Leser und Kritiker lieben seine Bücher. Mit „Das geheime Leben der Bäume“ wurde der Förster Peter Wohlleben 2015 zum Bestseller-Autor, ein Buch, für das er gerade von Forstwissenschaftlern den Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit zu hören bekam. Doch wenn Wohlleben etwas auszeichnet als Förster, dann ist es seine Fähigkeit, über den Tellerrand der Forstwirtschaft hinausgucken zu können. Und einen Fakt, den er in seinen Büchern immer wieder erwähnt, haben jetzt Forscher vom iDiV im Leipziger Auwald nachweisen können.
Denn Bäume kommunizieren tatsächlich. Waldbäume senden bei Befall durch Raupen und andere Pflanzenfresser Duftstoffe aus. Damit locken sie räuberische Insekten und sogar Vögel an und befreien sich so von ihren Plagegeistern.
Was bislang nur in Labor- oder Gartenexperimenten nachgewiesen worden war, konnten Forschende unter Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Universität Leipzig nun erstmals in einem natürlichen Lebensraum zeigen – im 40 Meter hohen Kronendach des Leipziger Auwaldes.
Die chemischen Hilferufe sind so wirksam, dass sie die Zusammensetzung der Insektengemeinschaft im Blätterdach maßgeblich bestimmen. Dieses Wissen könnte künftig für die natürliche Schädlingsbekämpfung in Land- und Forstwirtschaft genutzt werden, schreiben die Forschenden im Fachmagazin Ecology Letters.
Wie Bäume kommunizieren
„Ja, auch Bäume können sprechen. Allerdings nicht wie wir akustisch, sondern über Duftstoffe. Ähnlich eines menschlichen Fingerabdrucks stößt jede Baumart ihre ganz eigene Zusammensetzung flüchtiger organischer Stoffe (VOCs) aus“, beschreibt Sebastian Tilch vom iDiV das, was da in der Waldkommunikation passiert.
„Dieses Muster lernten Tiere im Laufe der Evolution zu ‚lesen‘. Insekten, die an diesen Bäumen fressen, finden so ihre Wirte. Doch die Bäume reagieren darauf ‚angefressen‘. Sie mobilisieren einerseits andere Pflanzenstoffe wie etwa Bitterstoffe, die den Pflanzenfressern nicht schmecken. Zudem geben sie weitere flüchtige Stoffe ab, um andere Teile der Pflanze in Alarmbereitschaft zu versetzen.
Mit diesen locken sie zusätzlich aber auch andere Tiere wie Vögel und räuberische Insekten an, die ihnen zu Hilfe eilen. Diese haben ebenfalls gelernt, die VOCs zu interpretieren und so ihre Beute zu finden und drängen so die ‚Schädlinge‘ zurück. Aus Sicht der Bäume hat sich so also eine Art ‚Hilferuf‘ entwickelt.“
„Dass Pflanzen bei Schädlingsbefall chemisch parasitierende Wespen, Raubwanzen und sogar Vögel anlocken können, war schon länger bekannt“, sagt Erstautor Dr. Martin Volf, der die Studie am iDiv geleitet hat, inzwischen aber am Biology Centre of the Czech Academy of Sciences arbeitet.
„Für ausgewachsene Bäume wurde dieser Abwehrmechanismus jedoch bislang nie in einer realistischen Umgebung getestet. Möglich wurde dies durch die Kombination von Untersuchungsmethoden, von Tierverhaltensexperimenten in 40 Metern Höhe auf dem iDiv-Auwaldkran, bis hin zur molekularen Analyse der Pflanzenduftstoffe mit Metabolomik“, meint der Biologe.
Als Metabolomics wird die systematische Untersuchung der einzigartigen chemischen Fingerabdrücke von Organismen, in diesem Fall von Baumblättern, bezeichnet.
Experimente in der Eichenkrone – mit Raupen-Attrappen
Um den Effekt der induzierten Abwehr auf Fraßfeinde zu testen, täuschten die Forschenden chemisch einen Fraß vor, indem sie Zweige in den Kronen ausgewachsener Eichen mit Methyljasmonat besprühten, einem Pflanzenhormon, das die Abwehrreaktion auslöst. Außerdem beklebten sie diese Blätter mit Raupen-Attrappen aus Plastik und dokumentierten regelmäßig die Biss- und Pickspuren durch Vögel und andere Räuber.
Die vorhandenen echten Raupen der Eichenschädlinge wurden auf induzierten und nicht-induzierten Ästen erfasst und die von den Ästen abgegebenen flüchtigen Stoffe im Labor analysiert. In einem Verhaltensexperiment wurde zudem eine etwaige Präferenz von Schwammspinnerraupen (Lymantria dispar) gegenüber den Blättern induzierter und nicht-induzierter Äste ermittelt.
Es zeigte sich, dass induzierte Äste wesentlich stärker von Fraßfeinden wie Vögeln, Schlupfwespen und Raubwanzen angeflogen wurden als unveränderte Äste. Dort war auch die Zahl der Eichenschädlinge wesentlich geringer.
Im Fraßtest mieden die Raupen des Schwammspinners induzierte Blätter, was darauf hindeutet, dass die Bäume Abwehrstoffe wie Tannine abgeben, die in den molekularen Analysen identifiziert wurden. Die induzierte chemische Abwehr stellte sich in der neuen Studie als der wichtigste Steuermechanismus der Artenzusammensetzung von Insekten in Baumkronen heraus.
Wie biologische Vielfalt funktioniert
„Die Ergebnisse machen die verschiedenen Dimensionen sichtbar, in der die biologische Vielfalt wirkt: So bedingen sich die Vielfalt der chemischen Abwehrkräfte von Bäumen und die Vielfalt der von ihnen abhängigen Insektenfresser“, meint Martin Volf.
Letztautorin Prof. Nicole van Dam, Leiterin der Forschungsgruppe Molekulare Interaktionsökologie am iDiv und der Universität Jena, sagt: „Die Erkenntnisse können uns helfen, alternative, natürliche Strategien zur Schädlingsbekämpfung in der Land- und Forstwirtschaft zu finden und so das Vorhaben umzusetzen, Pestizide zu sparen.“
Und sie fügt hinzu: „Die Studie ist auch ein hervorragendes Beispiel für gelungene integrative Biodiversitätsforschung, da hier ganz verschiedene Dimensionen der Diversität, chemische und ökologische, zusammengeführt werden können, ermöglicht durch moderne Infrastruktur.“
Diese Forschungsarbeit wurde u. a. gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG; FZT-118) und ein Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt Stiftung für Martin Volf (Ref.3.3- CZE- 1192673- HFST- P).
Originalpublikation: Volf, M., Volfová, T., Seifert, C. L., Ludwig, A., Engelmann, R. A., Jorge, L. R., Richter, R., Schedl, A., Weinhold, A., Wirth, C. & van Dam, N. M. (2021): A mosaic of induced and non-induced branches promotes variation in leaf traits, predation and insect herbivore assemblages in canopy trees. Ecology Letters
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