Die Coronakrise ist ja nur eine Krise, die gerade viele andere Krisen aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt. Vor den ganzen Allgemeinverfügungen standen ja Dutzende westdeutscher Städte davor, ein Fahrverbot für Dieselautos verhängen zu müssen. Höchst widerwillig, obwohl sie allesamt die von der EU gesetzten Grenzwerte rissen. Mit dem Lockdown sind die Schadstoffwerte aber deutlich gesunken. Und das verhilft einem Hallenser Forscher zu einem unerwarteten Forschungsergebnis.
Denn gerade über die Grenzwerte für das Stickstoffdioxid wurde ja bis aufs Messer diskutiert. Und es meldete sich auch schon so manch ein dubioser Lungenarzt zu Wort, der die ganzen Studien zu den jährlichen Toten durch Stickoxid infrage stellte. Manche selbst ernannte Experten kämpfen noch heute, so wie der „Spiegel“-Reporter Alexander Neubacher, der auch schon mit dem seltsamen Buch „Ökofimmel. Wie wir versuchen, die Welt zu retten, und was wir damit anrichten“ von sich reden machte.
Diesmal nutzt er neuere Messwerte zu Schadstoffmessungen dazu, um die sehr verquere Frage zu stellen „Kaum noch Straßenverkehr, trotzdem herrscht dicke Luft in der Umweltzone. Wie passt das bloß zusammen?“
Wobei er in dieser Wortmeldung emsig Äpfel und Birnen durcheinanderwirft, in diesem Fall Feinstaub- und Stickoxidbelastung, sodass er den Lesern suggeriert, der menschgemachte Autoverkehr in den Städten habe kaum Einfluss auf die Höhe der Schadstoffwerte, ein bisschen Saharawüstenstaub würde ja sowieso schon die Grenzwerte reißen.
Was natürlich reine Wortartistik ist. Vielleicht hätte er da vorher doch lieber mit einem Meteorologen über die Anteile der „Hintergrundbelastung“ und der verkehrsinduzierten Schadstoffmengen an den städtischen Messwerten reden sollen. Und was Feinstaub- von Stickoxidmessungen unterscheidet. Und: Welche verschiedenen Krankheitsmuster dadurch bedingt werden.
Dass die zu hohe und vor allem andauernde Belastung mit Stickstoffdioxid in den Großstädten und vor allem an dicht befahrenen Hauptstraßen die Ursache für vermehrte Zahlen an Lungenkrankheiten und damit auch entsprechenden Todesfolgen ist, ist unter den Forschern, die sich wirklich mit dem Thema beschäftigen, nämlich überhaupt nicht umstritten. Umstritten ist eher, ob die Grenzwerte noch zu hoch angesetzt sind.
Der Corona-Shutdown in allen großen Industrienationen, der ja über Wochen auch mit einem deutlich reduzierten Verkehr einherging, bietet nun Forschern der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) eine ideale Gelegenheit, genau diese Verbindung zwischen Schadstoffbelastung und höheren Todeszahlen durch Lungenerkrankungen zu belegen.
Denn Covid-19 ist natürlich eine schwere Lungenerkrankung, die vor allem Menschen trifft, deren Lungen schon vor dem Coronavirus Sars-CoV-2 durch Schadstoffe aus dem Verkehr oder der Industrie geschädigt waren.
Denn: Hohe Stickstoffdioxid-Werte in der Luft könnten in Zusammenhang mit hohen Todeszahlen infolge von Covid-19-Erkrankungen stehen. Die neue Studie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) liefert für diese Vermutung erstmals konkrete Zahlen. Die Arbeit kombiniert Satelliten-Daten zur Luftverschmutzung und zu Luftströmen mit bestätigten Todesfällen in Zusammenhang mit Covid-19.
Und die Studie zeigt: Regionen mit einer dauerhaft hohen Schadstoffbelastung haben deutlich mehr Todesfälle als andere Regionen. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal „Science of the Total Environment“ veröffentlicht.
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Stickstoffdioxid ist ein Schadstoff in der Luft, der die Atemwege des Menschen schädigt. Bereits seit vielen Jahren ist bekannt, dass er beim Menschen zahlreiche Atemwegserkrankungen oder auch Herz-Kreislaufbeschwerden begünstigen kann. „Da das neuartige Coronavirus ebenfalls die Atemwege befällt, liegt die Vermutung nahe, dass es einen Zusammenhang zwischen der Luftverschmutzung und den Todeszahlen bei Covid-19 geben könnte“, sagt Dr. Yaron Ogen vom Institut für Geowissenschaften und Geographie der MLU. Bislang fehlte es hierfür aber an belastbaren Zahlen.
