LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 75, Januar 2020 (ausverkauft)Das Deutsche Kinderhilfswerk sah die Zeit für eine neuerliche Kampagne im Dezember gekommen. Unter dem Namen #DenkenFragenPosten informierte die Vereinigung über die Konsequenzen des Postens von Kinderbildern in Sozialen Medien. Schon 2017 hatte das Kinderhilfswerk mit der Kampagne #ErstDenkenDannPosten dieses Problem der neuen digitalen Welt angesprochen: Eltern teilen Fotos ihrer minderjährigen Kinder im Internet und sind sich der Konsequenzen dessen nicht bewusst.
Aber warum tun sie das? Junior-Professor Sven Stollfuß vom Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft forscht zu diesem Thema genauso wie zur Frage, wie sich Online-Unterhaltung von der traditionellen Unterhaltung durch Massenmedien unterscheidet. Ob er selbst Influencer sein will? Ein Interview.
Herr Prof. Stollfuß, ich habe keine Lust mehr, Kinderbilder in WhatsApp-Stati zu sehen und frage mich, was Eltern antreibt, dass sie Bilder ihrer Kinder immer beziehungsweise regelmäßig in ihrem Status posten. Haben Sie eine Idee?
Mich würde erstmal interessieren: Haben Sie mal nachgefragt, warum sie das machen?
Nein, das habe ich nicht. Das ist ja eine persönliche Sache und jeder kann machen, was er will.
Das stimmt. WhatsApp ist dabei auch nur eine Plattform, es gibt ja auch noch andere Social Media-Kanäle. Da gibt es viele Eltern, die Bilder von Kindern in verschiedenen Situationen und an unterschiedlichen Orten posten. Studien zeigen uns immer wieder: Die Darstellung in Sozialen Medien sind stets verschiedene Formen der Selbstdarstellung.
Das heißt, dass, letztlich nahezu alles, was man postet, immer etwas mit einem selbst zu tun hat. Dabei geht es vor allem um die intendierte Perspektive: Man möchte auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen werden. Das ist die Motivation, warum wir bestimmte Bilder posten.
Was heißt das für die Eltern? Sie wollen zeigen, dass sie ein Kind haben?
Bei Eltern, die sich und ihre Kinder in den Sozialen Medien posten, können das unterschiedliche Motivationen sein. Eine zentrale ist, dass man sich selbst vor allem in der sozialen Rolle als Mutter oder Vater darstellen möchte und dass man sich so insbesondere in dieser Funktion in der Verantwortung für seine Kinder darzustellen anstrebt. „Seht nicht nur mich an, sondern seht mich als Vater und Mutter an.“
Die Postings sind übrigens je nach Geschlecht durchaus unterschiedlich. Bei Müttern sind die Bilder öfter aus dem häuslichen Kontext und die Art der Darstellung rückt die Mutterrolle in den Fokus. Väter, die Fotos von sich mit Kindern oder nur von ihren Kindern posten, sind oft draußen, beispielsweise der Vater, der mit Kindern im Wald spaziert oder mit ihnen Fußball spielt.
Da werden teils eher unbewusst oder selten auch ganz bewusst grundlegende soziale Rollenmuster reproduziert. Beispielsweise erscheint so oft gerade die Mutter vermeintlich mit dem eigentlichen Erziehungsauftrag.
Aber verstößt das Posten von Kinderbildern nicht gegen deren Persönlichkeitsrechte?
Ich sehe es weniger als rechtliche, sondern mehr als ethische Frage. Will ich, dass andere Bilder von meinem Kind sehen: ja oder nein? Wir können dabei aber nicht beobachten, dass Eltern mit dem Thema etwa weniger sensibel umgehen. Es gibt Eltern, die dafür eine bestimmte Awareness ausgebildet haben, weil sie Bilder ihrer Kinder nur mit von der Kamera abgewandtem oder verpixeltem Gesicht posten.
