Landgrabbing – so wird der raumgreifende Erwerb großer Landwirtschaftsflächen durch Investoren im Allgemeinen bezeichnet. Diese Entwicklung ist weltweit zu beobachten und sie beeinflusst betroffene Regionen oft negativ. Ein Forschungsteam der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) hat anhand von zwei ländlich geprägten Regionen in Sachsen-Anhalt untersucht, ob es gerechtfertigt ist, auch in Ostdeutschland von Landgrabbing zu sprechen.

Und sie wollten auch wissen, welche Auswirkungen das Phänomen hier hat. Dadurch existieren nun erstmals Zahlen, mit denen sich die Entwicklung einordnen lässt. Sie zeigen: Die Verbundenheit der Befragten mit der Region ist höher, wenn es viele ortsansässige Landwirte gibt.

„Landgrabbing ist zunehmend auch in Ostdeutschland zu beobachten“ – zu dieser Schlussfolgerung kommt Prof. Dr. Insa Theesfeld nach der Auswertung einer empirischen Befragung, die sie gemeinsam mit ihrem Team in zwei ländlich geprägten Regionen Sachsen-Anhalts durchgeführt hat. Die zugehörige Studie unter dem Titel „Density of resident farmers and rural inhabitants relationship to agriculture: operationalizing complex social interactions with a structural equation model“ ist inzwischen in der Fachzeitschrift „Agriculture and Human Values“ erschienen.

Für die Untersuchung wurden insgesamt 130 Personen aus der Altmark und dem Salzlandkreis zu ihrem Leben auf dem Land und zu ihrem Verhältnis zur regionalen Landwirtschaft befragt sowie zusätzlich 20 Landwirte.

„Das Problem ist komplex und sehr vielschichtig. Bisher wurden zum Erkenntnisgewinn kaum sozialwissenschaftliche Daten erhoben oder herangezogen. Wir haben jedoch den Fokus ganz bewusst auf diese Perspektive gelegt“, sagt Theesfeld weiter. Die Agrarwissenschaftlerin verweist auf die Schwierigkeiten, die eine empirische Herangehensweise bei einer solchen Thematik mit sich bringt. „Die Effekte, die uns interessieren, werden von vielen Faktoren beeinflusst und sind schwer messbar“, sagt Theesfeld.

In Deutschland ist es politisch gewollt, dass Eigentum an Flächen breit gestreut wird. Doch die Situation der Landwirtschaft in Ost- und Westdeutschland ist ganz verschieden: Während im Westen immerhin noch 44 Prozent der Flächen Eigentum des Landwirts sind, sind es im Osten nur 30 Prozent. Darüber hinaus tauschen die Pächter im Osten ihre Flächen vermehrt untereinander, was zur Folge hat, dass ihre Bindung zum Eigentum womöglich generell geringer ist. Trotz der schwierigen Ausgangsbasis ist es Theesfeld und ihrem Team nun gelungen, in der Studie erstmals Daten-Belege zu finden, die bestätigen, dass der Osten Deutschlands tatsächlich von Landgrabbing betroffen ist.

Die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer wurden dafür zum Beispiel gefragt, wie sie sich selbst in der Region verwurzelt sehen und wie wichtig ihnen die Landwirtschaft für ihr Dorf ist, ob sie Landwirte persönlich kennen oder mit ihnen Kontakt haben. Außerdem sollten sie einschätzen, ob sich Landwirte in ihrem Dorf sozial engagieren. All das hat einen Einfluss auf die Vitalität im ländlichen Raum. Befragt wurden sowohl Menschen, die in der jeweiligen Region leben als auch solche, die sich dort – zum Beispiel als Pächter oder Eigentümer von Flächen – lediglich vorübergehend oder gar nicht aufhielten.

Die Studie zeigt, die Beziehung zur Landwirtschaft war ausgeprägter und darüber hinaus war die Verbundenheit der Bevölkerung zu ihrem Ort höher, wenn es generell mehr ortsansässige Landwirte in den jeweiligen Ortschaften gab. „Offenbar profitieren ländliche Gebiete davon, wenn dort noch viele Landwirte leben, die ihre eigenen Flächen bewirtschaften“, so Theesfeld, die dafür plädiert, dieses Modell zu stärken.

Die Ergebnisse haben neben dem wissenschaftlichen vor allem einen politischen Wert: „Wenn wir wissen, dass es einen messbaren Zusammenhang zwischen der Eigentumsstruktur an Agrarland und der Verbundenheit der Menschen zu ihrer Region gibt, dann haben wir zugleich eine Stellschraube identifiziert, mit der die Politik unerwünschten Entwicklungen mit gezielter Gesetzgebung entgegenwirken kann“, sagt Theesfeld.

Dies sei in allererster Linie eine Aufgabe der Politik. Die Aufgabe ihres Lehrstuhls sieht die Wissenschaftlerin aber auch darin, ein Verständnis dafür zu wecken, dass Land neben dem ökonomischen auch einen hohen emotionalen Wert besitzt. Theesfeld: „Die Verteilung von Land hat Auswirkungen in den sozialen Bereich, der von Ökonomen nicht betrachtet wird. Deshalb bin ich der Überzeugung, dass man den Besitz von Landflächen politisch anders steuern muss als die Verteilung anderer Ressourcen.“

Über die Studie: Bunkus R., Soliev I., Theesfeld I. Density of resident farmers and rural inhabitants’ relationship to agriculture: operationalizing complex social interactions with a structural equation model. Agriculture and Human Values (2019). doi: 10.1007/s10460-019-09966-7

Mitteldeutsche Bauern machten mit Landgrabbing-Protest in Leipzig Station

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