Bei der Erderwärmung spielen auch die Entwicklungen an den Polen eine entscheidende Rolle. Und keine Region auf der Erde hat sich in den letzten Jahren so stark erwärmt wie die Arktis. Auch deshalb sind deutsche Forscher ins Eis aufgebrochen, um die Prozesse besser zu verstehen, die zum Aufheizen der Pole beitragen. Und Wolken, so stellt der Leipziger Meteorologe Manfred Wendisch fest, spielen dabei eine sehr zentrale Rolle.
Seit Ende September 2019 läuft die Expedition: Der deutsche Eisbrecher „Polarstern“ ist in der Arktis vom Eis umschlossen und driftet mit einer riesigen Eisscholle durch den Arktischen Ozean. An Bord erforschen Wissenschaftler eine im Winter nahezu unerreichbare Region, die entscheidend für das globale Klima ist. Forschende der Universität Leipzig werden in diesem Jahr dabei sein.
Meteorologie-Professor Manfred Wendisch, der im März in die Arktis-Region aufbrechen wird, spricht im Interview über die anstehenden Messungen mit zwei Polarflugzeugen und den aktuellen Erkenntnisstand in Sachen „arktische Verstärkung“. Hierzu ist kurz vor Weihnachten ein Artikel in „Nature Climate Change“ erschienen, an dem Wendisch mitgeschrieben hat.
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Herr Professor Wendisch, Sie sind Mit-Autor des in „Nature Climate Change“ erschienenen Überblicksartikels zur sogenannten arktischen Verstärkung. In der Überschrift ist von deren Einfluss auf das heftige Winterwetter in den mittleren Breiten die Rede. Davon spüren wir hierzulande aber nichts. Was ist gemeint?
In der Tat hatten wir in den vergangenen Jahren in Deutschland beziehungsweise ganz Westeuropa eher milde und keine extrem kalten Winter. Aber wenn wir die arktische Verstärkung betrachten, also die Mechanismen, die dazu führen, dass sich das Klima in der Arktis schneller ändert als in anderen Regionen, dann sehen wir, dass über den großen Kontinenten der mittleren Breiten eine starke Abkühlung im Winter erfolgt. Hier geht es also um Nordamerika und Sibirien beziehungsweise Nordasien.
Im Winter ist zum Beispiel häufig ein durch die arktische Verstärkung intensiviertes sibirisches Hochdruckgebiet zu beobachten, das für eine verstärkte Abkühlung über dem sibirischen Kontinent sorgt. Und Westeuropa liegt dabei sozusagen auf der warmen Seite des Hochs. Wenn man dann noch bedenkt, dass an dem Artikel viele Wissenschaftler aus den USA und Kanada beteiligt sind, erklärt das die Betonung von extremen Winterwetter in der Überschrift.
Wie sieht denn der Einfluss aus?
Es wird ein enger Zusammenhang zwischen heftigen Winterwetter und arktischer Verstärkung vermutet. Die Messungen zeigen das zumindest relativ deutlich. Wie dieser Zusammenhang konkret zustande kommt, und welche Prozesse dabei eine wesentliche Rolle spielen, das ist bislang nur ansatzweise verstanden, genauso wie die arktische Verstärkung an sich. Es gibt dazu eine theoretische Erklärungskette, die aber bis dato auf wackligen Füßen steht, da sie mit der überwiegenden Mehrzahl der bisherigen Klimamodellrechnungen nicht zufriedenstellend und überzeugend nachvollzogen werden kann.
Nach den gängigen Modellen müsste die kontinentale Abkühlung im Winter viel schwächer sein, an manchen Stellen wäre demnach sogar eine Erwärmung zu erwarten. Ein wichtiger Faktor, den die Modelle aber bislang nicht hinreichend realitätsnah beinhalten, sind Warmlufteinschübe in die Arktis, wie auch Kaltluftausbrüche aus der Arktis in unsere geographischen Gefilde. Es kommt darauf an, diese Prozesse in den Modellen realistisch abzubilden, um alle Wechselwirkungen nachvollziehen und dann auch Vorhersagen treffen zu können – und das wird von der Wissenschaft natürlich erwartet. Momentan liegt aber noch einiges an Arbeit zur Erreichung dieses Ziels vor uns.