Dann ist die Frage, mit welchem Hintergrund Eltern Soziale Medien nutzen. Manchen ist nicht bewusst, dass jeder meinen WhatsApp-Status sehen kann, der mal meine Handynummer bekommen hat. Man geht zumeist davon aus, dass WhatsApp einen eher persönlichen, sozialen Hintergrund hat. Das heißt, alles was ich poste, sehen vornehmlich meine Freunde, Mitglieder meiner Familie und vielleicht noch meine Kollegen.
Aber viele sind sich oft gar nicht darüber im Klaren, dass jeder, der irgendwann mal meine Handynummer bekommen hat, meinen Status ebenfalls sehen kann. Das hat etwas mit der Nutzungsweise zu tun. Viele gehen davon aus, dass WhatsApp eher privat ist. Daher sind sie unaufmerksamer. Dieselben Eltern beispielsweise würden diese Bilder sehr wahrscheinlich nicht öffentlich auf Instagram oder Facebook posten, denn sie wissen, dass alles, was sie dort hochladen, für alle sichtbar ist. Diese besondere Situation reflektieren sie bei WhatsApp oft nicht mit.
Aber ist das Posten von Kinderbildern nicht auch eine Art Kompensation?
Kompensation klingt nach Mangelausgleich. Das kann man nicht sagen. Es geht schon darum, zu zeigen, was man hat: Schaut mich an, schaut uns an und so auch immer: schaut mal meine Kinder an. Eltern wollen dann zumeist Feedback, Kommentare und das möglichst positiv. In der medienpsychologischen Forschung unterscheidet man in dem Zusammenhang zwischen der Selbstoffenbarung, also was ich von mir teile und der Wirksamkeit. Die Intention ist immer, darüber in den Austausch zu gehen.
Warum fotografiere ich dann nicht mein Haus, mein Auto, mein Motorrad?
Auch Fotos von Prestigeobjekten gibt es natürlich. Neueste Kleidung, das Haus, Auto, Motorrad usw. So wie Jugendliche ihren sozialen Status beispielsweise mit Bildern in bestimmter Kleidung auszudrücken versuchen, machen das Eltern mitunter auch im Zusammenhang mit Kinderbildern.
Also die 16-jährige mit Schmuck bei Instagram ist so wie die 35-Jährige Mutter mit ihrem Kind?
In gewisser Weise kann man das so zynisch gegenüber stellen, durchaus.
Gibt es Studien zu Bildungshintergrund und Alter der Eltern, die Bilder ihrer Kinder posten?
Solche eindeutigen Erhebungen kenne ich nicht.
Könnte es Folgen für die Eltern haben, wenn die Kinder später mitbekommen, was die Eltern alles von ihnen gepostet haben?
Ich bin kein Jurist, sondern Medienwissenschaftler. Klar ist: Wenn sie Schutzbedürftige haben, sind die Eltern für diese verantwortlich. Im Zweifelsfall muss dann im Kreis der Familie das Gespräch gesucht werden und es müssen gemeinsam Standards festgelegt werden, was zukünftig gepostet werden darf. Medienrechtler kennen die juristischen Dimensionen da deutlich besser. Zudem können Familien, die Bilder von sich posten, auch Influencer sein. Das hat dann aber noch eine andere Komponente, weil die Motivation mit einer ökonomischen Nutzung zusammengedacht wird.
Wie groß ist die Rolle, die Influencer bei jungen Menschen spielen?
Für die 12-/14 bis 19-Jährigen nehmen diese mediale Vorbildrollen ein, die früher klassische Medienvorbilder wie Musiker, Schauspieler eingenommen haben. Da alle nahezu permanent online sind und auch Influencern folgen, sehen die Follower auch die jeweils spezifischen Sichtweisen von Influencern auf bestimmte Themen. Influencer sind dabei oft Gatekeeper nicht nur für bestimmte Produkte, sondern auch für andere, beispielsweise politische Themen, zu denen sie sich auf ihrem Account äußern. Sie sind für jüngere Menschen wichtige Bezugspersonen.
Das gilt aber, wenn man sich die KIM- und JIM-Studien anschaut, übrigens nicht nur für Influencer, sondern auch für Personen, die sie persönlich kennen, aus der Schule und dem privaten Umfeld.
