Die jüngste Umfrage des „Spiegel“ belegt es ja nur zu deutlich: Die bislang eher positive Deutung der Globalisierung ist in den letzten zwei Jahren rasant ins Negative umgeschlagen. Daran ist nicht erst die Corona-Pandemie schuld. Und womöglich unterbricht die Pandemie nicht einmal die weitere Globalisierung der Welt, sagt Prof. Dr. Dirk van Laak über die aktuelle Situation.
Dirk van Laak ist Professor für deutsche und europäische Geschichte des 19. bis 21. Jahrhunderts an der Universität Leipzig. Zugleich wirkt er am universitären Zentrum ReCentGlobe als Co-Sprecher des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt und ist Teilprojektleiter des Sonderforschungsbereichs 1199 „Verräumlichungsprozesse unter Globalisierungsbedingungen“.
In einem Blogbeitrag des ReCentGlobe beschäftigt sich Prof. Dr. Dirk van Laak ausführlich mit der Thematik. Im Blog kommen verschiedene assoziierte Wissenschaftler zu Wort und beleuchten ganz unterschiedliche Aspekte der Coronakrise.
Welche Parallelen zu früheren Epidemien er sieht und wie die aktuelle Pandemie die Globalisierung aus seiner Sicht beeinflusst, beantwortet der Historiker im Interview.
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Sie schreiben im Blog des Research Centre Global Dynamics (ReCentGlobe), dass Globalisierung in unseren westlichen Gesellschaften für eine bürgerliche Utopie des möglichst engen Sozialkontakts stand, vielleicht sogar Weltfrieden befördern sollte. Wie verändert die Corona-Pandemie diese Deutung?
Diese Deutung war schon immer ambivalent. Die Vorstellung von der Vernetzung der Welt als Utopie wird von einer gewissen „PR“ begleitet. Der Tenor lautet, wenn die Menschen sich nur näher kennenlernen, dann wird es keine Kriege mehr geben. Aber es gab auch schon immer Mahner und Warner, die Einflüsse von außen als Gefahr sahen. Damit meine ich auch seriöse Quellen wie Gesundheitsexperten, die unkontrollierte Fließbewegungen natürlich immer auch kritisch sahen.
Viel von dem, was wir über die Quarantäne wissen, stammt aus Erfahrungen, die an Häfen und Flughäfen gesammelt wurden. Die Mahner und Warner bekommen durch die Coronakrise einen neuen Aufschwung und mehr Zuhörer. Die eher positive Deutung der Globalisierung ist momentan rasant ins Negative umgeschlagen. Für mich als Historiker ist das interessant zu beobachten.
Da findet eine gesellschaftliche Neucodierung statt. Ich denke, die positiven Assoziationen, die mit Vernetzung und Globalisierung einhergehen, können wiederkommen. Aber optimistische Visionen brauchen eine lange Zeit der friedlichen Entwicklung, um sich festzusetzen. In Zeiten der Gefahr schlägt das oft relativ rasch ins Gegenteil um.
Sie beschreiben in Ihrem Blogeintrag eine zunehmend vernetzte und schneller werdende Welt. Wir sind heute stark von sozialen und technischen Infrastrukturen abhängig. Hat die Coronakrise eine lineare Entwicklung unterbrochen?
Nein, Globalisierung war nie linear, sie verlief immer in Schüben und uneinheitlich. Die Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg wird häufig als Zeit der Deglobalisierung bewertet. In der Weimarer Republik wurden neue Horizonte in der Tat weniger durch Reisen, dafür aber durch neue Medien wie das Kino und das Radio erschlossen. Die Perspektive verengte sich damals auf das nationale Schicksal – vielleicht eine Parallele zu heute. Aber insgesamt hat die Verflechtung global gesehen sicherlich zugenommen. Das sehen wir auch daran, dass die Reaktionen auf Corona in vielen Teilen der Welt recht einheitlich ausfallen.
Wenn man in die Geschichte des 20. Jahrhunderts zurückblickt – Sehen Sie Parallelen zwischen den Reaktionen auf unsere aktuelle Krise und historischen Beispielen? Sie erwähnen im Blog den Ausbruch von AIDS oder die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl.
Ja, da sehe ich gewisse Parallelitäten. Katastrophen und Krisen sind immer erst mal die Stunde der Exekutive. Die Bevölkerung hört auf Menschen mit Fachwissen, auf Ärzte und andere Experten. Verlässliche Informationen sind in dieser Phase ganz wichtig. Der Moment der Einheit hält sich aber meist nicht lange. In der nächsten Phase differenziert sich das Meinungsbild aus, das erleben wir gerade wieder. Das ist natürlich auch Ausdruck einer individualisierten Gesellschaft.
Proteste und Verschwörungstheorien, wie wir sie jetzt erleben, hat es sicherlich immer schon gegeben. Als im Mittelalter die Pest ausbrach, wurden schnell Schuldige ausgemacht. Heute sehen wir zum Glück weniger Gewalt, das meiste spielt sich vorerst medial ab. Dennoch ist es wichtig, aufzupassen und auf die Sicherheit von Minderheiten zu achten.
Das Interview führte Pia Siemer, Medienredaktion der Universität Leipzig.
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