Prof. Dr. Christian Wirth hat einen Lehrstuhl fรผr Botanik an der Universitรคt Leipzig und leitet das Deutsche Zentrum fรผr integrative Biodiversitรคtsforschung (iDiv). In der aktuellen Initiative โ€žBreathing Natureโ€œ forschen die Uni, das Umweltforschungszentrum, iDiv und das Leibniz-Institut fรผr Troposphรคrenforschung zur Rolle des Artenreichtums in der Klimakrise.

Herr Professor Wirth, Sie stammen aus Norddeutschland, haben in Bayreuth studiert und promoviert und sind nach Forschungsaufenthalten im Ausland seit 2009 in Leipzig. Was bedeutet fรผr Sie Heimat?

Schon als Teenie habe ich mich fรผr Naturschutz interessiert und in lokalen Vereinen engagiert. Ich habe einen klassischen Naturschutz-Zivi in Wardenburg bei Oldenburg gemacht. Das heiรŸt Wiesen mรคhen, Grรคben anlegen und Bรคume pflanzen. Dadurch entstand der Wunsch, etwas zu studieren, um zur Lรถsung der Umweltprobleme beizutragen.

Und die Uni Bayreuth hatte seit den 1970ern einen รถkologischen Schwerpunkt. Es gab sogar Geoรถkologie mit Stoffkreislรคufen, Umwelteinflรผssen, Hydrologie und dem Einfluss des Menschen.

Also Ihre wissenschaftliche Heimat kristallisierte sich klar heraus.

รœber das Max-Planck-Institut fรผr Biogeochemie forschte ich dann zu borealen Wรคldern und dem Einfluss von Waldbrรคnden auf den CO2-Kreislauf. Letztlich stellte ich fest, dass es groรŸe Unterschiede zwischen den Brรคnden in Alaska und Sibirien gibt. So kam ich zur funktionalen Biodiversitรคtsforschung.

In Sibirien wachsen Baumarten, die Feuer am Boden halten. Es schlรคgt nicht in die Krone, wodurch sie รผberleben. Ein sibirischer Kiefernwald kann tatsรคchlich sechs oder sieben Mal brennen. Der Wald in Alaska brennt hingegen lichterloh. Die Zapfen brauchen die Hitze des Feuers, um sich รถffnen und aussamen zu kรถnnen.

Kรถnnen Sie den Begriff funktionale Biodiversitรคtsforschung erlรคutern?

Es geht um die Frage: Funktioniert ein ร–kosystem noch gut, wenn es weniger Arten gibt? Dafรผr haben wir im Saaletal von Jena Wiesen angelegt und in China Wรคlder gepflanzt, die unterschiedlich artenreich sind. Zusรคtzlich arbeiten wir mit Datenbanken, in denen funktionale Merkmale von Pflanzen erfasst werden.

Diese kรถnnen eine funktionale Bedeutung fรผr die Art sowie fรผr das ร–kosystem haben. Ja, und das ist dann regelrecht explodiert. Die letzte Publikation hatte 700 Autorinnen und Autoren. Heute haben wir 13 Millionen Datensรคtze รผber etwa 85 Prozent aller Pflanzenarten weltweit.

Und von Jena war es 2009 nicht mehr weit bis Leipzig.

Ja, nach meinem Ruf an die Uni Leipzig schrieb die Deutsche Forschungsgemeinschaft das Zentrum fรผr Biodiversitรคt aus. 2012 ging es fรผr das iDiv Halle-Jena-Leipzig richtig los. Und obgleich ich Grundlagenforscher bin, fiel auch der Botanische Garten in meine Zustรคndigkeit.

Genauso habe ich gewissermaรŸen das Auwaldthema geerbt. Das ist schon etwas Besonderes, sein Studienobjekt direkt vor der Haustรผr zu haben. Wir konnten auch den Auwaldkran, den Professor Morawetz hat errichten lassen und der wegen Flutschaden 2013 stillstand, mit Mitteln des iDiv wieder erรถffnen.