Entsteht so eine engere Bindung als zu den Lieblings-Bands und -Sportlern als früher?
Natürlich. Damals hat man wahrgenommen, wenn beispielsweise der Lieblingssänger in einer Talkshow war und man hat sich darüber gefreut – und die Sendung vielleicht noch aufgenommen. Heute sieht man täglich Content. Und was früher so etwas wie die Homestory war, ist heute teilweise in den Social-Media-Kanälen integriert, denn die Influencer (oder Micro-Celebrities) posten diese Inhalte selbst.
Früher habe ich mir ein T-Shirt oder das neue Album von meiner Lieblingsband gekauft. Heute machen die Influencer mit mir Geld durch Reichweite. Ist das nicht extremere kommerzielle Ausbeutung meines Interesses?
Ja, nicht nur durch die Influencer, sondern auch durch die Plattform. Mit der Informationsökonomie haben sich die Rahmenbedingungen geändert. Je mehr Likes ich habe, je mehr Follower ich habe, desto größer ist meine Reichweite, desto attraktiver werde ich für Unternehmer bzw. Werbepartner. Bei Instagram war es bis vor wenigen Monaten auch noch so, dass ich genau die Anzahl der Menschen sehen konnte, die auf meine Posts reagieren, mittlerweile wird es nur ungefähr angegeben.
Nun könnte man unterstellen, die Halbwertszeit von Influencer wäre geringer als von Musikbands, die einen möglicherweise das ganze Leben begleiten.
Nein, das kann man so einfach nicht feststellen. Auch in den 90ern gab es One-Hit-Wonder, die wieder verschwunden sind. Bei Influencern ist es wichtig, wie regelmäßig ich Content produziere, mit wem ich zusammenarbeite. Habe ich ein Team, das mir hilft, regelmäßig Content zu produzieren. Natürlich darf man nicht vergessen, dass sich die Zielgruppe ja auch mit verändert, genauso wie die Influencer. Darauf müssen diese achten. Dabei können ihnen auch Statistiken und Auswertungstools der Plattformen helfen, mehr über ihre Follower und Zielgruppe zu erfahren.
Herr Stollfuß, eine persönliche Frage: Warum sind Sie eigentlich kein Influencer?
Offen gestanden bin ich kein Influencer, weil ich kein besonderes Darstellungsinteresse habe (lacht).
Was braucht es denn, um Influencer werden?
Wenn wir das wüssten, dann müsste ich mir um meine finanzielle Situation keine Sorgen mehr machen (lacht). Es ist oft das klassische „Zur richtigen Zeit, am richtigen Ort“-Prinzip. Man muss aber vor allem Spaß haben, sich auf verschiedenen Plattformen darzustellen. Instagram hat gerade die höchste Reichweite, Facebook verliert bei den Jüngeren zunehmend an Interesse. Es gibt aber auch immer wieder neue Plattformen wie etwa TikTok.
Man muss aufmerksam sein und beobachten, welche Plattformen neu auftauchen und für welche Nutzerinteressen diese wiederum zielführend sind. Das hat einen Einfluss auf meine Darstellung.
Ich verstehe den Sinn von Tiktok gar nicht. Menschen posten Videos von sich und dann?
Es wird für uns durchaus immer schwieriger nachzuvollziehen, warum man Plattformen nutzt. Aber das war früher mit dem Musikgeschmack von Jugendlichen genauso. Da hat man auch Irritationen bei den Eltern- und Großeltern hervorgerufen. Das Interessante bei TikTok ist sicherlich, dann man mit Filtern herumexperimentieren kann und dass die Clips deutlich dynamischer sind als ein normales Video. Sie zeigen eine besondere Bewegungsdynamik.
TikTok gilt als eines der neuesten Phänomene. Gibt es andere Plattformen, die zurzeit neu und spannend sind?
TikTok bildet wirklich gerade eine besondere Attraktivität aus. Die Plattform aber, die laut Studien – übrigens nicht nur in Deutschland, sondern auch im englischsprachigen Ausland – stark mit Content bespielt wird und auch ökonomisch am interessanten ist, ist vor allen Dingen Instagram. Es gibt immer wieder Plattformen, die links und rechts auftauchen, aber bis sich eine dann auch durchsetzt und an Popularität stark dazugewinnt, dauert zumeist etwas.
