Mitte Juni gab das Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften die Ergebnisse einer Studie bekannt, die zumindest nachdenklich macht: „Vegetarier sind schlanker und weniger extrovertiert als Fleischesser“ war sie betitelt. Je weniger tierische Produkte man zu sich nimmt, desto geringer der Body-Mass-Index und desto weniger neigt man zu Extrovertiertheit, meinten die Studienautoren. Aber vielleicht ist es ja andersherum?
Denn zu dem Schluss kamen die Wissenschaftler/-innen des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften, weil sie ursprünglich einen Zusammenhang mit depressiven Verstimmungen, wie ihn andere Untersuchungen gefunden hatten, suchten. Doch der konnte nicht bestätigt werden.
Vegetarische Ernährung macht also nicht per se depressiv. Und fleischliche nicht nur wegen des Fleisches dick, wie die Studie bestätigte.
„Verzichtet man auf tierische Nahrungsmittel, nimmt man im Schnitt weniger besonders fett- und zuckerreiche Produkte zu sich“, erklärte Erstautorin Evelyn Medawar.
Mehr als 6,1 Millionen Deutsche gaben laut einer Erhebung des Allensbach-Instituts im vergangenen Jahr an, sich vegetarisch zu ernähren, 400.000 Menschen mehr als zwei Jahre zuvor.
Dick machen vor allem Fertiggerichte
Die großangelegte Studie am Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Zusammenarbeit mit dem Uniklinikum Leipzig hat nun an fast 9.000 Personen untersucht, wie diese Form der Ernährung mit dem Körper und der Psyche zusammenhängt – unabhängig von Alter, Geschlecht und Bildungsstand. Dabei zeigte sich: Je seltener der Anteil tierischer Nahrung auf dem Speiseplan einer Person ist, desto geringer ist im Schnitt ihr Body-Mass-Index (BMI) und damit ihr Körpergewicht. Eine Ursache dafür könnte der geringere Anteil an stark verarbeiteten Lebensmitteln in der pflanzlichen Ernährung sein.
„Dick machen vor allem übermäßig fett- und zuckerreiche Produkte. Sie regen den Appetit an und zögern das Sättigungsgefühl heraus. Verzichtet man auf tierische Nahrungsmittel, nimmt man im Schnitt weniger solcher Produkte zu sich“, erklärt Evelyn Medawar, Erstautorin der zugrunde liegenden Publikation, die im Fachmagazin „Nutrients“ erschienen ist.
Zudem: Vegetarische Lebensmittel enthalten Ballaststoffe und wirken sich positiv auf das Mikrobiom im Darm aus. Auch dadurch könnten sie früher satt machen als solche aus tierischen Zutaten. „Menschen, die sich vorwiegend pflanzlich ernähren, nehmen daher womöglich weniger Energie auf“, fügt Medawar hinzu. Neben einem veränderten Sättigungsgefühl könnten zudem Lebensstilfaktoren wie mehr Sport und ein höheres Gesundheitsbewusstsein eine entscheidende Rolle spielen.
Es könnte also auch sein, dass sich Vegetarier auch mehr bewegen, während Menschen, die sowieso schon ein Übergewicht mit sich herumschleppen, auch weniger Motivation zum Sporttreiben finden.
Für den BMI scheint es dabei auch einen Unterschied zu machen, von welchen tierischen Produkten sich eine Person ernährt. Sind es vorwiegend sogenannte primäre Tierprodukte, das heißt Fleisch, Wurst und Fisch hat sie meist einen höheren BMI als jemand, der vorrangig sekundäre Tierprodukte isst, also Eier, Milch, Milchprodukte, Käse und Butter. In ersterem Falle ist der Zusammenhang statistisch signifikant.
Was das für die Ernährung bedeuten könnte, macht Medawar an einem Beispiel fest: „Dass eine Person einen 1,2 Punkte niedrigeren BMI hatte, bedeutete im Durchschnitt, dass sie auf bestimmte tierische Produkte ganz verzichtete, also etwa die primären, und sich vegetarisch ernährte. Oder dass sie zwar auch weiterhin Fleisch und Fisch aß, diese dafür aber insgesamt seltener.“
Ob letztlich die Ernährung die Ursache für ein geringeres Körpergewicht ist oder andere Faktoren dafür verantwortlich sind, lässt sich anhand der Daten nicht sagen. Aufschluss darüber soll nun eine Folgestudie in Zusammenarbeit mit dem Uniklinikum bringen.
Pflanzliche Ernährung und Persönlichkeit
Und mit Psychologie hat das Ganze natürlich auch zu tun.
Die Forscher/-innen fanden zudem heraus, dass vegetarische oder vegane Ernährung auch mit der Persönlichkeit zusammenhängt. Insbesondere mit einem der fünf großen Persönlichkeitsfaktoren, der Extrovertiertheit. Es zeigte sich, dass Menschen mit vorwiegend pflanzlichen Lebensmitteln auf dem Speiseplan introvertierter sind als solche, die sich vorrangig von Tierprodukten ernährten.
