Schlechte Politik lebt davon, dass Menschen vergesslich sind. Dass sie sich gern einreden lassen, die Dinge wรผrden sich schon von allein bessern, es brauche keine Sanktionen und Gesetze, um die Klimaerhitzung und das Artensterben zu stoppen. Obwohl jetzt schon รผberall sichtbar wird, wie die Folgen auch unsere Lebensgrundlagen angreifen. Und wenn unsere Talsperren sich aufheizen, ist das ganz und gar nicht gut fรผr die Trinkwasserversorgung, warnt das Umweltforschungszentrum.

Die Rappbodetalsperre im Harz ist die grรถรŸte Trinkwassertalsperre in Deutschland und beliefert rund 1 Million Menschen mit Trinkwasser, unter anderem in den Regionen Halle und dem sรผdlichen Sachsen-Anhalt. Der Klimawandel kรถnnte nun dafรผr sorgen, dass die Wassertemperaturen in dem Stausee deutlich steigen.

Sollte die durchschnittliche Erderwรคrmung bis zum Jahr 2100 zwischen 4 und 6 Grad liegen, was der aktuellen Entwicklung entspricht, wird die Rappbodetalsperre Temperaturverhรคltnisse bekommen, die vergleichbar sind mit denen des Gardasees und anderer Seen sรผdlich der Alpen. Die Talsperrenbetreiber kรถnnten die Auswirkungen auf die Trinkwasserversorgung teilweise auffangen, schreibt ein vom Helmholtz-Zentrum fรผr Umweltforschung (UFZ) gefรผhrtes Forscherteam in der Zeitschrift Science of the Total Environment. Dafรผr mรผssten sie die Bewirtschaftung aber รคndern.

Eine Talsperre wird aufgeheizt

Schon jetzt wirkt sich der Klimawandel auf die Rappbodetalsperre aus: Um rund 4 Grad hat sich die Temperatur in den vergangenen 40 Jahren an der Wasseroberflรคche des Stausees in den Sommermonaten erwรคrmt. Diese Entwicklung kรถnnte sich weiter fortsetzen, wie ein vom UFZ-Seenforscher Dr. Karsten Rinke geleitetes Forscherteam nun zeigen konnte.

Auf Basis eines von US-Forschern entwickelten Seenmodells prognostizierten sie unter Berรผcksichtigung mรถglicher Strategien zur Talsperrenbewirtschaftung die Auswirkungen des Klimawandels auf die Wassertemperatur und auf die physikalische Struktur, die die Schichtung und die jahreszeitliche Durchmischung des Wasserkรถrpers steuern.

Sie bezogen sich dabei auf drei Szenarien kรผnftiger Treibhausgasemissionen. Die sogenannten โ€žReprรคsentativen Konzentrationspfadeโ€œ (RCPs) beschreiben, ob der AusstoรŸ von Treibhausgasen bis zum Jahr 2100 gestoppt wird (RCP 2.6), weiter ansteigt (RCP 6.0) oder sich gar ungebremst fortsetzt (RCP 8.5). Im letzten Fall wรผrde laut des Weltklimarats IPCC bis Ende des Jahrhunderts die Erwรคrmung im weltweiten Durchschnitt mehr als vier Grad betragen.

Fรผr das RCP 2.6- und das RCP 6.0-Szenario modellierten die Autoren der Studie, dass sich an der Rappbodetalsperre die Durchschnittstemperatur an der Wasseroberflรคche bis zum Jahr 2100 um 0,09 Grad beziehungsweise um 0,32 Grad pro Jahrzehnt erhรถht. Dies wรผrde bis zum Ende des Jahrhunderts einen Anstieg um insgesamt rund 0,7 Grad (RCP 2.6) und rund 2,6 Grad (RCP 6.0) bedeuten. Am hรถchsten fรคllt erwartungsgemรครŸ der Temperaturanstieg beim RCP 8.5-Szenario aus: Dabei steigt die Wassertemperatur um 0,5 Grad pro Jahrzehnt, also um rund 4 Grad bis zum Jahr 2100.

Was passiert in 50 Meter Tiefe?

Gravierender fรผr die Trinkwassernutzung ist aber, was in tieferen Schichten des Stausees, also in 50 Meter Tiefe und darunter passiert, da hier das Rohwasser fรผr die Trinkwasseraufbereitung entnommen wird. Zwar bleiben beim RCP 2.6- und beim RCP 6.0-Szenario bis zum Jahr 2100 die Auswirkungen verhรคltnismรครŸig gering, da die Wassertemperatur weiterhin ganzjรคhrig rund 5 Grad Celsius betrรคgt. Allerdings werden die Wassertemperaturen beim RCP 8.5-Szenario deutlich zulegen โ€“ und zwar um nahezu 3 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts. Dadurch erwรคrmt sich das Tiefenwasser der Talsperre auf rund 8 Grad Celsius.

