Die Menschen leben immer weiter von Naturräumen entfernt und beschäftigen sich tendenziell auch seltener mit der Natur. Zu diesem Ergebnis kommt eine Metastudie eines deutsch-französischen Forscherteams am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Universität Leipzig und der Station für theoretische und experimentelle Ökologie (SETE – CNRS). Die Forschenden betonen, dass die Entwicklung umweltfreundlichen Verhaltens maßgeblich von diesen Naturerfahrungen abhängt.

Und damit die Bewältigung der globalen Umweltkrisen. Die Studie wurde in Frontiers in Ecology and the Environment veröffentlicht.

Die Annahme, dass die Menschen weltweit immer weniger Naturerfahrung machen, ist weit verbreitet, aber es gibt kaum empirische Beweise dafür. Um Anhaltspunkte zu erhalten, untersuchte das deutsch-französische Forschungsteam zunächst, wie sich die durchschnittliche Entfernung zwischen dem Wohnort eines Menschen und dem nächstgelegenen naturnahen Gebiet im vergangenen Jahrzehnt weltweit verändert hat.

Sie fanden heraus, dass die Menschen heute im Durchschnitt 9,7 Kilometer von einem Naturgebiet entfernt leben, was einer Vergrößerung der Distanz um 7 Prozent im Vergleich zum Jahr 2000 entspricht. In Europa und Ostasien ist diese durchschnittliche Entfernung, etwa mit 22 Kilometern in Deutschland und 16 Kilometern in Frankreich, am größten.

„Auffallend ist, dass alle anderen Länder der Welt einem ähnlichen Muster folgen“, erklärt Erstautor Dr. Victor Cazalis, Postdoktorand am iDiv und an der Universität Leipzig.

Weniger Bäume und weniger Zugang zu Grünflächen

Die Autor/-innen konnten auch zeigen, dass der Baumbestand in den Städten seit dem Jahr 2000 weltweit zurückgegangen ist, insbesondere in Zentralafrika und Südostasien.

„Dieser Befund deutet darauf hin, dass auch die Möglichkeiten für die Stadtbevölkerung, Zugang zu Grünflächen zu erhalten, abnehmen“, sagt Dr. Gladys Barragan-Jason, Forscherin an der Station Theoretische und Experimentelle Ökologie und Mitautorin der Studie.

„Wir schlussfolgern, dass die Zerstörung von Naturräumen in Verbindung mit einem starken Anstieg der städtischen Bevölkerung zu einer wachsenden räumlichen Distanz zwischen Mensch und Natur führt, insbesondere in Asien, Afrika und Südamerika.“

In derselben Studie suchten die Forschenden systematisch nach wissenschaftlichen Veröffentlichungen, in denen ein Trend zu Naturerlebnissen untersucht wurde: von direkten Erlebnissen wie Wanderungen in Nationalparks bis hin zu stellvertretenden Erlebnissen, etwa Naturkulissen in kulturellen Produkten wie Zeichentrickfilmen, Computerspielen oder Büchern.

Sie fanden heraus, dass die Zahl der Studien, die diese Trends untersuchten, sehr gering war (N=18), und überwiegend in den USA, Europa und Japan durchgeführt wurden. Jede Behauptung, dass Naturerlebnisse zurückgingen, sei entsprechend unzureichend belegt. Es seien mehr Studien zu dieser Frage nötig, insbesondere in Afrika, Lateinamerika und Asien.

Studienlage zu Naturerlebnissen nicht eindeutig

Die 18 gefundenen Studien zeigen zum Beispiel einen Rückgang der Besuche in Naturparks in den USA und Japan, einen Rückgang der Campingaktivitäten in den USA sowie eine geringere Anzahl von Blumenarten, die von japanischen Kindern beobachtet wurden. Außerdem fänden sich in Romanen, Liedern, Kinderbüchern und Zeichentrickfilmen tendenziell immer weniger Naturbilder (wie zum Beispiel auch eine iDiv-Studie aus dem Jahr 2021 zeigt).

Während diese Beispiele auf einen Rückgang der Naturbezüge hindeuten, stagnieren andere Interaktionen oder nehmen sogar zu. So erfreuen sich Dokumentationen über Wildtiere oder Videospiele mit Wildtieren größerer Beliebtheit als noch vor einigen Jahren.

„In den letzten Jahrzehnten sind ĂĽber digitale Medien sicherlich neue Möglichkeiten entstanden, sich mit der Natur auseinanderzusetzen“, sagt Gladys Barragan-Jason. „Mehrere frĂĽhere Studien zeigen jedoch, dass diese ,Naturerlebnisse’ unser NaturverbundenheitsgefĂĽhl weniger fördern als direkte Naturerlebnisse.“

„Gute Verbindung zur Natur aufrechterhalten“

„Zu wissen, wie sich die Menschen mit der Natur beschäftigen, ist essenziell, denn davon hängt ab, welche Beziehung wir zur Natur haben und wie wir mit ihr umgehen“, sagt Victor Cazalis vom iDiV.

„Wir mĂĽssen eine gute Verbindung zur Natur aufrechterhalten, um die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen möglich zu machen. Nur dann kann die Menschheit bis 2050 in Harmonie mit der Natur leben’, wie es unsere Regierungen mit dem Global Biodiversity Framework anstreben, das derzeit auf der COP15 des Ăśbereinkommens ĂĽber die biologische Vielfalt diskutiert wird.“

Diese Forschung wurde unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft durch die UnterstĂĽtzung von sDiv, dem Synthesezentrum am iDiv (DFG; FZT-118), finanziert.

Originalpublikation in „Frontiers in Ecology and the Environment“: A global synthesis of trends in human experience of nature

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