Das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig erforscht nicht nur, was so alles in den Knochen unserer Vorfahren steckt. Die Forscher schwärmen auch aus, um die letzten Inseln zu besuchen, wo Menschen noch im Einklang mit der Natur leben. So ganz ohne SUV und GPS. Mitten im Regenwald. Sie beherrschen noch Dinge, die uns europäischen Großstädtern völlig abgehen.
Wie finden Menschen im dichten Regenwald, wo die Sicht durch Vegetation stark eingeschränkt ist, Nahrung oder den Weg nach Hause, ohne Karte, Kompass oder Smartphone? Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig zeigen, dass die im Regenwald in der Republik Kongo lebenden Mbendjele BaYaka mit hoher Genauigkeit auf weit entfernte und nicht in Sichtweite liegende Ziele deuten können. Die Treffsicherheit war bei Männern und Frauen gleichermaßen gut; die Leistung der Kinder verbesserte sich, wenn die Sonne am Himmel deutlich sichtbar war.
Zu wissen, in welche Richtung man gehen muss, um eine Nahrungsquelle oder sein Zuhause zu erreichen, ist für viele Tierarten und auch den Menschen wichtig. Gerade für Jäger und Sammler, die täglich weite Strecken durch den Regenwald zurücklegen, ist eine gute Orientierung unentbehrlich. Haneul Jang und Kollegen vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie haben nun untersucht, wie sich die Mbendjele BaYaka in der Republik Kongo im dichten Regenwald orientieren. Zu diesem Zweck haben die Forscher mehr als 600 Tests an mehr als 60 verschiedenen Regenwaldstandorten (einschließlich des Camps) durchgeführt. Insgesamt nahmen 54 Mbendjele BaYaka Männer, Frauen und Kinder im Alter zwischen sechs und 76 Jahren an den Tests teil, in denen sie die Richtung zu einem nicht in Sichtweite liegendem Ziel per Zeigegeste weisen sollten.
Keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen
Der Test ergab, dass die Mbendjele BaYaka mit einer hohen Genauigkeit die Richtung hin zu entfernten und außer Sichtweite liegenden Zielorten weisen können. Dabei war die Zielgenauigkeit bei Frauen genauso gut wie bei Männern.
„Das überrascht nicht und könnte darin begründet sein, dass bei den Mbendjele BaYaka Männer und Frauen gleichgestellt sind. Mbendjele-Frauen entfernen sich, wenn sie auf Fischfang oder auf die Jagd gehen, genauso weit vom Camp in den Wald hinein wie die Männer“, sagt Jang, die Erstautorin der Studie.
„Unsere Ergebnisse stimmen mit früheren Studien überein, die hinsichtlich der Orientierungsfähigkeit in Jäger-Sammler-Gesellschaften, in denen sich beide Geschlechter im Rahmen ihrer Tagesaufgaben aktiv vom Wohnort wegbewegen, keine geschlechtsspezifischen Unterschiede feststellen konnten. Andere Studien zu Menschen aus verschiedenen Kulturen deuten zudem darauf hin, dass geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Orientierungsfähigkeit tatsächlich auf geschlechtsspezifische Mobilität zurückgeführt werden können.“
Und Karline Janmaat, die die Studie betreute, ergänzt: „In unserer Gesellschaft arbeiten Frauen teils häufiger zu Hause oder in der Nähe ihres Wohnorts als Männer. Bei den Mbendjele BaYaka hingegen entfernen sich beide Geschlechter genauso weit von ihrem Zuhause. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass die Frauen bei Orientierungsaufgaben genauso gut abschneiden. Die Ergebnisse unserer Studie zeigen auch, wie wichtig Erfahrung für unsere kognitive Entwicklung ist.“
Sechsjährige sind in Campnähe so zielsicher wie Erwachsene
Die Studie ergab außerdem, dass Mbendjele BaYaka-Kinder bereits im Alter von etwa sechs Jahren genauso zielsicher den Weg weisen können wie Erwachsene, sofern sie sich in der Nähe des Camps befinden. Darüber hinaus nimmt die Zeigegenauigkeit der Kinder vor allem in entfernteren und ihnen weniger bekannten Gebieten erheblich zu, wenn die Sonne am Himmel sichtbar ist. Erwachsene hingegen können auch an bewölkten Tagen präzise den Weg weisen.
