Wie orientiert man sich eigentlich im eigenen Gehirn? Mit der Frage beschäftigt man sich ja spätestens in dem Moment, in dem man verzweifelt nach etwas sucht, von dem man weiß, dass man es vor kurzem noch „gewusst“ hat. Doch eigentlich wissen wir ja nichts. Denken ist zuallererst ein Findevorgang in einer hochkomplexen Matrix, die wir unser Gehirn nennen. Und mit der Frage, wie wir finden, was wir suchen, beschäftigten sich jetzt Forscher des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften.
Oft erinnern wir uns sehr gut an den zeitlichen Ablauf von Ereignissen. Wir können sagen, welches Ereignis zuerst eintrat und wie viel Zeit zwischen zwei Ereignissen verstrich. Anscheinend werden Erinnerungen von Ereignissen im Gehirn verknüpft, wenn diese zeitlich nah beieinander vonstatten gingen.
Dafür scheint in unserem Gehirn der entorhinale Cortex als medialer Teil des Temporallappens eine wichtige Rolle zu spielen. Doch wie genau trägt dieser nahe von Amygdala und Hippocampus liegende Teil unseres Gehirns zum Erinnerungsgebäude bei? Mithilfe eines Experiments, das Lernen in virtueller Realität und Hirnscans kombiniert, beschreibt ein Forscherteam um Jacob Bellmund und Christian Doeller nun, wie im entorhinalen Cortex eine zeitliche Karte von Erinnerungen entsteht.
Das Experiment
Um diesen Winkel des Gedächtnisses zu ergründen, ließen die Wissenschaftler 26 Versuchspersonen eine Sequenz von Ereignissen lernen, indem sie entlang einer Route durch eine virtuelle Stadt navigierten. Sie sollten sich merken, wann entlang der Route und wo in der Stadt bestimmte Objekte auftauchten – dies waren die Ereignisse. Die Teilnehmer trafen auf Truhen entlang der Route und wurden angewiesen, die Truhen zu öffnen. Jede Truhe enthielt ein anderes Objekt, das beim Öffnen der Truhe auf einem schwarzen Bildschirm angezeigt wurde.
Nach dem Lernen haben die Forscher im MRT-Scanner gemessen, wie diese Ereignisse im Gehirn abgebildet werden, indem sie den Teilnehmern Bilder der Objekte in zufälliger Reihenfolge zeigten.
„Ereignisse, die in zeitlicher Nähe passiert sind, werden durch sich gleichende Aktivierungsmuster im entorhinalen Cortex repräsentiert“, erklärt Jacob Bellmund. „Das heißt, wenn Objekte gezeigt werden, die sich auf der Route zeitlich nah beieinander befanden, reagiert dieser Teil des Gehirns in ähnlicher Art und Weise. Sie sind sich damit also ähnlicher, als die Aktivierungsmuster von Ereignissen, die mit großen zeitlichen Abständen passieren.“ So spiegelten die Aktivierungsmuster des entorhinalen Cortex eine Art Karte der zeitlichen Beziehungen der Ereignisse wider.
Wie aber werden Ort und Zeit miteinander verknüpft?
Für die räumlichen Beziehungen der Ereignisse, also wie weit die Objekte in Luftlinie voneinander entfernt waren, konnten die Wissenschaftler dies nicht beobachten. Um Raum und Zeit unabhängig voneinander untersuchen zu können, wandten sie einen Trick an: Auf der Route gab es drei Teleporter, die die Teilnehmer sofort in einen anderen Teil der Stadt „beamten“, wo sie die Route weiternavigieren konnten.
„Diese Manipulation ermöglichte es uns, die zeitlichen und räumlichen Abstände zwischen Objektpaaren so zu variieren, dass die räumliche Distanz groß sein kann, die zeitliche aber sehr klein“, erklärt Bellmund.
Wie ausgeprägt die zeitliche Karte der Ereignisse im entorhinalen Cortex war, beeinflusste, wie die Teilnehmer am Experiment in einem späteren Gedächtnistest die Erinnerungen abriefen. Sie wurden gebeten, alle entlang der Route angetroffenen Objekte in der Reihenfolge, in der sie ihnen in den Sinn kamen, frei zu erinnern. Personen mit einer genauen zeitlichen Karte im entorhinalen Cortex riefen Ereignisse hintereinander ab, die in zeitlicher Nähe passiert sind. Sie zählten also die gefundenen Objekte hintereinander geordnet auf, so als würden sie die Route mental noch einmal ablaufen.
Was zu beweisen war
Zusammengenommen zeigen diese Befunde, dass der entorhinale Cortex die Zeitfolge von Ereignissen kartiert und dass diese zeitliche Karte beeinflusst, wie wir Erinnerungen aus dem Gedächtnis abrufen. Diese Erkenntnisse legen nahe, dass unser Gehirn unsere Erfahrungen zeitlich organisiert im Gedächtnis speichert.
Also eins nach dem anderen, sodass auch die Art unseres Erinnerns ein Bild von Zeit ergibt: Wir Erinnern unser Dasein als eine Abfolge von Ereignissen hintereinander. Die Zeit steckt in uns. Sie ist unsere Art, die Welt zu erinnern und vor allem, Dinge wiederzufinden, die uns mal so wichtig waren, dass wir sie im Langzeitgedächtnis „gespeichert“ haben.
Jetzt müsste man nur noch wissen, wann man sie suchen muss, dann weiß man auch wieder, in welche Kiste sie stecken.
Originalpublikation: Jacob LS Bellmund, Lorena Deuker, Christian F Doeller „Mapping sequence structure in the human lateral entorhinal cortex“ in eLife (2019): DOI 10.7554/eLife.45333
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