeschรคftigung nicht zu gefรคhrden.
Diese gravierenden Auswirkungen dรผrften zunehmen, wenn Postdocs kรผnftig bereits nach vier statt nach sechs Jahren eine Weiterbeschรคftigung versagt wird. Da die Verpflichtung zu einer Anschlusszusage erst nach vier Jahren deutlich zu spรคt kommt, um die Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu einer anderen Personalpolitik zu bringen, wรผrde sich die prekรคre Lage der Postdocs weiter verschรคrfen.
Fraglich ist, ob in diesem System รผberhaupt noch genug berufungsfรคhige Postdocs in der Wissenschaft blieben. Bereits heute ist eine wissenschaftliche Laufbahn in Deutschland fรผr immer weniger Wissenschaftler/-innen attraktiv.
Es ist schlicht unverstรคndlich, dass die ausfรผhrlich vorgetragene Kritik von der Bundesregierung entweder nicht verstanden oder absichtlich nicht gehรถrt wird. Die angedachte Regelung schadet den Wissenschaftler/-innen, die in der Rush Hour des Lebens in hรถchstem Konkurrenzdruck von Befristung zu Befristung eilen. Vor allem Menschen mit Kindern, unsicherem Aufenthaltstitel oder Behinderung drohen das Rennen systematisch zu verlieren.
Eine solche Regelung schadet auch der Forschung sowie der Lehre fรผr rund drei Millionen Studierende, weil die permanente Weiterbewerbung und kurze Vertragslaufzeiten eine vertiefte Entwicklung in der wissenschaftlichen Arbeit geradezu verhindern. Auch die Erwartung, dass wenigstens die Tarifsperre abgeschafft wird, wurde enttรคuscht.
Den Gewerkschaften soll weiter ihr Grundrecht verwehrt bleiben, mit den Arbeitgebern sachgerechte Befristungsregelungen fรผr ihre Mitglieder auszuhandeln.
Fรผhrt die Verkรผrzung der Befristungszeiten in der Postdoc-Phase von sechs auf vier Jahre, die die Ministerin als Fortschritt bezeichnet, zu einer schnelleren Festanstellung, oder schneller in die Erwerbslosigkeit?
Die verkรผrzte Befristungszeit fรผhrt schneller in die Erwerbslosigkeit, denn das BMBF gibt selbst zu, dass das WissZeitVG keine unbefristeten Stellen schafft.
Die nach wie vor zerstรผckelte Finanzierung von Forschung durch vor allem temporรคre Fรถrdergelder macht es Universitรคten in der Praxis kaum mรถglich, unbefristete Arbeitsvertrรคge einzuplanen.
Die Postdoc-Phase ist ja nur eine Baustelle, es geht ja auch um Promovierende und studentische Hilfskrรคfte, die von einer Befristung zur anderen bangen. Wie ist der Stand fรผr diese?
Der Gesetzesentwurf enthรคlt eine Mindestvertragslaufzeit fรผr Promovierende von drei Jahren, die allerdings typische Projektdauern von vier Jahren und typische Promotionsdauern von vier bis sechs Jahren unterschreitet. Es wird weiterhin ignoriert, dass Promovierende nur wenig Zeit fรผr Ihre eigentliche Promotion haben, da sie stรคndig Lehre und andere Aufgaben fรผr Professor/-innen leisten mรผssen.
Die Mindestvertragslaufzeit fรผr studentische Hilfskrรคfte betrรคgt ein Jahr. Sie liegt unter den vom TVStud-Bรผndnis geforderten zwei Jahren und macht somit die finanzielle und thematische Studienplanung unnรถtig schwer. Es gibt Studierende die auf eine gute Planbarkeit angewiesen sind, um sich ein Studium รผberhaupt leisten zu kรถnnen.
Welche konkreten Forderungen haben Sie an das Ministerium, um die Lage der Betroffenen zu verbessern?
Wir fordern:
1. Vertrรคge fรผr Promovierende, die den tatsรคchlichen Promotionszeiten entsprechen โ also sechs, mindestens jedoch vier Jahre Regellaufzeit.
2. Dauerstellen fรผr Daueraufgaben in Lehre und Forschung: Zeitvertrรคge sind nur fรผr die Qualifizierungsphase gerechtfertigt โ diese ist mit der Promotion abgeschlossen.
3. Nach der Promotion entweder unbefristete Beschรคftigung oder eine verbindliche Zusage zur Entfristung bei Erfรผllung festgelegter Kriterien.
4. Die Streichung der Tarifsperre ohne Wenn und Aber: Gewerkschaften und Arbeitgeber mรผssen Verbesserungen fรผr die Beschรคftigten aushandeln dรผrfen โ so wie in anderen Branchen auch.
5. Einen verbindlichen Nachteilsausgleich bei Kinderbetreuung, Pflege von Angehรถrigen, Behinderung und chronischer Erkrankung sowie bei Nachteilen aus der Corona-Pandemie.
