Der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin geht in diesem Jahr an Svante Pääbo. Zu seinen bedeutendsten wissenschaftlichen Erfolgen zählt die Entschlüsselung des Neandertaler-Genoms. „Seine Arbeiten haben unser Verständnis der Evolutionsgeschichte der modernen Menschen revolutioniert“, erklärte am Montag, 3. Oktober, Martin Stratmann, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, als die Preisverleihung bekannt wurde.

So habe Svante Pääbo zum Beispiel nachgewiesen, dass Neandertaler und andere ausgestorbene Hominiden einen wesentlichen Beitrag zur Abstammung der heutigen Menschen geleistet haben.

„Svante Pääbo ist ein begnadeter Wissenschaftler, der über Jahrzehnte akribisch und zielstrebig gearbeitet hat. Er hat eine Disziplin in den Fokus gerückt, die bis dato nur sehr wenigen Menschen etwas sagte. Mit seinen Forschungen auf dem Gebiet der Paläogenetik hat er unseren innersten Kern – unsere DNA – ins Verhältnis gesetzt: in uns lebt der Neandertaler weiter. Er ist nicht ausgestorben, sondern ist Teil unseres Erbes.

Pääbo belegt, dass es keine starren Grenzen zwischen den Menschen gibt. Der Austausch ist unsere Konstante“, erklärte Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung. „Svante Pääbos zweiter Verdienst hängt unmittelbar damit zusammen: Er kann seine Forschung erklären. Er macht sie anschaulich und bildhaft. Der Nobelpreis krönt seine jahrzehntelange Arbeit. Und Leipzig darf stolz sein, ein wenig dazu beigetragen zu haben.“

Svante Pääbo war 2003 mit dem Wissenschaftspreis der Stadt Leipzig, der Universität Leipzig und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet worden.

Svante Pääbos Leipziger Forschungen

Nach seinem Ägyptologie-Studium in Uppsala, einer Promotion über DNA in altägyptischen Mumien und Forschungsaufenthalten an der University of California in Berkeley und an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wechselte Pääbo 1997 als einer von fünf Direktoren an das neu gegründete Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, wo er bis heute tätig ist.

Hier gelang ihm der Nachweis, dass die DNA der Neandertaler sich deutlich unterschied vom Erbgut heutiger Menschen. Damit war erwiesen, dass Neandertaler nicht die direkten Vorfahren jetziger Menschen sind. Aber da die DNA-Sequenzierungsmethoden Anfang der 2000er-Jahre viel effizienter wurden, konnte Pääbo nun beginnen, das komplette Genom der Neandertaler zu sequenzieren, das im Zellkern vorhanden ist.

Arbeiten mit winzigen Fragmenten

Die Schwierigkeit dabei beschreibt das Max-Planck-Institut so: „Die Knochen von Neandertalern sind nach Jahrtausenden im Boden von Bakterien und Pilzen derart stark besiedelt, dass bis zu 99,9 Prozent der darin gefundenen DNA von Mikroben stammt. Zudem liegen die geringen Mengen verbliebener Neandertaler-DNA nur in kurzen Bruchstücken vor, die wie ein gigantisches Puzzle zusammengesetzt werden müssen. Viele Wissenschaftler glaubten, diese Aufgabe sei unlösbar.“

Doch Pääbos Team arbeitete unter „Reinraum-Bedingungen“, wie sie in der Chip-Industrie üblich sind.

„So konnten sie verhindern, dass sie versehentlich ihre eigene DNA in die Versuche einbrachten. Darüber hinaus entwickelten sie effizientere Extraktionsmethoden, die die Ausbeute der Neandertaler-DNA verbesserten. Komplexe Computerprogramme, die die DNA-Schnipsel der altertümlichen Knochen mit Referenz-Genomen von Schimpansen und Menschen verglichen, halfen dabei, das Genom der Neandertaler zu rekonstruieren“, so das Max-Planck-Institut.