Bevor wir uns dem Leipziger Auwald zuwenden: Wo auf der Welt war die Klimakrise fรผr Sie eigentlich am sichtbarsten?

Die Leipziger Zeitung, Ausgabe 94. Seit 3. September 2021 im Handel. Foto: LZ

Eine gute Frage. Anfang der 1980er Jahre waren wir eher mit regionalen Problemen wie dem Waldsterben 1.0 beschรคftigt. Die globale Klimakrise befand sich hingegen in einem Stadium einer plausiblen Hypothese, Lichtjahre von einer gesellschaftlich akzeptierten Evidenz entfernt.

Eigentlich hatte der Schwede Svante Arrhenius bereits Ende des 19. Jahrhunderts die Theorie zum Treibhauseffekt postuliert, was zu der Zeit allerdings positiv konnotiert war.

Erste Klimamodelle in den 1950ern machten erschreckend genaue Vorhersagen. All das ist wahr geworden. Als ich 2004 nach Fairbanks kam, wussten jedoch selbst die konservativsten Republikaner Alaskas, dass der Klimawandel kommt.

Denn wรคhrend es in jedem Winter immer mindestens eine Woche kรคltefrei gab, war dies seit den 1990ern nicht mehr der Fall.

Wie optimistisch sind Sie angesichts des Beharrungsvermรถgens unserer konservativen Gesellschaft?

Es wird eng. Ich kann nur hoffen, dass wir die Kurve kriegen. Technische MaรŸnahmen sind teuer und bergen ihrerseits neue Risiken. Auch die Idee des Verbraucherverhaltens รผberzeugt mich nicht. Sicher, wir mรผssen uns alle individuell strecken und bemรผhen. Dennoch reichen Konsumverhalten und Kaufentscheidungen allein nicht.

Es braucht Regeln aus der Politik. Zwar mรผssen sie von der Gesellschaft akzeptiert werden. Aber mir scheint, dass unsere Gesellschaft nach den jรผngsten Schocks aufgewacht ist. Frรผher war Klimawandel immer woanders, jetzt ist er bei uns spรผrbar.

Die ETH Zรผrich hat sehr anschaulich illustriert, dass London 2050 das Klima von Barcelona haben wird, Berlin das von Canberra.

Und die Vegetation von Barcelona hat mit der von London nichts gemein. Da wird klar, was auf uns zukommt, was รถkologisch alles รผber die Klinge springen wird. Biodiversitรคt ist mit der Klimakrise eng verwoben โ€“ auch hier bei uns im Auwald.

Ich hatte, kurz bevor ich nach Leipzig kam, zu alten Naturwรคldern weltweit geforscht und unter dem Titel โ€žOld-growth Forestsโ€œ publiziert. Ein Ergebnis war, dass alte Naturwรคlder, entgegen bisheriger Annahmen, immer noch CO2 aufnehmen kรถnnen.

Dieses Buch habe ich Stadtfรถrster Andreas Sickert bei meinem Antrittsbesuch geschenkt und zugleich gefragt, warum er Waldbewirtschaftung im Naturschutzgebiet macht. Das erschien mir widersprรผchlich. Nach zehn Jahren Forschung im Auwald glaube ich, dass es eine Bewirtschaftung mit AugenmaรŸ braucht. Es gilt, die Eiche als letzte typische Auwaldart im Spiel zu halten.

Was erhebt die Eiche zur Hauptbaumart im Leipziger Hartholz-Auwald?

Seit 2016 haben wir mit Flugfensterfallen untersucht, wie viele und welche Kรคferarten in 18 Bรคumen fliegen. Das Ergebnis war absolut verrรผckt: 566 Kรคferarten. Das entspricht fast zehn Prozent aller Kรคferarten in Deutschland โ€“ tropische AusmaรŸe. 114 davon stehen auf der Roten Liste. Und diese Kรคfer sind auf bestimmte Baumarten spezialisiert.