6. Eine Regelvertragslaufzeit von mindestens zwei Jahren fรผr studentische Beschรคftigte.
Fragen und Antworten von Universitรคt Leipzig Mittelbau
Wie ist der Gesetzentwurf aus Ihrer Sicht einzuschรคtzen?
Ich persรถnlich und sicher ist das auch die Meinung der meisten meiner Mittelbaukolleg/-innen sehen diesen Entwurf als schwach an und wir befรผrchten, dass es nicht zur Verbesserung der Situation fรผhren wird. Grundsรคtzlich sind Mindestlaufzeiten in den verschiedenen Karrierephase zu begrรผรen. Doch das war es dann auch schon.
Vor allen Dingen wird der Druck auf die Institutionen jetzt noch stรคrker aufgrund der รnderungen der Postdoc-Phase. Aber da sich die Finanzlage und wahrscheinlich auch nicht die Einstellung der Institutionen (z.B. Unis), wie und wann man wissenschaftliches Personal entfristen sollte, befรผrchten wir, dass es noch schneller zu Personalwechseln kommen wird.
Ein Gesetz ist gut und schรถn (dieses leider nicht), aber es regelt nun mal nicht, z.B. die Finanzen einer Universitรคt. Das ist Lรคndersache und die der Unis. Hier herrscht Autonomie und zusรคtzlich, รคndert sich ja auch nicht das Verhรคltnis zwischen Drittmitteln und Haushaltsmitteln.
Wenn z.B. Unis sich nicht Prozessen zur Profilschรคrfung stellen und damit, ggf. entfristete Stellen eher besetzen wollen & kรถnnen, da diese dem zukรผnftigen Profil entsprechen, wird das Argument des โVerstopfenโ und der โfehlenden Flexibilitรคtโ mit zu vielen permanent besetzten Stellen weiter bestehen bleiben. Wir hoffen auch hier auf weitere groรflรคchig verteilte Mittel fรผr zusรคtzliche Tenure Track Stellen.
Aber auch das muss natรผrlich danach von z.B. den Unis finanzierbar sein.
Fรผhrt die Verkรผrzung der Befristungszeiten in der Postdoc-Phase von sechs auf vier Jahre, die die Ministerin als Fortschritt bezeichnet, zu einer schnelleren Festanstellung, oder schneller in die Erwerbslosigkeit?
Wir kรถnnen natรผrlich nicht die Zukunft vorhersagen. Aber wie gesagt, wir befรผrchten, dass es nicht zur Verbesserung der Anstellungssituation fรผhren wird, also Vertrรคge, die nach 4 Jahren schon beendet werden. Nichtsdestotrotz, heiรt das ja nicht notwendigerweise Erwerbslosigkeit.
Es wird jetzt noch schwieriger in einer kรผrzeren Postdoc-Phase sich zu entwickeln, also zu lehren, zu forschen, zu publizieren, zu betreuen und sich dann noch um Anschlussjobs zu kรผmmern, also Antrรคge und Bewerbungen schreiben. Darรผber hinaus fragen wir uns, was mit der Habilitation passiert ist? Wie und vor allen Dingen wann soll diese noch mรถglich sein?
Postdoc-Phase ist ja nur eine Baustelle, es geht ja auch um Promovierende und studentische Hilfskrรคfte, die von einer Befristung zur anderen bangen. Wie ist der Stand fรผr diese?
Hier hoffen wir auf eine Verbesserung der Situation (wie ja auch die, die dieses Gesetz sich ausgedacht haben), vor allem fรผr Promovierende. Aber auch hier, wird es zu Problemen kommen. Aus meiner beruflichen Erfahrung wollen z.B. StudentInnen sehr oft sogar nur Kurzzeitvertrรคge als รberbrรผckung zwischen z.B. Studium und Beenden der Masterarbeit etc. Hier wird es Probleme und vor allem erheblichen Mehraufwand auf allen Seiten geben, diese Kurzzeitvertrรคge umzusetzen. Nicht alle StudentInnen wollen und kรถnnen lรคngerfristig arbeiten.
Welche konkreten Forderungen haben Sie an das Ministerium, um die Lage der Betroffenen zu verbessern?
Eine Hรถchstbefristungsquote oder Mindestquote fรผr Entfristung, wie gerade in Hessen geschaffen wurde. Und natรผrlich, ein offener Diskurs mit den eigentlichen Institutionen, wie diese jetzt das Gesetz umsetzen wollen, um die Situation der WissenschaftlerInnen zu verbessern. Das kรถnnen die Lรคnderministerien zumindest einfordern.
Weiterhin wรคre natรผrlich, wie immer, eine finanzielle Aufstockung in Richtung Tenure Track Stellen sehr hilfreich. Die meisten Unis kรคmpfen mit Unterfinanzierung, um den Spagat zwischen guter Lehre (wir brauchen gute ausgebildete Lehrer!), Forschung und dem Streben nach erfolgreicher Beteiligung an der Exzellenzinitiative zu meistern. Das geht meistens nicht gut und zu Lasten der Angestellten.
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