„Woran das liegt, ist schwer zu sagen“, so Veronica Witte. „Es könnte daran liegen, dass introvertiertere Personen eher zu restriktiverem Essverhalten neigen oder sich aufgrund ihres Essverhaltens stärker sozial abgrenzen.“
Oder – da spitzen wir jetzt einfach mal zu – dass Menschen, die viele verarbeitete Lebensmittel essen (Fertigpizzen, Fastfood, abgepackte „Wurst“, Snacks usw.) weniger auf ihre eigenen persönlichen Bedürfnisse achten und eher bestrebt sind, dem Mainstream zu genügen, also auch das Essen als (extrovertierten) Lifestyle praktizieren und damit als einen Akt der Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft, die das „viele und leckere“ Essen als Kult zelebriert und das Nachdenken über das Gesundheitsschädigende daran als lästig, lust- und appetitmindernd empfindet.
Diese Wertung steckt im Kopf und scheint nach wie vor Maßstäbe zu setzen: dass gesundes und überlegtes Essen keine Lust und keinen Appetit macht.
Auch hierzu müssten weitere Studien folgen, so die Studienautor/-innen, wie sich Menschen mit den Eigenschaften ihrer Ernährung identifizierten. Dass pflanzliche Ernährung mit neurotischem Verhalten einhergeht, wie es andere Studien vermuten ließen, konnten sie hingegen nicht bestätigen.
„Frühere Analysen hatten herausgefunden, dass neurotischere Menschen generell häufiger bestimmte Gruppen an Lebensmitteln weglassen und sich dahingehend restriktiver verhalten. Wir fokussierten uns hier allein auf den Verzicht von tierischen Produkten und konnten keine Korrelation beobachten“, erklärt Studienleiterin Veronica Witte.
Vegetarische Ernährung macht nicht depressiv
In einem dritten Teil gingen sie schließlich der Frage nach, ob eine vorwiegend pflanzliche Ernährung häufiger mit depressiven Verstimmungen einhergeht. Auch hier hatten frühere Studien eine Beziehung zwischen beiden Faktoren nahegelegt.
„Auch das konnten wir nicht erkennen“, sagt Witte. „Möglicherweise hatten in früheren Analysen andere Faktoren die Ergebnisse verwischt, darunter der BMI oder auffällige Persönlichkeitsmerkmale, die bekanntermaßen mit Depressionswerten zusammenhängen können. Die rechneten wir heraus.“
Auch die stärkere Akzeptanz und Verbreitung pflanzlicher Ernährung könnten hier mit reinspielen.
Und natürlich die jahrzehntelange Wirkung von Werbung und gesellschaftlichen Normen. Man denke nur an Slogans wie „die gute Butter“ oder „Fleisch ist ein Stück Lebenskraft“. Während vegetarische Ernährung als eine Minderung des Essgenusses verstanden wurde und wird. Nicht als Zugewinn. Womit auch das Thema Essen sich als Bestandteil einer auf permanentes Wachstum ausgerichteten Konsumgesellschaft erweist, ein Wachstum, das sich dann eben auch in wachsender Körperfülle manifestiert.
Zeichen dafür, wie sich der Mensch von seinen eigenen Bedürfnissen entfernt, wenn er sich als Teil dieser entgrenzten Kultur versteht. Die Extrovertiertheit könnte dann auch eng mit der Haltung zusammenhängen: Ich gehöre dazu. Ich bin wie alle anderen. Oder – wieder so ein dummer Werbespruch: „Du darfst so bleiben, wie du bist.“
Ganz so, als sei Essen nicht eine höchstpersönliche Angelegenheit, bei der ein Auf-sich-selbst-Besinnen und Nichts-beweisen-müssen überhaupt nicht von Schaden sind.
Untersucht hatten die Wissenschaftlerinnen diese Zusammenhänge innerhalb des sogenannten LIFE-Projekts, einer breit angelegten Studie in Kooperation mit dem Uniklinikum Leipzig. Die Ernährungsweise bestimmten sie anhand von Fragebögen, in die die Teilnehmer eintragen sollten, wie häufig sie die einzelnen Tierprodukte in den letzten 12 Monaten zu sich nahmen – von „mehrmals täglich“ bis „nie“. Die Persönlichkeitsmerkmale wie Extrovertiertheit und Neurotizismus erhoben sie anhand eines sogenannten Persönlichkeitsinventars (NEOFFI), die Depressivität mit dem sogenannten CESD-Test, einem Fragebogen, der verschiedene Symptome einer Depression erfasst.
Originalpublikation: Evelyn Medawar, Cornelia Enzenbach, Susanne Roehr, Arno Villringer, Steffi Riedel-Heller, and A. Veronica Witte, „Less animal-based food, better weight status: Associations of the restriction of animal-based product intake with body-mass-index, depressive symptoms and personality in the general population“, Nutrients 12 (5), 1492 (2020).
Machtgefälle im Kopf. Die neue „Leipziger Zeitung“ Nr. 80 ist da: Was zählt …
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