Menschen unterscheiden sich durch einiges von Tieren โ€“ auch von ihren nรคchsten Verwandten, den Menschenaffen. Und einen sehr markanten Unterschied macht ihre Fรคhigkeit zum Sprechen. Warum Menschen das kรถnnen und Menschenaffen nicht, das erklรคrt Angela D. Friederici vom Leipziger Max-Planck-Institut (MPI) fรผr Kognitions- und Neurowissenschaften im Interview.

So verzรผckt Eltern auch sind, wenn ihr Kleines das erste Mal โ€žMa-Maโ€œ oder โ€žPa-Paโ€œ brabbelt โ€“ ehe daraus Sรคtze entstehen, muss noch viel passieren. Die einzelnen Hirnareale fรผr die Wortbedeutung und Grammatik reifen heran, Verknรผpfungen bilden sich heraus und verstรคrken sich. Ein Prozess, der unbewusst und mit jeder Sprache einsetzt, in die ein Baby geboren wird. Anders bei Menschenaffen. Obwohl die Tiere hochkomplexe Fรคhigkeiten haben, Sprache kรถnnen sie nicht.

Welche Hirnstrukturen und Gene beim Menschen den Unterschied machen, will Angela D. Friederici vom MPI CBS mit Kollegen vom MPI fรผr Evolutionรคre Anthropologie herausfinden. Ein Gesprรคch darรผber, warum man bislang so wenig รผber die Unterschiede zwischen Mensch und Affe weiรŸ โ€“ und warum selbst dieses Wissen durch neuere Erkenntnisse infrage gestellt werden kรถnnte.

Frau Friederici, warum hat nur der Mensch Sprache?

Tatsรคchlich wissen wir das bis heute nicht genau. Wir vermuten, dass es mit bestimmten Hirnstrukturen zusammenhรคngt, die beim Menschen und beim Menschenaffen unterschiedlich ausgebildet sind, und dass diese Ausprรคgungen wiederum genetisch bedingt sind.

Auch Menschenaffen kรถnnen miteinander kommunizieren. Was ist der Unterschied zur menschlichen Sprache?

Das stimmt, Affen und auch Hunde und Papageien kรถnnen Wรถrter lernen. Dabei assoziieren sie ein abstraktes Symbol oder einen akustischen Reiz mit einem Objekt. Lose aneinandergereihte Wรถrter ergeben aber noch keine Sprache. Erst, wenn sie nach festen Regeln in endlos vielen Kombinationsmรถglichkeiten aneinandergefรผgt werden, ergeben sie eine Bedeutung. Tiere schaffen das nicht, selbst unsere nรคchsten Verwandten nicht. Affen kommunizieren, Menschen reden und haben Sprache. Aber zugegeben, wir wissen bisher noch recht wenig รผber jene Hirnstrukturen bei Menschenaffen, aus denen dann vermutlich beim Menschen Sprache erwรคchst. Die lassen sich bei Affen nur schwer untersuchen.

Warum?

Aus zwei Grรผnden. Man kann Affen nicht einfach wie dem Menschen Sprachaufgaben geben und schauen, was im Hirnscanner passiert. AuรŸerdem gelten bei ihnen besonders hohe ethische Standards. Sie haben ein hochkomplexes Verhalten und sind noch dazu vom Aussterben bedroht.

Das bisherige Wissen รผber die Hirnstrukturen bei Schimpansen stammt daher vor allem von Tieren in Zoos. Sie haben aber nur einen sehr beschrรคnkten โ€žSprachschatzโ€œ, also eine weniger ausgeprรคgte Kommunikation als Schimpansen in freier Natur. Die haben zum Teil komplexe Kombinationen aus Lauten. Wir wollen nun herausfinden, wie aus Gehirnen, die diese Laute produzieren, im Laufe der Evolution Gehirne entstanden sind, die menschliche Sprache verarbeiten.

Wie wollen Sie das untersuchen?

Wir wollen zusammen mit dem Max-Planck-Institut fรผr Evolutionรคre Anthropologie und verschiedenen Reservaten in Uganda, Gabun, der Elfenbeinkรผste und im Kongo erforschen, welchen Zusammenhang es zwischen dem Verhalten und dem Gehirn bei freilebenden Schimpansen gibt. Die Tiere werden und wurden bereits in den vergangenen Jahren dabei beobachtet, wie sie miteinander kommunizieren.

Wenn dann ein Tier durch einen natรผrlichen Tod oder im Kampf mit Artgenossen stirbt, dann untersuchen wir im Nachhinein mit Hilfe von MRT-Aufnahmen, wie bei ihm anatomisch verschiedene Hirnstrukturen ausgebildet waren. Wie sind also beim Affen die Netzwerke im Gehirn ausgeprรคgt, die beim Menschen fรผr die Sprache verantwortlich sind. Wir wollen daraus ableiten, was mit diesen basalen Kommunikationsstrukturen von Affen passiert ist, damit wir Menschen heute Sprache verarbeiten kรถnnen.

Welche Strukturen und Verbindungen machen also den entscheidenden Unterschied zwischen Mensch und Affe aus?

Eine fรผr die Sprache ganz entscheidende Hirnstruktur ist der sogenannte Fasciculus Arcuatus, eine Faserverbindung, die Sie vor einigen Jahren entdeckt haben. Die gibt es beim Affen so nicht.

Ist das nicht der gesuchte โ€žmissing linkโ€œ?