Ein völlig neues Forschungsfeld

Svante Pääbo, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, gilt heute als Begründer der Paläogenetik.

2010 gelang es Svante Pääbo und seinem Team, eine erste Version des Genoms der Neandertaler aus Knochen zu rekonstruieren, die Zehntausende von Jahren alt sind. Die Vergleiche des Neandertaler-Genoms mit den Genomen heutiger Menschen ergaben, dass moderne Menschen und Neandertaler bei ihrem Zusammentreffen vor rund 50.000 Jahren gemeinsamen Nachwuchs gezeugt hatten, als moderne Menschen Afrika verließen und in Europa und Asien ankamen.

Noch heute finden sich deshalb im Genom heutiger nichtafrikanischer Menschen zirka zwei Prozent Neandertaler-DNA. Dieser genetische Beitrag beeinflusste die menschliche Evolution: Er stärkte beispielsweise das Immunsystem der modernen Menschen, trägt jedoch auch heute noch zur Anfälligkeit für mehrere Krankheiten bei.

„Neandertaler sind die engsten Verwandten des heutigen Menschen“, sagte Svante Pääbo. „Vergleiche ihrer Genome mit denen heutiger Menschen sowie mit denen von Menschenaffen ermöglichen uns zu bestimmen, wann genetische Veränderungen bei unseren Urahnen eintraten.“

Svante Pääbo mit einer Sedimentanhäufung in der Höhle von Arago in Frankreich, die auf ein Alter von 450.000 Jahren datiert wird. Foto: MPI für evolutionäre Anthropologie, Christian Perrenoud
Svante Pääbo mit einer Sedimentanhäufung in der Höhle von Arago in Frankreich, die auf ein Alter von 450.000 Jahren datiert wird. Foto: MPI für evolutionäre Anthropologie, Christian Perrenoud

Dabei könnte künftig auch geklärt werden, warum moderne Menschen schließlich eine komplexe Kultur und Technologie entwickelten, die ihnen ermöglichten, fast die ganze Welt zu besiedeln. Dies erforderte jedoch ein vollständigeres Wissen über das Neandertaler-Genom als das Team 2010 erlangt hatte.

2014 gelang es dem Team am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, das Neandertaler-Genom fast komplett zu entschlüsseln. Dadurch wurde ein Vergleich mit den Genomen heutiger Menschen möglich.

„Wir haben zirka 30.000 Positionen gefunden, in denen sich die Genome von fast allen heutigen Menschen von denen der Neandertaler sowie denen der Menschenaffen unterscheiden“, so Pääbo.

„Sie beantworten, was anatomisch moderne Menschen auch im genetischen Sinn ‚modern‘ macht.“

Einige dieser genetischen Veränderungen bilden womöglich den Schlüssel zum Verständnis, was die kognitiven Fähigkeiten heutiger Menschen von denen, nun ausgestorbener, Hominiden unterscheidet.

Im Vorfeld dessen war Svante Pääbos Team bereits 2012 eine Sensation gelungen: Es entschlüsselte das Genom aus einem kleinen Knochen, den es in der Denisova-Höhle im westsibirischen Altai-Gebirge gefunden hatte. Die rätselhaften Ur-Menschen waren entfernt mit den Neandertalern verwandt und steuerten bis zu fünf Prozent zum Genom der heutigen Einwohner von Papua-Neuguinea, der Aborigines Australiens und anderer Gruppen in Ozeanien bei.

Derzeit arbeiten die Forscher an neuen Methoden, DNA-Fragmente zu rekonstruieren, die noch stärker zersetzt und in noch geringeren Mengen vorhanden sind, teilt das Institut mit. Ziel ist es, die Erforschung noch älterer DNA zu ermöglichen sowie Erbgut aus Teilen der Welt, in denen das Überdauern der DNA aufgrund von heißem und feuchtem Klima noch seltener ist.

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