Jetzt, da so viele Menschen gezwungen sind, zu Hause zu bleiben – auch Forscher und Dozenten – ist natürlich auch ein guter Zeitpunkt, ein paar spannende Forschungsergebnisse zu veröffentlichen. Das tut auch die Universität Leipzig, wo sich einige Institute auch mit der Klimaforschung beschäftigen. Nicht nur in der Gegenwart, sondern auch tief in der Vergangenheit. Dass man dabei einen richtigen Regenwald in der Antarktis entdeckte, war durchaus eine Überraschung.
Ein internationales Forscherteam unter Beteiligung der Universität Leipzig hat ein neues und bislang einzigartiges Fenster in die Klimageschichte der Antarktis aufgestoßen. In einem Sedimentbohrkern, den die Forschenden im Februar 2017 im westantarktischen Amundsenmeer geborgen haben, fanden sie nahezu ursprünglich erhaltenen Waldboden aus der Kreidezeit, einschließlich vieler Pflanzenpollen und -sporen sowie eines dichten Wurzelnetzwerkes.
Die Vegetationsüberreste belegen, dass vor etwa 90 Millionen Jahren ein gemäßigter, sumpfiger Regenwald im Küstenbereich der Westantarktis wuchs und die Jahresdurchschnittstemperatur etwa 12 Grad Celsius betrug – ein für das Südpolargebiet außergewöhnlich warmes Klima, welches nach Auffassung der Wissenschaftler nur möglich wurde, weil der antarktische Eisschild fehlte und die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre deutlich höher war als Klimamodellierungen bislang vermuten ließen.
Am 1.April berichtete zuerst das Alfred-Wegener-Institut über die Entdeckung.
Die unter der Leitung von Geowissenschaftlern des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), entstandene Studie, welche die südlichsten direkt verwertbaren Klima- und Umweltdaten aus der Kreidezeit liefert und Klimamodellierer auf der ganzen Welt vor neue Herausforderungen stellt, erschien jetzt im Fachmagazin „Nature“.
Die mittlere Kreidezeit vor etwa 115 bis 80 Millionen Jahren gilt nicht nur als das Zeitalter der Dinosaurier, sie war auch die wärmste Periode der zurückliegenden 140 Millionen Jahre. Nach bisherigem Wissensstand betrug die Meeresoberflächentemperatur in den Tropen damals rund 35 Grad Celsius. Der Meeresspiegel lag bis zu 170 Meter höher als heute.
Weitgehend unbekannt war bislang jedoch, wie die Umweltbedingungen zu jener Zeit südlich des damaligen Polarkreises aussahen. Aus der Antarktis gab es bis jetzt nämlich kaum aussagekräftige Klimaarchive, die so weit zurückreichen. Der neue Bohrkern bietet den Wissenschaftlern nun erstmals die Gelegenheit, anhand einzigartiger Spuren das westantarktische Klima der mittleren Kreidezeit zu rekonstruieren.
In dem Bohrkern, den die Forschenden auf einer Polarstern-Expedition mit dem Bremer Meeresboden-Bohrgerät MARUM-MeBo70 vor dem westantarktischen Pine-Island-Gletscher gezogen haben, fanden sie nahezu ursprünglich erhaltenen Waldboden aus der Kreidezeit.
„Bei der ersten Begutachtung an Bord fiel uns sofort die ungewöhnliche Färbung dieser Sedimentschicht auf. Sie unterschied sich deutlich von den Ablagerungen darüber. Erste Analysen ließen zudem vermuten, dass wir in einer Tiefe von 27 bis 30 Metern unter dem Meeresboden auf eine Schicht gestoßen waren, die sich einst an Land gebildet haben musste und nicht im Meer“, berichtet Erstautor Dr. Johann Klages, Geologe am AWI in Bremerhaven.
Der Sedimentologe und Paläoklimatologe Prof. Dr. Werner Ehrmann, Leiter des Instituts für Geophysik und Geologie der Universität Leipzig, wirkte mit bei der Planung und Vorbereitung der Polarstern-Expedition und befand sich auch im Februar und März 2017 mit an Bord des Forschungsschiffes. Ehrmann war bei der Auswertung der Sedimentproben im Labor beteiligt.
„Wir waren schon sehr überrascht, als wir beim Öffnen und Säubern der Bohrkerne die ersten Wurzelröhren entdeckten. Das kannten wir aus antarktischen Bohrkernen bisher nicht, und das hatten wir auch nicht erwartet. Meine Analysen belegen für die Sedimente, in denen wir die Wurzelröhren antreffen, eine Dominanz des Tonminerals Kaolinit. Dieses Mineral treffen wir auch rund um Leipzig im Zusammenhang mit den Braunkohleflözen an. Es zeigt moorige Bedingungen an. Zusammen mit dem Tonmineral Smektit deutet es auf ein warmes und feuchtes Klima hin“, erklärt er.
Welch einzigartiges Klimaarchiv die Forschenden jedoch tatsächlich geborgen hatten, offenbarte sich erst, als der Sedimentkern in einem Computertomographen (CT) untersucht wurde. Die CT-Aufnahmen zeigten ein dichtes Wurzelgeflecht, welches sich durch die gesamte Bodenschicht aus sehr feinkörnigem Ton und Silt zog und so gut konserviert war, dass die Wissenschaftler einzelne holzige Zellverbände erkennen konnten. Außerdem enthielt die Bodenprobe zahllose Pollen und Sporen verschiedener Gefäßpflanzen, darunter auch Spuren der ersten Blütenpflanzen innerhalb dieser hohen antarktischen Breiten.
Der in der Studie untersuchte Sedimentkern wurde auf der Expedition PS104 des deutschen Polarforschungsschiffes Polarstern (6. Februar bis 19. März 2017) in das Amundsenmeer geborgen. Die Bohrung wurde mit dem am MARUM in Bremen entwickelten Meeresbodenbohrgerät MARUM-MeBo70 vorgenommen, das zum ersten Mal in der Antarktis eingesetzt wurde. Die CT-Untersuchungen wurden im Klinikum-Mitte in Bremen durchgeführt. Finanziert wurde das Forschungsprojekt, insbesondere aber die Polarstern-Expedition PS104, durch Gelder des AWI, des MARUM, des British Antarctic Survey und des britischen International Ocean Discovery Program (UK-IODP).
Publikation der Studie in „Nature“: „Temperate rainforests near the South Pole during peak Cretaceous warmt“, Nature, doi.org/10.1038/s41586-020-2148-5
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