Eine spannende Frage wirft das in Leipzig heimische Leibniz-Institut für Länderkunde mit seiner jüngsten Studie auf. Es beschäftigt sich ja seit geraumer Weile schon mit den Ursachen und Folgen der demografischen Entwicklungen in Deutschland. Und dazu gehört auch, dass sich Forschungsinstitute und Hochschulen in den größeren Städten konzentrieren und akademisch gebildete Menschen deswegen in die Großstädte abwandern. Und damit verschwindet logischerweise die Innovation aus den ländlichen Räumen.
Und das, obwohl doch heute auch in den ländlichen Regionen Internet anliegt und man nicht unbedingt in der Großstadt wohnen muss, um digital vernetzte Forschung zu betreiben.
Trotz zunehmender Digitalisierung sind Innovationen weiterhin in den großen Städten und deren unmittelbarer Umgebung konzentriert. Regionen fernab der Metropolen bleiben abgeschlagen. Eine Ursache sind die in peripheren Räumen bestehenden Defizite bei der öffentlichen Bildungs- und Forschungsinfrastruktur. Das zeige eine vom Leibniz-Institut für Länderkunde geleitete Studie, teilt das Forschungsinstitut mit.
Aber es stellt auch fest: Die Akteure in außerstädtischen Räumen sind nach den Erkenntnissen der Wissenschaftler durchaus in überregionale Netzwerke eingebunden. Die öffentlich geförderten Kooperationsaktivitäten orientieren sich jedoch stark auf die Verdichtungsräume. Fernab der Ballungszentren verbreiten sich Wissen, Ideen, Erkenntnisse und Methoden in Deutschland dagegen nur in beschränktem Umfang.
In den Großstadtregionen kooperieren die Akteure hauptsächlich untereinander und wenig mit Partnern außerhalb der Metropolen. Diese Unterschiede sind bei den öffentlichen Forschungseinrichtungen deutlicher ausgeprägt als bei den Unternehmen. Die Wissenschaftler folgern daraus, dass periphere Räume hauptsächlich aufgrund ihrer schwach ausgeprägten öffentlichen Bildungs- und Forschungsinfrastruktur in der Innovationsleistung und im Wissenstransfer zurückfallen.
Ist das die richtige Hypothese?
Denn wenn sie stimmt, ist alles nur eine Verteilungsfrage.
Denn um dieses Defizit auszugleichen, empfehlen die Forscher den Bildungsbereich mit Schwerpunkt auf dualen Ausbildungssystemen zu stärken sowie multilokale Netzwerke und Austauschmöglichkeiten mit innovativen Akteuren zu fördern. Ferner müssten die vor Ort vorhandenen Kompetenzen unterstützt und Hindernisse für den Wissensaustausch beseitigt werden. Dazu zählen beispielsweise Informationsdefizite hinsichtlich der Expertise von Forschungseinrichtungen oder mangelndes Interesse der Unternehmen, sich an Forschungsprojekten zu beteiligen.
Die Gegenthese: Kann es sein, dass heutige Innovationen nicht nur eine Mindestausstattung an Infrastrukturen (vom Breitband bis zur Verkehrsanbindung) brauchen, sondern akademische Forschung auch ein entsprechendes kulturelles und soziales Umfeld braucht? Dass die Innovationskraft sich also nicht in den großen Städten konzentriert, weil hier die großen Forschungsinstitute sind, sondern die großen Forschungsinstitute und ihre Netzwerke sich hier konzentrieren, weil hier das benötigte akademische Personal zu finden ist?
Dass es also ein schöner Traum ist, Forschungsinstitute in ländliche Räume zu verlagern, das aber bestenfalls die Konzentration an großen Infrastrukturknoten verzögert, aber nicht wirklich Innovationskraft in die ländlichen Räume bringt?
Man darf auch nicht die „Nebenkosten“ solcher Forschung vergessen. Sie ist auch deshalb meist zentral angesiedelt, weil alle notwendigen Ressourcen vor Ort zu finden sind.
Spannender ist da eher die Frage, wie gut vernetzt die Forschungseinrichtungen in die Region sind und wie die Innovationen auch in den ländlichen Räumen Früchte tragen. Dazu kann durchaus die Frage gehören: Wie wird auch der ländliche Raum modern und zum – nicht abgehängten – Teil der modernen Gesellschaft?
Die Studie beruht auf Daten zum Innovations- und Kooperationsverhalten verschiedener Akteursgruppen in Deutschland. Der Fokus liegt auf vertraglich geregelten Formen der Zusammenarbeit und des Wissensaustauschs. Befragungen im thüringischen Kyffhäuserkreis und im Landkreis Donau-Ries in Bayern sollen Aufschluss über die eher informellen Transfermechanismen geben. Die Ergebnisse erscheinen demnächst als Teil zwei der Studie.
Die Untersuchung ist Teil des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundvorhabens „Horizonte erweitern – Perspektiven ändern“, das in vier Modellregionen Strategien zur Förderung des Transfers von Forschungsergebnissen in agglomerationsferne Räume entwickelt. Es nimmt ländliche Regionen als spezifische Innovationsräume in den Blick und erweitert damit den auf die Metropolen fixierten Diskurs.
Originalpublikation (Open Access): Brachert, Mattias / Graffenberger, Martin / Lang, Thilo (2020): Innovation und Wissenstransfer außerhalb der Agglomerationsräume. Kontextfaktoren, Strukturen und räumliche Muster. (forum ifl 36), Leipzig, 147 S. ISBN 978-3-86082-109-1.
Fällt das Land auseinander oder zeigt sich im Flickenteppich das Ende einer überholten Politikära?
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