In seiner neuen Studie kombinierte der Geowissenschaftler drei Datensätze miteinander: Die Messungen zur regionalen Belastung mit Stickstoffdioxid stammen von dem Satelliten Sentinel 5P der Europäischen Weltraumbehörde ESA, der die Luftverschmutzung der Erde kontinuierlich überwacht. Anhand dieser Daten erstellte er eine globale Übersicht für Regionen mit einer hohen und langanhaltenden Stickstoffdioxid-Belastung.
„Ich habe mir die Werte für Januar und Februar dieses Jahres angeschaut, bevor die Corona-Ausbrüche in Europa begonnen haben“, so Ogen weiter. Diese Daten kombinierte er mit den Angaben der US-Wetterbehörde NOAA zu den vertikalen Luftströmen.
Die Idee dahinter: Ist die Luft in Bewegung, werden auch die bodennahen Schadstoffe stärker verteilt. Bleibt die Luft jedoch eher am Boden, gilt das auch für die Schadstoffe in der Luft, die dann eher vom Menschen eingeatmet werden und zu gesundheitlichen Problemen führen. Mithilfe dieser Daten konnte der Forscher weltweit Hotspots mit einer hohen Luftverschmutzung und gleichzeitig einer geringen Luftbewegung ausmachen.
Diese verglich er dann mit den Angaben zu Todesfällen in Zusammenhang mit Covid-19. Speziell analysierte er die Angaben aus Italien, Frankreich, Spanien und Deutschland. Dabei stellte sich heraus, dass vor allem die Regionen eine hohe Todeszahl aufweisen, in denen sowohl die Belastung mit Stickstoffdioxid besonders hoch als auch der vertikale Luftaustausch besonders gering sind.
„Wenn wir uns beispielsweise Norditalien, den Großraum Madrid oder die Provinz Wuhan in China anschauen, sehen wir eine Besonderheit: Sie alle sind umgeben von Bergen. Das macht es noch einmal wahrscheinlicher, dass die Luft in diesen Regionen stabil und die Belastung mit Schadstoffen höher ist“, so Ogen weiter.
Der Vorteil seiner Analyse sei, dass sie auf der Ebene einzelner Regionen ansetzt und nicht nur Länder miteinander vergleicht. Für ein Land könne es zwar einen Durchschnittswert für die Luftverschmutzung geben, der aber von Region zu Region sehr unterschiedlich ausfallen könnte und deshalb kein verlässlicher Indikator sei, so Ogen.
Der Geowissenschaftler vermutet, dass diese langanhaltende Luftverschmutzung in den betroffenen Regionen insgesamt zu einem schlechteren Gesundheitszustand der Menschen geführt haben könnte und dass diese deshalb besonders anfällig für das Virus sind.
„Meine Arbeit zu dem Thema ist aber nur ein erster Hinweis, dass es offenbar einen Zusammenhang zwischen dem Grad der Luftverschmutzung, der Luftbewegung und der Schwere des Verlaufs von Corona-Ausbrüchen gibt“, sagt Ogen. Dieser Zusammenhang müsste nun für weitere Regionen untersucht und in einen größeren Kontext gesetzt werden.
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Natürlich kann man mit der Methode noch nicht stadtgenau herausbekommen, wie Stickoxidbelastung und Covid-19-Erkrankungen wirklich zusammenhängen. Aber gerade Norditalien fällt in Ogens Untersuchung auf, wo selbst in der Troposphäre noch massive Stickoxid-Konzentrationen gemessen wurden. Die höchsten Belastungen konnte er über Italien und Spanien ausmachen.
Und auch wenn Deutschland nicht so hochbelastet erscheint, fallen in den Messkarten durchaus die industriellen Hotspots in West- und Süddeutschland auf, während Ostdeutschland augenscheinlich davon profitiert, dass hier die NOx-Belastung aufgrund der geringen Industriedichte auch deutlich geringer ist – was dann auch die Verteilungszahlen zwischen den vielen Covid-19-Fällen im Westen und den deutlich wenigeren im Osten zum Teil erklären würde.
Die Studie: Ogen, Yaron. Assessing nitrogen dioxide (NO2) levels as a contributing factor to the coronavirus (COVID-19) fatality. Science of the Total Environment (2020).
Auch in Leipzig sind die Stickoxid-Messwerte unter den EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm gefallen
Auch in Leipzig sind die Stickoxid-Messwerte unter den EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm gefallen
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