In diesen Tagen beginnt die zweite Förderphase des von Ihnen geleiteten Sonderforschungsbereichs „Arktische Klimaänderung (AC)³“, an dem auch die Universitäten in Bremen und Köln sowie das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) beteiligt sind. Was haben Sie in Phase eins erreicht, was streben Sie in Phase zwei an?
In unserem Sonderforschungsbereich untersuchen wir vor allem die Rolle der Wolken bei der arktischen Verstärkung. Dabei haben wir in Phase eins wichtige Fortschritte erzielt. Ihr Einfluss speziell über unterschiedlichen Bodenbedingungen sowie dem Meereis und dem offenen Ozean war zuvor wenig erforscht.
Wir haben dabei aufwendige Messkampagnen durchgeführt und anschließend Messungen und Rechnungen sozusagen miteinander verschmolzen. So konnten wir beispielsweise zeigen, dass die Wolken in den Modellen bislang oft als zu dünn dargestellt waren. Die Messungen waren beim Aufspüren der spezifischen Ursachen für die Unzulänglichkeiten der Modelle von großer Hilfe.
In der ersten Phase haben wir uns auf lokale Prozesse konzentriert, also jene, die sich am festen Ort abspielen. Wir haben Messungen von Schiffen, Flugzeugen, Bodenstationen und Satelliten aus auf ein Gebiet fokussiert und dort den Einfluss der Wolken auf die Erwärmung beziehungsweise Abkühlung der bodennahen Lufttemperatur untersucht und quantifiziert. Das haben wir über dem arktischen Meereis gemacht, über der Randzone vom Eis zum offenen Meer hin und über dem Wasser.
Mit dieser Akribie hat das zuvor nie jemand durchgeführt. In der zweiten Phase nehmen wir die Fernwirkungen in den Blick, also jene, die nicht direkt in der Arktis ihren Ursprung haben, sowie jene, die in der Arktis entstehen und außerhalb in den mittleren Breiten wirken. Zudem werden wir ein ganzes Jahr als Beobachtungszeitraum haben. Unsere tragende Hypothese ist weiterhin: Die Wolken spielen eine Hauptrolle bei der arktischen Verstärkung.
Aktuell läuft die „MOSAiC“-Expedition mit dem für 14 Monate im Eis eingefrorenen deutschen Eisbrecher „Polarstern“. Wissenschaftler des Sonderforschungsbereichs sind mit an Bord, Sie selbst greifen im März ins Geschehen ein. Was planen Sie?
Von Mitte März bis Mitte April und dann nochmal im August kommen unter unserer Regie und in Zusammenarbeit mit dem Alfred-Wegener-Institut und den weiteren Partnern innerhalb des Sonderforschungsbereichs die Polarflieger Polar 5 und 6 zum Einsatz. Mit den Flugzeugen können wir von Spitzbergen aus starten und nach einem Tankstopp auf Grönland dann entlang der Luftmassen fliegen, die sich zur Polarstern bewegen. Damit bekommen die punktuellen Messungen auf der Polarstern sozusagen eine regionale Anbindung.
Wir nutzen dabei mit den Polarfliegern eine Landebahn auf dem Eis ganz in der Nähe der Polarstern. Die Landebahn ist auch dafür gedacht, Güter und Menschen mit russischen Transportfliegern zu transportieren in der Zeit, in der es schwierig werden könnte, diese Transporte per Schiff mit anderen Eisbrechern zur Polarstern zu bringen. Zudem werden, vor allem für Messungen mit einem Fesselballon, noch unsere Juniorprofessorin Heike Kalesse und einer meiner Doktoranden sowie Kollegen vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung jeweils für mehrere Monate an Bord der Polarstern sein.
Für unsere Arbeit im Sonderforschungsbereich brauchen wir aber unbedingt zusätzlich das deutsche Forschungsflugzeug HALO, denn wir müssen in größeren Höhen und über weitere Strecken fliegen, als es mit den Polarfliegern möglich ist. Wasserdampf als eines der stärksten Treibhausgase kann zum Beispiel bis fünf Kilometer und höher reichen. Unsere große Arktis-Messkampagne mit HALO werden wir im Frühjahr kommenden Jahres durchführen.
Das Interview führte Carsten Heckmann, Medienredaktion der Uni Leipzig
Die Publikation in „Nature Climate Change“: Cohen, J., Zhang, X., Francis, J. et al. Divergent consensuses on Arctic amplification influence on midlatitude severe winter weather. Nat. Clim. Chang. 10, 20–29 (2020) doi:10.1038/s41558-019-0662-y
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