Der Braunkohletagebau in Mitteldeutschland hatte auch ein paar gute Seiten: Er ermöglichte – zum Beispiel im Geiseltalgebiet – die Ausgrabung eindrucksvoller Fossilien aus einer über 40 Millionen Jahre zurückliegenden Zeitschicht, dem Eozän. Das dort gefundene Geiseltalpferdchen ist heute berühmt. Und es gibt neue Forschungsergebnisse, die sich nicht nur mit dem Pferdchen aus der Kohle beschäftigen.
Im früheren Braunkohleabbaugebiet im Geiseltal westlich von Merseburg in Sachsen-Anhalt wurde im vergangenen Jahrhundert eine riesige Zahl außergewöhnlich gut erhaltener Tierfossilien geborgen. Sie geben der Paläontologie einen einzigartigen Einblick in die Evolution der Säugetiere vor 47 Millionen Jahren. Ein Forschungsteam der Universität Tübingen und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) hat nun entdeckt, dass die Körpergröße zweier Säugetierarten sich in gegensätzliche Richtungen entwickelte. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ veröffentlicht.
Vor 47 Millionen Jahren, im mittleren Eozän, war das Erdklima viel wärmer als heute und das Gebiet im Geiseltal ein morastiger subtropischer Wald, zu dessen Bewohnern Urpferde, frühe Tapire, große landlebende Krokodile sowie Riesenschildkröten, Eidechsen und bodenlebende Vögel gehörten. Die Funde aus dem Geiseltal sind so zahlreich und umfassend, dass sie Forschern ein Bild der Evolutionsdynamik bis auf die Ebene von Tierpopulationen mit bisher unerreichter Detailgenauigkeit geben.
Ein Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Márton Rabi von der Universität Tübingen und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) hat entdeckt, dass die Körpergröße zweier Säugetierarten sich in gegensätzliche Richtungen entwickelte. Die Studie, die in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht wurde, ist in Zusammenarbeit mit Simon Ring und Professor Hervé Bocherens vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment und der Universität Tübingen sowie mit Dr. Oliver Wings von der MLU entstanden.
„Am Anfang haben wir uns vor allem für die Evolution der Urpferde interessiert, die ungefähr die Größe eines Labradors hatten. Von ihnen gibt es besonders viele unter den Geiseltal-Fossilien“, sagt Rabi. Die Forscher gingen zunächst davon aus, dass es mehrere Arten früher Pferde gegeben hat. „Wir stellten jedoch fest, dass es sich nur um eine einzige Art handelt, deren Körpergröße mit der Zeit deutlich abnahm“, erklärt Rabi.
Das Forschungsteam wollte wissen, ob diese Veränderung durch das Klima ausgelöst worden sein könnte, da frühere globale Warmphasen zu einer Reduktion der Körpergröße bei frühen Säugetieren geführt hatten.
Informationen über das lokale Klima im mittleren Eozän des Geiseltals erhielten die Forscher über Kohlenstoff- und Sauerstoff-Isotopen-Untersuchungen an fossilen Zähnen. „Sie deuten auf ein feuchtes Tropenklima hin. Wir fanden jedoch keine Hinweise auf Klimaänderungen im Geiseltal im untersuchten Zeitraum“, sagt Bocherens. Um die Ergebnisse weiter zu erhärten, versuchte das Team herauszubekommen, ob der Schrumpfungsprozess nur bei Pferden auftrat. Zum Vergleich untersuchte es die Evolution früher Tapire der Gattung Lophiodon.
„Wir hatten Anhaltspunkte, die gleichbleibenden Klimadaten infrage zu stellen; daher erwarteten wir, dass andere Säugetiere die gleichen Trends bei der Entwicklung der Körpergröße zeigen würden wie die Pferde“, erklärt Simon Ring. Doch erstaunlicherweise hätten die Ergebnisse bei den Tapiren, bei denen es sich ebenfalls nur um eine Art handelt, einen gegensätzlichen Trend aufgewiesen.
Sie wurden größer, statt zu schrumpfen. Während die Vorfahren der Pferde ihr durchschnittliches Körpergewicht innerhalb von einer Million Jahren von 39 Kilogramm auf rund 26 Kilo verringerten, legten die Tapire im gleichen Zeitraum von durchschnittlich 124 Kilo Körpergewicht auf 223 Kilo zu.
Unterschiedliche Überlebensstrategien
„Alle Daten zur Körpergröße der Pferde und Tapire deuten darauf hin, dass sich die beiden Arten nicht wegen des Klimas, sondern wegen unterschiedlicher Lebenszyklen verschieden entwickelten“, erklärt Bocherens. Kleine Tiere pflanzen sich schneller fort und sterben jünger. Im Verhältnis zu ihrer Größe müssen sie nicht so viel Nahrung zu sich nehmen, um den Körper aufrechtzuerhalten. Sie können mehr Ressourcen in ihre Nachkommen stecken. Größere Tiere leben länger und haben niedrigere Fortpflanzungsraten.
Sie brauchen mehr Nahrung und können weniger in die Fortpflanzung investieren – allerdings haben sie aufgrund ihrer Größe auch weniger Fressfeinde und können weitere Wege bei der Futtersuche bewältigen. Das erhöht ihre Lebenszeit und gibt ihnen mehr Zeit für die Aufzucht der Jungen. „Wahrscheinlich maximierten die Tapire und Pferde aus dem Geiseltal die Vorteile ihrer jeweiligen Lebensstrategien, was eine gegenläufige Evolution der Körpergröße zur Folge hatte“, sagt der Wissenschaftler.
Aus der Fundstätte Geiseltal wurden im Zuge der Gewinnung der Braunkohle im Tagebau zwischen 1933 und 1993 Zehntausende von Fossilien von mehr als einhundert ausgestorbenen Arten entdeckt. Viele sind Vorfahren heute lebender Wirbeltiere.
„Das Geiseltal ist als Fossilienfundstelle genauso bedeutend wie die Grube Messel bei Darmstadt, die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt“, sagt Rabi. „Weil die Sammlung aus dem Geiseltal während des Bestehens der DDR kaum zugänglich war, geriet sie weitgehend in Vergessenheit.“
Über die Studie: Simon J. Ring, Hervé Bocherens, Oliver Wings & Márton Rabi: Divergent mammalian body size in a stable Eocene greenhouse climate. Scientific Reports (2020).
Das Mitteldeutsche Seenland. Der Westen: Mit zwei Geologen unterwegs an den Bergbau-Folgeseen in Sachsen-Anhalt
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