„Im Gegensatz zu den Erwachsenen, die auch an weit entfernten Orten und bei stark bedecktem Himmel einen sehr guten Orientierungssinn haben, liegen die Kinder in ihnen weniger bekannten Gebieten, wenn sie die Sonne nicht sehen können, häufiger falsch. Sehen sie die Sonne aber, so verbessert sich ihre Leistung erheblich“, sagt Jang. „Die Mbendjele BaYaka leben im Flachland in Tieflandregenwäldern, wo dichte Vegetation und das Fehlen von Referenzpunkten, wie zum Beispiel einem Berggipfel, die Orientierung erschweren. In einer solchen Umgebung ist es von großem Nutzen, schon im Kindesalter zu erlernen, wie man den Stand der Sonne nutzen kann, um die Himmelsrichtung zu bestimmen.“
Den Autoren zufolge belegt die aktuelle Studie erstmals wissenschaftlich, dass Menschen die Sonne als Kompass nutzen.
„Wir wissen, dass Bienen die Sonne zum Navigieren nutzen. Überraschenderweise gab es aber bisher noch keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass auch Menschen diese Fähigkeit besitzen und Kinder sie bereits im Alter von sechs Jahren anwenden können“, sagt Janmaat. „Unsere Studie zeigt, dass es noch so viel zu entdecken gibt und dass dabei Eile geboten ist. Alle im Kongo von Jägern und Sammlern bewohnten Wälder wurden an ausländische Unternehmen verkauft, sodass diese Menschen perspektivisch nicht nur Lebensraum und Jagdgefilde, sondern auch ihre faszinierenden Navigationsfähigkeiten verlieren könnten.“
Hinweis der Redaktion in eigener Sache: Eine steigende Zahl von Artikeln auf unserer L-IZ.de ist leider nicht mehr für alle Leser frei verfügbar. Trotz der hohen Relevanz vieler unter dem Label „Freikäufer“ erscheinender Artikel, Interviews und Betrachtungen in unserem „Leserclub“ (also durch eine Paywall geschützt) können wir diese leider nicht allen online zugänglich machen.
Trotz aller Bemühungen seit nun 15 Jahren und seit 2015 verstärkt haben sich im Rahmen der „Freikäufer“-Kampagne der L-IZ.de nicht genügend Abonnenten gefunden, welche lokalen/regionalen Journalismus und somit auch diese aufwendig vor Ort und meist bei Privatpersonen, Angehörigen, Vereinen, Behörden und in Rechtstexten sowie Statistiken recherchierten Geschichten finanziell unterstützen.
Wir bitten demnach darum, uns weiterhin bei der Erreichung einer nicht-prekären Situation unserer Arbeit zu unterstützen. Und weitere Bekannte und Freunde anzusprechen, es ebenfalls zu tun. Denn eigentlich wollen wir keine „Paywall“, bemühen uns also im Interesse aller, diese zu vermeiden (wieder abzustellen). Auch für diejenigen, die sich einen Beitrag zu unserer Arbeit nicht leisten können und dennoch mehr als Fakenews und Nachrichten-Fastfood über Leipzig und Sachsen im Netz erhalten sollten.
Vielen Dank dafür und in der Hoffnung, dass unser Modell, bei Erreichen von 1.500 Abonnenten oder Abonnentenvereinigungen (ein Zugang/Login ist von mehreren Menschen nutzbar) zu 99 Euro jährlich (8,25 Euro im Monat) allen Lesern frei verfügbare Texte zu präsentieren, aufgehen wird. Von diesem Ziel trennen uns aktuell 500 Abonnenten.
Keine Kommentare bisher