In gewisser Weise schon. Diese bogenfรถrmige Faserverbindung verbindet beim Menschen das Broca-Areal, das vor allem fรผr die Grammatik zustรคndig ist, mit dem Wernicke-Areal, das die Bedeutung von Wรถrtern verarbeitet. Beide Regionen kรถnnen รผber diese Faserverbindung miteinander Informationen austauschen. Beim Schimpansen ist die Verbindung nur in Ansรคtzen vorhanden.

Bisher hat man das aber nur bei Tieren in Zoos an Bildern mit sehr geringer Auflรถsung erforschen kรถnnen. Nicht bei Tieren, die in freier Wildbahn leben, und auch nicht in der Detailliertheit wie es heute mรถglich ist. Viele Strukturen im deutlich kleineren Schimpansengehirn konnten daher noch nicht im Detail untersucht werden. Vor allem weiรŸ man dort noch nicht, in welche Areale die Verbindungen ihre Informationen genau senden.

Wir wollen nun herausfinden, ob der Fasciculus Arcuatus, der die Sprachareale beim Menschen verbindet, tatsรคchlich der entscheidende Unterschied beim Menschen ist โ€“ oder ob der bei freilebenden Tieren doch stรคrker ausgeprรคgt ist als gedacht und es mรถglicherweise andere grundlegendere Unterschiede gibt.

Inwieweit รคhnelt das Gehirn von Menschenaffen dem von kleinen Kindern bevor sie Sprache verstehen und bilden kรถnnen?

Tatsรคchlich ist bei Menschenaffen und Kleinkindern die besagte Verbindung zwischen Broca- und Wernicke-Areal gleichermaรŸen schwach ausgeprรคgt. Beim Menschen setzt dann ein Prozess ein, den man Myelinisierung nennt. Indem die Faserverbindungen benutzt werden, bauen sie eine Umhรผllung aus Membranen auf, die wie eine Isolierung wirkt. Die Informationen kรถnnen so immer schneller zwischen den einzelnen Arealen transportiert werden, die einzelnen Sprachfรคhigkeiten bilden sich heraus. Die Verbindung ist beim Menschen also von Anfang an vorhanden, aber noch nicht voll funktionsfรคhig.

Sprachen vermischen sich, Zweisprachigkeit nimmt zu โ€“ spiegeln sich heutige Verรคnderungen in der Sprache auch in unseren Hirnstrukturen wider? Findet hier also Evolution im Kleinen statt?

Wir haben zwar herausgefunden, dass jede Sprache ihre eigenen Spuren in den generell angelegten Sprachnetzwerken im Gehirn hinterlรคsst, egal ob Deutsch, Englisch oder Chinesisch. Und zwar abhรคngig von den spezifischen Anforderungen. Sprachen mit einer festen Wortordnung, Englisch beispielsweise, spiegeln sich anders wider als etwa im Deutschen, wo es eine freie Wortordnung gibt. Eine Zweisprachigkeit mรผsste also auch ihre Spuren im Gehirn hinterlassen. Wie diese konkret aussieht, untersuchen wir zurzeit. Dennoch findet hier keine Evolution im Kleinen statt. Denn alle menschlichen Sprachen bedienen sich am generellen Sprachnetzwerk, das sie formen.

Warum will man รผberhaupt so genau wissen, woher die Sprache kommt?

Schon die frรผhen Philosophen wollten wissen, was den Menschen vom Tier unterscheidet. Und das treibt bis heute die Wissenschaft um. Die meisten Dinge kรถnnen Tiere auch, selbst Probleme lรถsen zum Beispiel. Sprache ist da ein echtes Alleinstellungsmerkmal des Menschen. Wenn wir mehr wissen wollen, mรผssen wir uns beeilen. Es gibt keine einzige Menschenaffenart, die nicht vom Aussterben bedroht ist.

Das Interview fรผhrte Verena Mรผller, Pressereferentin im Max-Planck-Institut fรผr Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig.

Das Projekt โ€žDie Evolution des Connectoms bei Hominidenโ€œ: Obwohl man weiรŸ, dass Sprache eine rein menschliche Fรคhigkeit ist, ist bislang noch nicht ausreichend geklรคrt, was den eigentlichen Unterschied im Gehirn macht. Das bisherige Wissen รผber das Schimpansenhirn beruht auf wenigen Datenpunkten mรครŸiger Qualitรคt. Am Max-Planck-Institut (MPI) fรผr Kognitions- und Neurowissenschaften und am MPI fรผr Evolutionรคre Anthropologie arbeiten Neurowissenschaftler und Primatologen gemeinsam daran, die Evolution des Connectoms, der Gesamtheit aller Faserverbindungen im Gehirn, vom Affen bis zum Menschen zu entschlรผsseln.

Dabei wollen die Forscher erstmals auch die sprachรคhnlichen Fรคhigkeiten zwischen einzelnen Affengruppen und auch einzelner Tiere mit deren Hirnstrukturen vergleichen. Einige Gruppen sind deutlich kommunikativer als andere, ebenso wie Tiere in freier Wildbahn als jene in Gefangenschaft.

Dafรผr nutzen die Forscher MRT-Daten von Tieren, die eines natรผrlichen Todes gestorben sind. Die Daten verknรผpfen sie anschlieรŸend mit Ton- und Videoaufnahmen der Tiere. Dadurch wollen sie herausfinden, ob etwa bei besonders kommunikativen Exemplaren das Gehirn besonders stark verknรผpft ist โ€“ und womรถglich einige Hirnstrukturen bei Schimpansen stรคrker ausgebildet sind als bislang gedacht. Erst dann lieรŸe sich erklรคren, was die eigentlichen menschlichen Eigenschaften des Gehirns sind.

Kรถnnen Gedanken das Gehirn verรคndern? Oder: Wie manipulierbar ist der Mensch?

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