Wir sind ja keine rationalen Wesen, auch wenn wir es nur zu gern wären. Immer wieder werfen uns Emotionen aus der Bahn, lassen uns irrational handeln und auch falsche Entscheidungen treffen. Und manchmal kommen wir aus den Fallgruben unserer Gefühle gar nicht wieder heraus. Logisch, dass Leipziger Kognitionsforscher unbedingt herausfinden wollen, wie Emotionen entstehen und wirken.
Um herauszufinden, was im Gehirn geschieht, während wir Emotionen erleben, nutzte man bislang meist stark vereinfachte Laborexperimente. Die Emotionen hatten dabei oft wenig Ähnlichkeit zum Erleben im Alltag. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig nutzten nun Virtuelle Realitäten, um Emotionen möglichst realitätsnah hervorzurufen – und konnten dabei die Stärke der Emotion aus den Hirnsignalen berechnen.
Mit VR-Brillen in eine simulierte Wirklichkeit
Links und rechts schiebt sich gemächlich die Landschaft vorbei, vor einem die Schiene. Plötzlich ein Feuer. Die Spannung steigt. Die Fahrt erreicht ihren höchsten Punkt. Und dann nur noch: Der Abgrund. Eine Schussfahrt in die Tiefe. Szenen einer Achterbahnfahrt, wie sie Teilnehmer/-innen in einer aktuellen Studie am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig erlebt haben.
Jedoch nicht real, sondern virtuell, mithilfe von Virtual-Reality(VR)-Brillen. Ziel dieser Untersuchungen war es herauszufinden, was im Gehirn der Teilnehmer/-innen geschieht, während sie emotional aufreibende Situationen erleben.
Achterbahn der Gefühle: Mit virtuellen Realitäten Emotionen verstehen
Um zu erfahren, wie das menschliche Gehirn Emotionen verarbeitet, verwendete man bislang meist stark vereinfachte Experimente. Forscher zeigten den Teilnehmer/-innen etwa Fotos emotionaler Szenen und zeichneten dabei deren Hirnaktivität auf.
Die Untersuchungen fanden dadurch zwar unter kontrollierten Laborbedingungen statt, sodass sich die Ergebnisse gut untereinander vergleichen lassen. Die nachgestellten Situationen waren jedoch größtenteils nicht besonders emotional erregend und fernab von Erlebnissen, wie man sie normalerweise erlebt.
Denn Emotionen entstehen kontinuierlich durch ein Zusammenspiel vergangener Erfahrungen und verschiedener Einflüsse von außen, mit denen wir in Interaktion treten. Im Hinblick auf Emotionen ist es daher besonders wichtig, Situationen zu schaffen, die als möglichst real empfunden werden.
Nur so kann man davon ausgehen, dass die simultan gemessene Hirnaktivierung der im echten Leben außerhalb des Labors nahekommt. VR-Brillen schaffen hier Abhilfe. Durch sie können die Teilnehmer/-innen dynamisch und interaktiv in Situationen eintauchen und sie nahe der Wirklichkeit erleben. Emotionen werden so auf eine natürlichere Weise hervorgerufen.
Achterbahn-Fahren mit EEG-Messung
Die Ergebnisse der aktuellen Studie zeigten: Wie stark eine Person emotional erregt ist, zeigt sich an einer speziellen Form rhythmischer Gehirnaktivität, den sogenannten Alpha-Oszillationen. Demnach ist die Erregung umso höher, je niedriger die Stärke dieser Schwingung im gemessenen EEG-Signal ist.
„Die Erkenntnisse bestätigen damit frühere Untersuchungen aus klassischen Experimenten und belegen, die Signale treten auch unter Bedingungen auf, die dem Alltag näherkommen“, sagt Simon M. Hofmann, einer der Autoren der zugrundeliegenden Studie, die jetzt im Fachmagazin eLife erschienen ist.
„Anhand der Alpha-Oszillationen konnten wir also vorhersagen, wie stark eine Person eine Situation emotional erlebt. Unsere Modelle haben gelernt, welche Hirnareale besonders wichtig für diese Vorhersage sind. Grob gesagt gilt dann: je weniger Alpha-Aktivität man hier misst, desto erregter ist die Person“, erklärt Autor Felix Klotzsche.
Erst einmal nur die Aufregung messen
„In Zukunft könnte es möglich werden, diese Erkenntnisse und Methoden auch für praktische Anwendungen jenseits der Grundlagenforschung anzuwenden“, ergänzt Autor Alberto Mariola. VR-Brillen werden zum Beispiel zunehmend in psychologischen Therapien eingesetzt.
Neurophysiologische Informationen über den emotionalen Zustand der Patient/-innen könnten dabei zur Verbesserung der Behandlung führen. Therapeut/-innen könnten so beispielsweise direkt einen Einblick in das momentane emotionale Empfinden während einer Expositionssituation erlangen, ohne dass die Patient/-innen direkt gefragt und die Situation dadurch unterbrochen werden muss.
Untersucht haben die Wissenschaftler diese Zusammenhänge mithilfe der Elektroenzephalographie (EEG), durch die sie die Hirnströme der Teilnehmer/-innen während der virtuellen Achterbahnfahrt erfassen konnten – um so zu berechnen, was während der Fahrt im Gehirn geschieht. Zudem sollten die Proband/-innen im Nachhinein anhand eines Videos bewerten, wie aufgeregt sie über den Verlauf der VR-Erfahrung hinweg waren.
Dadurch wollten die Forscher herausfinden, ob die subjektiven Empfindungen während der Fahrt mit den Messdaten der Hirnaktivität korrelieren. Da sich Menschen darin unterscheiden, wie gern sie Achterbahn fahren, war es dabei unwichtig, ob die Situation als positiv oder negativ empfunden wurde, sondern lediglich, wie stark die Empfindung war.
Für die Auswertung nutzten die Forscher drei verschiedene Modelle maschinellen Lernens, um aus den EEG-Daten möglichst exakt die subjektiven Empfindungen vorherzusagen. Die Autoren zeigten dadurch, dass mithilfe dieser Ansätze der Zusammenhang zwischen EEG-Signalen und dem emotionalen Empfinden auch unter realitätsnahen Gegebenheiten nachgewiesen werden kann.
Originalpublikation: Simon M Hofmann, Felix Klotzsche, Alberto Mariola, Vadim Nikulin, Arno Villringer, Michael Gaebler (2021) Decoding subjective emotional arousal from EEG during an immersive virtual reality experience. eLife
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