Zwar sind auch Esche und Hainbuche wichtige Habitatbรคume. Aber die Eiche ist die erste Adresse fรผr Artenreichtum. Um diesen Schatz bewahren zu wollen, sind forstwirtschaftliche MaรŸnahmen des FFH-Managementplans in meinen Augen plausibel.

Viele Wรคlder Deutschlands kรถnnten in ihrer Biodiversitรคt durch Prozessschutz stark aufgewertet werden. Fรผr den Leipziger Auwald kรถnnte aber genau das Gegenteil gelten.

Kรถnnte eine Revitalisierung der Aue, also wechselnde Wasserstรคnde und รœberschwemmungen im Wald, die Frage nach der Forstwirtschaft erรผbrigen?

Zwar vertrรคgt Ahorn Wasser nicht gut. Aber wir hatten jetzt 70 Jahre kein Hochwasser im Auwald. Dadurch ist der Ahorn weit verbreitet, besonders in der Mittelwaldflรคche. Er ist ins zweite Kronendach reingewachsen und eine starke Samenquelle. In tieferen Lagen wรผrde er durch Wasser sicher zurรผckgedrรคngt, aber nicht ausreichend.

Das Eschensterben hรคtte eine Chance sein kรถnnen fรผr die Eiche. Solche Stรถrungen bedeuten Licht, was sie als Pionier nutzt. Und sie ist angesprungen, aber der Ahorn noch schneller.

Bei der alljรคhrlichen PauรŸnitzflutung ยฉ Frank Willberg

Was ideal ist fรผr die Eiche, um sich gegen Brennnessel, Brombeere und Ahorn durchzusetzen, soll untersucht werden. Ebenso die Auswirkungen eines Femellochs (kรผnstlich geschaffene Waldlichtung zur Verjรผngung des Baumbestands, Anm. d. Red.) auf das ร–kosystem: Fรถrdert es die Sekundรคre Sukzession, also die natรผrliche Rรผckkehr standorttypischer Vegetation, weil der Boden feuchter und wรคrmer wird? Oder tritt vielmehr Trockenstress auf?

Was sind denn die entscheidenden Hemmnisse, um Wasser in die Aue zu bekommen?

Das Wasser ist die entscheidende Stellschraube. Dazu mรผssen die Stadt und ihre Bรผrger mit ganzem Herzen bereit sein. Das Land und die Landestalsperrenverwaltung mรผssen das tatkrรคftig unterstรผtzen. Eine Lรถsung kรถnnen wir nur gemeinsam hinbekommen. In letzter Zeit passiert zum Glรผck viel. Wir haben ein Thesenpapier zur Revitalisierung vorgelegt.

Das Projekt Lebendige Luppe kann nur ein allererster Schritt sein. Es ist weit von einer Systemlรถsung entfernt. In der Nordwest-Aue kรถnnte mit wenig Anpassungen viel mehr erreicht werden. Auch wenn die Entwicklungsrichtung klar und der Gewรคsserknoten in der Form nicht zu halten ist, wรผnsche ich mir manchmal mehr Mut und Tempo von uns.

โ€žWasser oder Forsten โ€“ was rettet die Eiche, den Auwald, die Artenvielfalt?โ€œ erschien erstmals am 3. September 2021 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 94 der LZ finden Sie neben GroรŸmรคrkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehรคndlern.

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Es gibt 3 Kommentare

Ich denke, zum Thema Wasser sind sich mittlerweile sehr viele einig, Auendynamik so viel wie irgend mรถglich โ€“ da liegen dann natรผrlich auch die Streitpunkte (was ist mรถglich)!

