Wer Schlimmes erlebt, leidet unter den Bildern des Erlebten oft noch lange Zeit. Mit jeder Erinnerung sind auch die belastenden Emotionen wieder da. Für Forscher/-innen des Leipziger Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften war das nun Anlass zu untersuchen, ob es vielleicht Mechanismen gibt, mit denen sich die Wucht der negativen Erlebnisse bewusst mindern lässt.
Das verwüstete Ahrtal, ein zerbeultes Auto, ein Verletzter – Erinnerungen an traumatische Erlebnisse lassen sich kontrollieren, indem man die aufkommenden Bilder gezielt unterdrückt. Bislang war jedoch unklar, was dabei mit der Erinnerung passiert und wie sich der Prozess im Gehirn widerspiegelt.
Wissenschaftler/-innen des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) haben jetzt gezeigt: Die Spuren im Gedächtnis verblassen – sie können bei erneutem Abrufen der Szenen weniger stark reaktiviert werden.
Kann man Erinnerungen unterdrücken?
Viele Menschen machen in ihrem Leben negative Erfahrungen, an die sie möglichst nicht erinnert werden möchten. Trotzdem gibt es immer wieder Momente, in denen die Ereignisse wieder wachwerden. Oft werden solche ungewollten Erinnerungen durch eigentlich ganz harmlose Gegenstände ausgelöst, die auch bei der ursprünglichen Erfahrung zugegen waren: der Gummistiefel, der an die Flut erinnert, der Turnschuh an den Autounfall, der Teddy an das verletzte Kind.
Frühere Studien hatten jedoch herausgefunden: Schiebt eine Person aktiv die aufkommenden Bilder aus ihrem Bewusstsein, lassen sich die assoziierten Szenen im Nachgang schlechter abrufen. Sie werden vergessen. Bislang war jedoch unklar, wie es im Nachhinein um die gespeicherten Szenen steht – sind die tatsächlich verblasst? Und wie lässt sich dieses Vergessen im Gehirn beobachten?
„Unterdrückt man aktiv eine Erinnerung und ruft sie anschließend erneut ab, treten die Bilder weniger lebhaft in Erscheinung als zuvor“, erklärt Ann-Kristin Meyer, Doktorandin am MPI CBS die Ergebnisse der Studie, die jetzt im Fachmagazin elife erschienen ist.
Die Studienteilnehmer/-innen hätten demnach die Bilder weniger klar vor ihrem inneren Auge gesehen. Manchmal seien sie sogar ganz verschwunden.
„Wir haben außerdem beobachtet, dass dieses Verblassen der Erinnerung mit einer geringeren Reaktivierung der Gedächtnisspur im Gehirn einhergeht.“
Das heißt, die spezifische Hirnaktivität, die während des ursprünglichen Erlebnisses aufgetreten war, hat sich verändert. Durch das absichtliche Unterdrücken der Erinnerung kann das Gehirn die Bilder schlechter abrufen als zuvor. Dabei hat sich herausgestellt, dass bei denjenigen, die die Erinnerungen besonders gut unterdrücken konnten, auch die Gedächtnisspur im Nachgang entsprechend schwächer auftrat.
Aus früheren Untersuchungen wussten die Wissenschaftler/-innen bereits, was während des Unterdrückens selbst im Gehirn passiert. Der präfrontale Cortex im Stirnbereich hemmt die Aktivität des Hippocampus, also der Struktur in den tieferen Hirnregionen, die dafür sorgt, dass die Erinnerungen reaktiviert werden, die in anderen Bereichen des Cortex gespeichert sind.
Die aktuellen Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese Hemmung zu einer anhaltenden und langfristigen Abschwächung der Gedächtnisspur führt.
„Vergessen hat eigentlich einen schlechten Ruf“, sagt Roland Benoit, Studienleiter und Leiter der Forschungsgruppe „Adaptives Gedächtnis“ am MPI CBS. „Aktives Vergessen kann aber ein hilfreicher Mechanismus sein, um Erinnerungen an schlimme Erlebnisse nicht immer wieder ungewollt aufkommen zu lassen.“
Durch die Kontrolle der eigenen Gedanken sei es offenbar tatsächlich möglich, die Erinnerungen zu schwächen und die neuronalen Spuren im Gehirn potenziell zu löschen.
Warum einige Menschen besser im Vergessen sind als andere, sei bislang unklar. Besonders schwer falle es jedoch denen, die etwa unter Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen leiden. Zukünftige Studien sollen nun herausfinden, ob und wie das absichtliche Vergessen zu unserer psychischen Gesundheit beiträgt.
Eine Schablone für Erinnerungen
Untersucht haben die Wissenschaftler/-innen diese Zusammenhänge in einem dreistufigen Verfahren. In einem ersten Schritt lernten die Teilnehmer/-innen Bilder negativer Erlebnisse mit einem eigentlich neutralen Gegenstand zu assoziieren, etwa Flutkatastrophe und Gummistiefel, Autounfall und Turnschuh, verletzte Person und Teddybär.
Dazu sahen sie mehrfach die Szenen mit den jeweiligen Gegenständen. Stiefel, Teddy und Bär riefen dadurch schließlich automatisch die schlimmen Bilder hervor. Anschließend wurde mithilfe der Magnetresonanztomografie (MRT) die Hirnaktivität gemessen, während die Teilnehmer/-innen sich mithilfe der Gegenstände an die Szenen erinnerten.
In einer zweiten Phase bekamen die Personen ebenfalls nur die Gegenstände zu sehen. In einigen Fällen sollten sie sich die dazugehörige Szene in Erinnerung rufen. In anderen Fällen sollten sie jeden Gedanken an die Szene unterdrücken. Im letzten Schritt wurden ihnen wiederum nacheinander alle Gegenstände gezeigt und sie versuchten erneut, sich an die jeweiligen Szenen zu erinnern.
Hierdurch konnte das Forschungsteam prüfen, ob die vermiedenen Erinnerungen tatsächlich verblasst waren. Zudem konnten sie das Muster der Hirnaktivität vor und nach dem Unterdrücken miteinander vergleichen.
Originalpublikation: Ann-Kristin Meyer and Roland G. Benoit (2022) „Suppression weakens unwanted memories via a sustained reduction of neural reactivation”, eLife 11, e71309
Keine Kommentare bisher