โ€žDamit wird aus einem Stausee im nรถrdlichsten Mittelgebirge Deutschlands ein Gewรคsser vergleichbar dem Lago Maggiore oder dem Gardaseeโ€œ, sagt UFZ-Wissenschaftler Karsten Rinke. Diese Temperaturerhรถhung hat Folgen, weil sich dadurch die Geschwindigkeit biologischer Stoffumsetzungen stark beschleunigt.

โ€žBei einer Temperaturzunahme auf 8 Grad Celsius verdoppelt sich nahezu die Sauerstoffzehrung, also der Sauerstoffverbrauch durch Atmungs- und Abbauprozesse von Organismenโ€œ, sagt Erstautor Chenxi Mi, der am UFZ รผber die Klimaauswirkungen auf die Rappbodetalsperre promoviert.

Weil sich die Dauer der Sommerstagnation โ€“ das ist die Phase der stabilen Temperaturschichtung der Seen, in denen das Tiefenwasser von der Sauerstoffversorgung aus der Atmosphรคre abgeschlossen ist โ€“ durch den Klimawandel ohnehin verlรคngert, bedeutet die erhรถhte Sauerstoffzehrung eine zusรคtzliche Belastung fรผr den Sauerstoffhaushalt des Gewรคssers. Hinzu kommt, dass wรคrmeres Wasser auch weniger Sauerstoff aufnehmen kann. Eine verstรคrkte Rรผcklรถsung von Nรคhrstoffen und gelรถsten Metallen aus dem Sediment, Algenwachstum und die Zunahme von Blaualgen wรคren mรถgliche Folgen.

Folgen fรผr die Trinkwasserversorgung

Das Eintreten des 8.5-Szenarios hรคtte somit Auswirkungen auf die Trinkwasserversorgung. Die Talsperrenbetreiber entnehmen das Rohwasser aus guten Grรผnden aus der untersten Schicht, da das Wasser dort kalt ist und einen geringen Gehalt an Trรผbstoffen, gelรถsten Metallen, Algen, Bakterien und potenziell pathogenen Mikroorganismen aufweist.

Nimmt nun dort aufgrund zunehmender Wassertemperatur der Sauerstoffanteil schneller ab, erhรถht das die Gefahr von Verunreinigungen, etwa durch Rรผcklรถsungen aus dem Sediment und einem verstรคrktem Bakterienwachstum. Fรผr die Betreiber wรผrde dies den Aufbereitungsaufwand erhรถhen und sie vor hรถhere Ansprรผche an die vorzuhaltende Aufbereitungskapazitรคt stellen.

โ€žEs lohnt sich daher auch mit Blick auf die Trinkwasserversorgung, die Erwรคrmung des Tiefenwassers zu vermeiden, idealerweise durch eine ambitionierte Klimapolitik, welche die Erwรคrmung begrenztโ€œ, sagt Rinke.

Ganz machtlos stehen die Talsperrenbetreiber der Erwรคrmung des Tiefenwassers aber nicht gegenรผber. Die Modellsimulationen des Teams um Karsten Rinke zeigen, dass ein Teil der Wรคrme durch ein geschicktes Wasserentnahmeregime abgefรผhrt werden kรถnnte. Dies betrifft die Wasserabgabe an den Unterlauf, also die Wasserentnahme, die in das darunterliegende FlieรŸgewรคsser entwรคssert, um dort die Abflussverhรคltnisse stabil zu halten. Diese sogenannte Unterwasser-Abgabe mรผsste nicht wie bisher aus den tieferen Schichten, sondern oberflรคchennah entnommen werden.

โ€žDamit wird die zusรคtzliche Wรคrme, die durch den Klimawandel verursacht wird, wieder abgegebenโ€œ, sagt Rinke. Bei einer Erwรคrmung der Luft รผber 6 Grad hinaus lasse sich allerdings das Aufheizen des Tiefenwassers nicht mehr verhindern.

โ€žAuch wenn die Betreiber infolge der sehr trockenen Jahre in jรผngster Vergangenheit eher mit dem Wassermangel zu kรคmpfen haben, ist es genauso wichtig, sich Gedanken um die Wasserqualitรคt zu machen. Wir haben durchaus Potenziale in der Talsperrenbewirtschaftung, auf die Verรคnderungen durch den Klimawandel zu reagieren und somit bestimmte negative Auswirkungen im Sinne einer Klimaanpassung abzupuffern.โ€œ

Die Betreiber der Rappbodetalsperre im Talsperrenbetrieb Sachsen-Anhalt sind sich dessen bewusst. Sie stehen mit den UFZ-Forschern um Karsten Rinke seit etlichen Jahren in engem Austausch, um die Auswirkungen des Klimawandels gemeinsam zu bewerten und Mรถglichkeiten der Anpassung an der Rappbodetalsperre auszuloten. So hat der Talsperrenbetrieb bereits neue Infrastrukturen in der Planung, welche die Implementation der neuen Bewirtschaftungsstrategien erlauben werden.

Chenxi Mi, Tom Shatwell, Jun Ma,Yaqian Xu, Fangli Su, Karsten Rinke: Ensemble warming projections in Germanyโ€™s largest drinking water reservoir and potential adaptation strategies. Science of the Total Environment.

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