Zum Ahorn ist zu bemerken, dass er v.a. dort dominiert, wo viel Forstwirtschaft betrieben wurde, bei dem Mittelwaldexperiment extremst, aber auch dort wo die Altdurchforstungen mit 100 Fm/ha und mehr gelaufen sind, mit den starken Bodenverletzungen und -verdichtungen; das sieht man, wenn man etwas genauer guckt, dazu kรถnnte man forschen, braucht man aber eigentlich gar nicht, weil es sehr offenkundig ist. Oder man mรถchte es nicht sehen. Herr Wirth hรคtte dies auch benennen kรถnnen, es sei denn er kennt den Wald gar nicht so gut oder er mรถchte es nicht sagen aus bestimmten Motiven herausโ€ฆ

Die sogenannten Femellรถcher sind keine, es handelt sich um (Klein)Kahlschlรคge. Ob diese eine รถkologische Katastrophe sind, dazu braucht man eigentlich auch keine Forschung betreiben, das sieht man auf den ersten Blick (zumindest fรผr den waldรถkologisch geschulten, aber sogar auch fรผr AuรŸenstehende mit gesundem Menschenverstand) und wer auch nur etwas von Bodenfunktionen, Bodenedaphon und von der Mykorrhiza versteht, weiรŸ, wozu die flรคchigen und intensiven Bodenbearbeitungen fรผhren, auch die plรถtzliche รœberfรผhrung eines Waldbodens in einen Offenlandboden. Forschung dazu mag fรผr einen Forscher gewinnbringend sein โ€“ v.a. mรถge er die Anzahl der Mykorrhiza-Arten untersuchen (aber nein, er wird wahrscheinlich eher Offenland-, Halboffenlandarten usw. zรคhlen und diese dann als bereichernde Biodiversitรคt bezeichnen sollen) โ€“ und auch fรผr den Fรถrster, der dann womรถglich sogar extra dafรผr neue anlegen mรถchteโ€ฆ

Somit fรผr die Bewahrung des Waldรถkosystems Auwald neben der Wasserdynamik entscheidend: Bodenschutz!!! Harvester raus, keine Rรผckegassen, erst recht keine flรคchenhaften Befahrungen, Kronendach geschlossen halten, Einschlagsmoratorium fรผr zunรคchst mal 10 Jahre, zur Besinnung kommen, nachdenken, richtige Waldรถkologen einbinden!

Das stimmt. Prof. Bernd Gerken vom Aueninstitut fรผr lebendige Flรผsse kann sich groรŸe Weidetiere sehr positiv in der Leipziger Aue vorstellen. Aber so groรŸ sie auch sein mรถgen, stehen sie doch nicht im Zentrum der Diskussion. Noch nicht?

Prozessschutz in einem Gebiet, bedeutet ganz grob gesagt, Zulassen aller natรผrlichen (charakteristischen) Prozesse in einem Gebiet, nicht wahr? Und in einer Aue/einem Auwald gehรถrt NATรœRLICH die Flussdynamik dazu, aber dazu gehรถren doch auch Herbivoren! Sind wir neuzeitlichen Menschen schon so an perverse Massentierhaltung in Stรคllen gewohnt, dass es uns unvorstellbar erscheint, dass mal groรŸe Weidetiere hier heimisch waren, seien es mal wilde gewesen, spรคter dann domestizierte? Erst seit dem 20. Jahrhundert verschwanden die Tiere nach und nach aus unserem Leben, heute vegetieren sie unwรผrdig als perverse Zรผchtungen in Stรคllen, ohne je das Tageslicht zu sehen, dabei ist ihre Anwesenheit in der Landschaft (รผbrigens nicht nur in Auen) elementar fรผr Artenvielfalt usw. usf.! Ich war gerade erst an der Elbe bei Menschen, die dort mit Weidetieren arbeiten und es war zu beobachten, dass den Weidetieren Scharen von Insekten und Vรถgeln und Fledermรคusen etc. aller Arten folgtenโ€ฆ das ist aber soweit ich weiรŸ nichts neues, das ist bekanntes Wissen, trotzdem รคndert sich nichts an dem neuzeitlichen perversen Umgang mit unseren Mitgeschรถpfen, der schlecht ist fรผr Mensch, Tier und Artenvielfalt. Versucht es doch wenigstens mal!!! Man denkt ja nicht mal in diese Richtung. Enttรคuschend.

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