In Jäger- und Sammlergesellschaften bilden bereits Kinder geschlechtsspezifische Fähigkeiten zur Nahrungssuche aus, um besondere Nahrung verfügbar zu machen. Diese Errungenschaft sowie das Teilen von Nahrung könnte es der menschlichen Spezies ermöglicht haben, ein wesentlich größeres Gehirn zu entwickeln als unsere nächsten lebenden Verwandten. Zu diesem Schluss kommen Forschende mehrerer Forschungseinrichtungen auch aus Leipzig.
So der Universität Amsterdam (UvA), des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie, des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Eine stabilere Energie- und Nährstoffversorgung könnte eine größere Investition in das Gehirn ermöglicht haben. Die Studie wurde in der Zeitschrift Frontiers in Ecology and Evolution veröffentlicht, teilt das iDiV mit Hinweis auf eine Medienmitteilung der Universität Amsterdam mit.
Besondere Nahrung für ein besonderes Organ
Die Gehirne von Menschen sind dreimal so groß wie die anderer Primatenarten. Es wird angenommen, dass eine vielfältige, hochwertige Ernährung und eine lange Kindheit mit ausreichend Zeit zum Erlernen komplexer Fähigkeiten zum Nahrungserwerb wichtige evolutionäre Faktoren für unsere großen Gehirne sind.
Im Gegensatz zu anderen Primaten zeichnet sich die menschliche Ernährung durch eine große Vielfalt an hochwertigen und schwer zu beschaffenden Nahrungsmitteln aus, wie etwa Fleisch, Fisch und Raupen sowie unterirdische Knollen oder viele Arten von Nüssen. Um diese sammeln zu können, bedarf es komplexer Fähigkeiten zur Nahrungssuche, die vermutlich schon im frühen Alter entwickelt werden.
Um besser zu verstehen, wie der Mensch diese Fähigkeiten erlernt, begleitete das internationale Forscherteam ein Jahr lang 27 Kinder einer modernen Sammlergesellschaft in der Republik Kongo. Die BaYaka beginnen bereits im Alter von fünf Jahren mit der selbstständigen Nahrungssuche in Gruppen von Gleichaltrigen. Die Forschenden untersuchten die Methoden der Kinder bei der Nahrungssuche, die Zusammensetzung ihrer Nahrung und ihr Wissen über die Pflanzenwelt auf ihren täglichen Ausflügen.
Neben der Beobachtung des Verhaltens führten sie auch Nährwertanalysen der gesammelten Nahrung durch. Zu diesem Zweck arbeiteten die Forscher interdisziplinär mit einem Botaniker und kognitiven Verhaltensökologen der Universitäten Leiden und Amsterdam, chemischen Ökologen des iDiv, der Universität Jena und des UFZ, Anthropologen des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Ernährungsökologen des Charles Perkins Centre der Universität Sydney zusammen. Die Feldarbeit ergab einen einzigartigen Datensatz mit 798 Stunden Beobachtung.
Die BaYaka-Kinder verbrachten ein Drittel ihrer Zeit mit der Suche und Beschaffung von Nahrung. Die Hälfte davon suchten sie unabhängig von Erwachsenen und zeigten ein hohes Maß an Selbstständigkeit. „Ich war beeindruckt, wie geschickt die Kinder schon in einem sehr jungen Alter waren“, sagt Jorin Veen, Erstautor der Studie, der diese Untersuchung im Rahmen seiner Masterarbeit an der UvA durchgeführt hat.
„Der Großteil der Nahrung waren Fallfrüchte, Samen und Knollen, aber die Kinder kletterten auch auf 40 Meter hohe Bäume, um Honig oder Früchte zu sammeln, was mitunter sehr riskant sein kann.“
Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen
Die Ergebnisse zeigten eine früh einsetzende Spezialisierung bei der Nahrungssuche. Gruppen mit mehr Jungen ernährten sich eher von Früchten und Samen, was oft riskante Kletterkünste erfordert, während Gruppen mit mehr Mädchen eher Knollen sammelten.
„Die Knollen zu sammeln erfordert außergewöhnliche Grabungsfähigkeiten, da die Liane, die zu den unterirdischen Knollen führt, nicht leicht zu erkennen und zu verfolgen ist“, erklärt Prof. Karline Janmaat, Betreuerin der Erstautorin und Forscherin am Institut für Biodiversität und Ökosystemdynamik der UvA.
„Diese frühe geschlechtsspezifische Spezialisierung der Fähigkeiten zur Nahrungssuche in Verbindung mit dem hohen Grad an Nahrungsaustausch in Jäger- und Sammlergesellschaften ermöglicht der menschlichen Spezies wahrscheinlich eine stabilere Energie- und Nährstoffversorgung – und die könnte es uns letztlich ermöglicht haben, uns ein wesentlich größeres Gehirn zu leisten als andre Primaten.“
„Unsere Analysen ergaben, dass vor allem die Früchte, die 40 Prozent der Ernährung der Kinder ausmachten, im Vergleich zu anderen pflanzlichen Nahrungsmitteln mehr Zucker, vor allem Glukose und Fruktose, enthielten“, sagt Mitautorin Prof. Nicole van Dam. „Kein Wunder, dass sie sich so sehr bemühten, sie zu beschaffen.“
Van Dam, die die chemischen Analysen betreute, war bis Oktober 2022 Leiterin der Arbeitsgruppe Molekulare Interaktionsökologie am iDiv. Danach übernahm sie die Leitung des Leibniz-Instituts für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ) in Großbeeren und hält gleichzeitig ihre Professur an der Universität Jena.
Diese Forschung wurde u.a. von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG; FZT-118) finanziert.
Originalpublikation: Jorin Veen, Haneul Jang, David Raubenheimer, Bryndan O.C.M. van Pinxteren, Vidrige Kandza, Patrick G. Meirmans, Nicole M. van Dam, Susanne Dunker, Petra Hoffmann, Anja Worrich, Karline R.L. Janmaat (2023) „Development of embodied capital: diet composition, foraging skills, and botanical knowledge of forager children in the Congo Basin”, Frontiers in Ecology and Evolution.
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