Wie funktioniert unser Gehirn wirklich? Wie speichert es all die Millionen Dinge ab, die wir tagtรคglich wahrnehmen, einordnen und erkennen mรผssen? Die Leipziger Kognitionsforscher gehen davon aus, dass unser Gehirn dabei wie eine mentale Landkarte funktioniert, in der die hervorstechenden Merkmale eines Dings an verschiedenen Stellen gespeichert sind. Aus den markanten Merkmalen konstruiert unser Gehirn dann blitzschnell das richtige Muster: Aha, es ist eine Fliege!
Oder was immer man sieht โ im Sinne von wahrnehmen. Denn nur die Dinge, denen das Gehirn auch ein Muster zuordnen kann, kรถnnen wir auch erkennen. รbrigens ein Vorgang, der in der allerfrรผhesten Kindheit beginnt, in der das Gehirn seine Strukturen entwickelt und damit der Welt erst wahrnehmbare Muster verpasst.
Aber wie macht man so eine Arbeitsweise im Kopf sichtbar?
Wie reprรคsentiert das Gehirn unser Wissen รผber die Welt, sodass wir es flexibel nutzen kรถnnen, um unbekannte Situationen zu interpretieren oder auf Zusammenhรคnge zu schlieรen, die wir nie direkt erlebt haben?
Der Ansatz der Forschungsgruppe, die jetzt ihre Studie vorgestellt hat:
Ein Mittel, konzeptuelles Wissen zu organisieren, wรคre eine Art interne Landkarte: Beispielsweise kรถnnte man aus der Nรคhe zu bekannten Tieren in einem Raum, der entlang der Merkmalsdimensionen โKรถrpergewichtโ und โFlรผgelgrรถรeโ definiert ist, ableiten, ob ein unbekanntes Tier fliegen kann. Ein Tier besitzt jedoch mehr Eigenschaften als jene, die relevant fรผr seine Fรคhigkeit zu fliegen sind.
Damit eine kartenartige Reprรคsentation von Wissen also genutzt werden kann, um Bedeutung wie โflugfรคhig?โ auf neue Information wie โein unbekanntes Tierโ durch รhnlichkeitsabgleiche zu bekanntem Wissen zu รผbertragen, muss die Karte dynamisch auf die Merkmale angepasst werden, die gerade fรผr das jeweilige Konzept wichtig sind.
In ihrer aktuellen Studie zeigen Stephanie Theves und Christian Doeller vom Max-Planck-Institut fรผr Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) zusammen mit Guillรฉn Fernรกndez vom Donders Institut Nijmegen, dass die Kartierungsfunktion des Hippocampus genau diese Unterscheidung von konzeptionell-relevanten und insgesamt vorhandenen Merkmalen erfรผllen kann.
Jรผngste Forschung hat gezeigt, dass die Formation des Hippocampus, die als das Navigationssystem des Gehirns gilt, weit mehr als nur mentale Karten unserer rรคumlichen Umgebung kodiert. Sie kann auch abstraktere, nicht-rรคumliche Informationen in mentalen Karten organisieren.
In der aktuellen Studie lernten Probanden neue abstrakte Objekte (variierend in ihrer Anzahl an Streifen, an Punkten, und Transparenz), basierend auf dem Verhรคltnis zweier ihrer insgesamt drei Merkmalsausprรคgungen in zwei Kategorien einzuordnen. Man kann sich diese zwei Merkmalsdimensionen wie die x- und y-Achse eines Koordinatensystems vorstellen, in dem die Diagonale die Grenze zwischen beiden Kategorien bildet.
Ein Objekt mit relativ geringer Transparenz verglichen mit seiner Anzahl an Punkten gehรถrte dann zum Beispiel in Kategorie B. Wie viele Streifen das Objekt hat war dabei irrelevant. Wรคhrend also nur zwei der drei Objektmerkmale das Konzept der zwei Objektkategorien definierten, waren dennoch alle drei Merkmale (Punkte, Transparenz, und Streifen) einzuprรคgen und wurden auch genauestens von den Probanden erinnert.
โDurch diese Manipulation lieร sich herausfinden, ob der Hippocampus tatsรคchlich eine kartenartige Reprรคsentation des Konzepts an sich erstelltโ, sagt Studienleiterin Stephanie Theves.
Hierzu testeten die Wissenschaftler mit Messungen im Magnetresonanztomographen, ob hippocampale Aktivitรคtsmuster die Anordnung der Objekte in einem Raum widerspiegeln, der entweder nur von den zwei konzeptionell relevanten Merkmalsdimensionen aufgespannt wird, oder von allen drei Merkmalen.
Theves schlussfolgert: โUnsere Analysen sprechen dafรผr, dass der Hippocampus nur jene Merkmale in eine kombinierte kartenartige Reprรคsentation integriert, die in Relation zueinander relevant sind, in diesem Fall um das Konzept zu definieren. Das heiรt, obwohl die einzelnen Objekte in all ihren Details gelernt und erinnert wurden, wurde zudem eine Reprรคsentation des Konzeptes aus der Gesamtheit aller Merkmale herausgeschnitten. Wir gehen daher davon aus, dass der Hippocampus Wissenserwerb durch die Kartierung verhaltensrelevanter Information unterstรผtzt.โ
Originalpublikation: Stephanie Theves, Guillรฉn Fernรกndez and Christian F. Doeller โThe hippocampus maps concept space, not feature spaceโ in Journal of Neuroscience.
Das menschliche Gehirn: Stรคndig aktiv, aber manchmal an neuen Reizen nicht die Bohne interessiert
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