Die große Reise des Homo sapiens begann vor ungefähr 50.000 Jahren. Da verschwanden all die Barrieren, die ihn bis dahin daran gehindert hatten, in die Regionen jenseits Afrikas aufzubrechen. Und in einem erstaunlichen Tempo besiedelte er ab da alle erreichbaren Inseln und Kontinente. Er drang nicht nur nach Europa vor. Auch die Inselwelt Ozeaniens besiedelte er in immer neuen Expeditionen. So viele, dass selbst die Anthropologen heute Kopfschmerzen beim Sortieren bekommen.
Eines ihrer aktuellen Forschungsgebiete sind die Inseln Wallaceas, benannt nach dem britischen Naturforscher Alfred Russel Wallace. Er war Botaniker und entwickelte parallel zu Darwin eigene Thesen zur Evolution. Dass die heutigen Anthropologen versuchen, die genetische Herkunft der Bewohner der Inseln Wallaceas zu entschlüsseln, hätte ihn ganz bestimmt fasziniert.
Denn das ist deshalb so spannend, weil die Inseln durch Tiefseegebiete von den nächsten Archipelen getrennt sind. Hier gab es also auch keine eiszeitlich entstehenden Landbrücken. Die Menschen mussten diese Meere mit Booten oder Flößen überwinden.
Und das in kleinen Gruppen. Was die Erforschung dieser Siedlungsgeschichte im Rahmen der Wanderungsgeschichte des Homo sapiens besonders spannend macht.
47.000 Jahre Siedlungsgeschichte
Die Inseln Wallaceas im heutigen Ostindonesien wurden bereits vor langer Zeit von modernen Menschen besiedelt. Vor allem austronesisch-sprechende Gruppen hinterließen bei ihrer Ausbreitung über den Seeweg nach Ozeanien archäologische Spuren ihres jungsteinzeitlichen Lebensstils und eine genetische Prägung, die noch bei heutigen Menschen in Ostindonesien nachweisbar ist.
Um mehr Einblick in die Besiedlungsgeschichte Ostindonesiens zu erhalten, hat ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Max-Planck-Institute für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und für Menschheitsgeschichte in Jena sowie des Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen neue genetische Studien durchgeführt. Die Forscherinnen und Forscher fanden Nachweise für mehrere genetische Durchmischungen von Menschen verschiedener Abstammung aus den Nachbarregionen in Asien und Ozeanien vor mindestens 3.000 Jahren.
Die Inseln Wallaceas im heutigen Ostindonesien wurden seit mindestens 47.000 Jahren von Gruppen moderner Menschen besiedelt.
Die Inseln Wallaceas waren von Asien und Ozeanien immer durch Tiefseegebiete getrennt. Dennoch dienten diese tropischen Inseln im Pleistozän vor vielen Tausend Jahren als Korridor für die Wanderung moderner Menschen auf die Landmasse Australiens und Neu Guineas, das Gebiet Sahul, und wurden seit mindestens 47.000 Jahren besiedelt.
Eine auffallende Veränderung gab es in der Jungsteinzeit, wie das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie anmerkt. Die archäologischen Aufzeichnungen belegen einen großen kulturellen Wandel in Wallacea, der vor rund 3.500 Jahren begann. Er steht im Zusammenhang mit der Ausbreitung austronesisch sprechender Farmer, die sich mit lokalen Gruppen aus Jägern und Sammlern mischten.
Frühere genetische Studien an heutigen Bewohnerinnen und Bewohnern dieses Gebiets ergaben jedoch widersprüchliche Daten für die Durchmischung, die vor 1.100, aber möglicherweise auch vor fast 5.000 Jahren stattgefunden haben könnte.
Verwirrende Abstammungslinien
Um mehr über die Ausbreitung der Menschen und ihre Begegnungen zu erfahren, analysierte das Forschungsteam DNA von 16 mehrere Tausend Jahre alten Individuen von verschiedenen Inseln in Wallacea. Dadurch weitete es den Datenbestand zu alten Genomen aus dieser Region stark aus.
„Wir stellten deutliche Unterschiede innerhalb Wallaceas fest. Wir waren überrascht, dass sich die Abstammung früher Individuen von den südlichen Inseln nicht einfach durch Kreuzungen zwischen austronesischen und papuanischen Gruppen erklären ließ“, sagt Sandra Oliveira vom MPI für evolutionäre Anthropologie, eine Hauptautorin der Studie.
Das Forschungsteam identifizierte bisher unbekannte genetische Spuren einer Abstammungslinie vom südostasiatischen Festland, die am engsten mit heutigen Menschen aus dem austroasiatischen Sprachgebiet verwandt ist. Die Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass zunächst eine Durchmischung zwischen Menschen vom südostasiatischen Festland und aus Papua stattfand und erst später Gene aus Gruppen mit austronesischer Abstammung hinzukamen.
„Die genetischen Spuren vom südostasiatischen Festland stellen mich vor ein Rätsel. Ich vermute, dass sie von einer vergleichsweise kleinen Gruppe stammten, möglicherweise frühen Farmern, die weit reisten, jedoch auf ihrem Weg keine archäologischen oder sprachlichen Spuren hinterließen. Nach ihrer Ankunft vergrößerte sich dann ihre Population“, sagt Peter Bellwood von der Australian National University in Canberra, einer der Studienautoren, der seit Jahrzehnten als Archäologe auf den Inseln Südostasiens arbeitet.
„Diese Entdeckung ist sehr wichtig für die archäologische Forschung in der Region“, fügt die indonesische Anthropologin Toetik Koesbardiati hinzu. „Wir werden unsere Anstrengungen verstärken, diese Wanderungsbewegungen auch auf anderen Wegen zu belegen.“
Vielfache Durchmischung innerhalb Wallaceas
Die neue Studie brachte auch zutage, dass die früheren Individuen aus dem nördlichen Wallacea und dem Pazifik enger mit den damaligen Menschen aus Austronesien verwandt waren als Individuen aus dem südlichen Wallacea – ein genetischer Befund, der mit sprachlichen Belegen übereinstimmt. Außerdem brachte die Studie Licht in den zeitlichen Ablauf der genetischen Durchmischung in Asien und Papua.
„Frühere Studien dazu wurden an heutigen Populationen durchgeführt. Sie ergaben sehr unterschiedliche Zeitangaben, die teilweise noch vor archäologischen Belegen der austronesischen Ausbreitung lagen. Mithilfe der neuen Daten können wir belegen, dass die Durchmischung schubweise oder kontinuierlich seit mindestens 3.000 Jahren in Wallacea erfolgt sein muss“, erklärt Mark Stoneking vom MPI für evolutionäre Anthropologie, einer der Hauptautoren der Studie.
Das Forschungsteam verglich die neu gewonnenen Genomdaten aus Wallacea außerdem mit früher veröffentlichten Daten eines vorjungsteinzeitlichen Individuums aus Sulawesi, einer weiteren Wallacea-Insel.
„Alle Individuen aus Wallacea, deren Genome in dieser Studie untersucht wurden, haben eine größere Ähnlichkeit mit heutigen Gruppen aus Neu Guinea als mit früheren lokalen Populationen. Es liegt nahe, dass diese beiden Regionen in früheren Zeiten enger verbunden waren, als wir dachten“, sagt Cosimo Posth von der Universität Tübingen, ein weiterer Hauptautor der Studie.
„Diese Ergebnisse bestätigen auch, dass die genetische Abstammungslinie der Jäger und Sammler in Wallacea weitgehend verschwunden ist.“
Keine Kommentare bisher