Ein sehr menschliches Problem am Klimawandel ist: Menschen sehen immer nur einen Ausschnitt. Manchmal fokussieren sich selbst Wissenschaftler nur auf Details, zählen Arten und Individuen, haben aber kein Gespür dafür, ob ein ganzes Biosystem gerade kippt und sich irreparabel verändert. Auf diesen Umstand weist jetzt das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) hin.
An vielen Orten auf der ganzen Welt finden rasante Veränderungen der Biodiversität statt. Doch während sich die jeweiligen Arten in den lokalen Gemeinschaften stark verändern, bleibt die Zahl der Arten im Durchschnitt oft gleich. Daher spiegeln die Veränderungen auf lokaler Ebene nicht immer den globalen Artenverlust wider.
Dies ist das Ergebnis einer Untersuchung, die von einem Forscherteam unter Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und der Universität St. Andrews durchgeführt wurde. Die Studie wurde im Fachmagazin Science veröffentlicht und zeigt, dass sich die Zusammensetzung der Arten in marinen Ökosystemen stärker verändert als an Land. Dabei unterliegen insbesondere die marinen Tropen extremen Veränderungen.
Der Mensch hat einen starken Einfluss auf die biologische Vielfalt. Die Zahl der Arten nimmt weltweit ab, doch diesem Rückgang stehen sehr unterschiedliche Entwicklungen auf lokaler Ebene gegenüber.
Internationale Wissenschaftler führender Universitäten aus Europa, den USA und Kanada haben nun die geografischen Unterschiede bei diesen Veränderungen genauer erforscht. Sie untersuchten, wie sich Artenreichtum (Anzahl der Arten) und Artenzusammensetzung (Identität der einzelnen Arten) mit der Zeit verändern. Dafür nutzten sie die Daten von weltweit über 50.000 Biodiversitäts-Zeitreihen, die sie der Datenbank BioTIME der Universität St. Andrews entnahmen. Sie analysierten auch, wo sich die biologische Vielfalt am stärksten verändert.
Frühere Untersuchungen, die keine Nettoveränderung des Artenreichtums auf lokaler Ebene zeigten, erwiesen sich als höchst kontrovers. Die Forschergruppe wollte daher einen Konsens darüber erzielen, wie sich die Biodiversität global verändert. Die Treffen der Wissenschaftler fanden im Synthesezentrum sDiv am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) statt.
„sDiv hat es geschafft, dass sich Menschen mit ganz verschiedenen Hintergründen zusammensetzen und eine gemeinsame Lösung finden“, meint Prof. Jonathan Chase, Leiter der Forschungsgruppe Biodiversitätssynthese bei iDiv und der MLU.
Die nun veröffentlichten Ergebnisse zeigen die geografischen Abweichungen in der Veränderung der biologischen Vielfalt: In allen Ökosystemen verändert sich die Artenzusammensetzung (Arten-Fluktuation). Besonders starke Veränderungen des Artenreichtums sowie der Artenzusammensetzung zeigen sich in den marinen Ökosystemen. Hier ist die maximale Fluktuation doppelt so hoch wie die auf dem Land. Dies liegt möglicherweise daran, dass marine Arten empfindlicher auf die globale Erwärmung reagieren.
In den marinen Tropen sind die Veränderungen der biologischen Vielfalt am stärksten – hier sind sowohl extreme Arten-Gewinne, -Verluste als auch -Fluktuationen zu verzeichnen.
„Wenn sich an diesen Entwicklungen nichts ändert, könnte das zu einer dramatischen Umstrukturierung der biologischen Vielfalt führen. Das hätte möglicherweise weitreichende Konsequenzen für die Funktionsweise der Ökosysteme“, meint Erstautor Dr. Shane Blowes, der bei iDiv und der MLU forscht. Die Tropen beherbergen den Großteil der biologischen Vielfalt und gelten als die Region, in der die Biodiversität am stärksten gefährdet ist. Angesichts des Klimawandels gibt es wahrscheinlich wenige Arten, die jene ersetzen können, die in den Tropen verloren gehen.
„Wenn heute in den Nachrichten von Biodiversität die Rede ist, dann geht es meistens um die Waldbrände im Amazonas oder ein globales Artensterben in den Korallenriffen. Das ist natürlich auch richtig und solche Meldungen sind sehr besorgniserregend“, sagt Letztautorin Dr. Maria Dornelas von der Universität St. Andrews. „Aber mitunter erholen sich die Ökosysteme auch, oftmals im Verborgenen, und an vielen Orten passiert auch gar nichts.“
Die neue Studie zeigt, dass der Artenreichtum an einigen Orten abnimmt, an anderen zunimmt. Die Veränderung der Artenzusammensetzung ist jedoch ein flächendeckendes Phänomen. Herauszufinden, wo sich die Biodiversität verändert – und wie – ist wichtig, um Schutz- und Bewirtschaftungsstrategien entsprechend zu planen.
Das Wissen, wie und wo sich die biologische Vielfalt verändert, hilft uns, Prioritäten für den Naturschutz zu setzen – zu erkennen, welche Regionen besonderen Schutz brauchen und welche sich mit etwas Hilfe von selbst erholen, so Kati Kietzmann vom iDiV. Doch auch wenn in diese Studie bereits eine große Datenmenge eingeflossen ist, so fehlt es in vielen Regionen wie der Tiefsee oder den Tropen noch an einem umfassenden Monitoring – der systematischen Erfassung von Biodiversität und ihrer Veränderung. Die Studie zeigt, wie wichtig es ist, die räumliche Abdeckung des Biodiversitäsmonitorings zu verbessern. Nur so können wir besser verstehen, wie sich die Biodiversität auf der ganzen Welt verändert, und nur so können wir wirksame Maßnahmen zu ihrem Schutz ergreifen.
Die Leistungsfähigkeit der Natur sinkt dort am stärksten, wo Menschen sich kaum wehren können
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