Auf der Homepage Ihres Instituts fand ich den Satz: „In der digital-vernetzten Medienkultur unterscheidet sich Online-Unterhaltung in Sozialen Medien wesentlich von jener der traditionellen Massenmedien.“
Instagram hat genau damit zu tun. Junge Menschen schauen sich andere, bekanntere oder weniger bekanntere Akteure an: Influencer-Accounts, Hashtag-Communities. Sie interessieren sich dafür, was innerhalb eines Hashtags an neuem Content produziert wird. Dass man andere in ihrer Selbstdarstellung beobachten kann, bringt eine gewisse Faszination mit sich, die auch als sehr unterhaltend wahrgenommen wird.
Zusätzlich ist das Posten eigener Inhalte mit Unterhaltung verbunden. Beides gehört mittlerweile zur medialen Alltags- und Unterhaltungskultur dazu. Gleichzeitig entwickeln sich aber auch andere Formate, beispielsweise im Bereich Comedy oder Sport, die mehr oder weniger professionelle Unterhaltungsangebote exklusiv für bestimmte soziale Netzwerke herstellen.
Es gibt eine ganze Reihe an interessanten Instagram-Accounts, besonders im englischsprachigen Ausland, die über ihre Comedy-Inhalte eine gewisse Beliebtheit erreicht haben. Das löst zunehmend klassische Unterhaltungsinhalte beispielsweise des Fernsehens ab, denn man hat eine direkte Beziehung zu dem, der einen Account betreibt, ist oft Teil einer Community und die Nutzung erfolgt unmittelbarer.
Was treibt die Nutzer, passive wie aktive, an?
Viele machen das, weil sie sich einer bestimmten Community zugehörig fühlen, einer Subkultur. Nutzerinnen und Nutzer erfahren dort ja durchaus auch Unterstützung und Support. Wir haben uns das unter anderem für Fitness-Influencer angeschaut und dabei auch für Nutzerinnen und Nutzer, die Fotos von sich bzw. der körperlichen Veränderung im Zusammenhang mit einem bestimmten Fitnessprogramm aufgenommen haben.
Der Support innerhalb der Hashtag-Communities ist dabei ein zentraler Faktor, überhaupt Inhalte zu teilen und zu kommentieren. Wir beobachten dabei durchaus auch positive Auswirkungen etwa auf das eigene Wohlbefinden. Das ist ähnlich wie beim Thema Erziehung. Die einen wollen in sozialen Netzwerken Erziehungs-Tipps geben, andere wiederum wollen vor allem darüber lesen und durch die Community informiert werden.
Setzen die Sozialen Medien junge Leute nicht unter Druck, ständig erfolgreich zu sein? Negative Aspekte will keiner lesen oder sehen.
Das ist ein Aspekt aus vielen psychologischen Studien, ja. Dieser Druckmoment wird aufgebaut. Es gibt, wenn sie so wollen, diese Befehlsform in vielen sozialen Netzwerken: „Wenn du etwas von dir postest, muss es etwas positives sein.“ Das setzt viele junge Menschen unter Druck.
Es gibt eine ganze Reihe an Studien, die sich mit Lifestyle- und Fitness-Inhalten auf Instagram auseinandersetzen. Da gibt es Körperbilder, die sich auch schlecht auf die Esskultur der User auswirken können, weil sie einem Ideal nachahmen wollen, das oft unerreichbar ist – auch, weil viele Bilder mitunter stark nachbearbeitet sind.
Der Druck erhöht sich auch infolge der täglichen Updates. Das sorgt mitunter dafür, dass gerade junge Menschen eine besonders verschobene Selbst- und Körperwahrnehmung bekommen und letztlich selbst Teil einer solchen Leistungsspirale werden.
Der Leipziger OBM-Wahlkampf in Interviews, Analyse und mit Erfurter Begleitmusik
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