Für FreikäuferLEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausg. 68Was plant die AfD eigentlich in der sächsischen Bildung, sollte sie nach der Landtagswahl in die entsprechenden Machtpositionen kommen? Maria Hallitzky, Professorin für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik des Sekundarbereichs, hat sich mit dem Regierungsprogramm der AfD für die Leipziger Zeitung beschäftigt.
Frau Prof. Hallitzky, wie beurteilen Sie die Bildungsvorstellungen der AfD für den Freistaat Sachsen?
Ich habe das Programm aufmerksam gelesen und habe mich schon in der Präambel gewundert. Dort wird eine ganze Reihe Menschen von Bildung explizit ausgeschlossen. In einem demokratischen Verständnis ist Bildung aber erstens für alle und gerade auch für die, die unserer Sprache nicht mächtig sind, und zweitens heißt Bildung, die Vielfalt unserer Gesellschaft zumindest zu akzeptieren, besser zu bejahen.
Die AfD lehnt die Abschaffung des traditionellen Familienbilds ab und kritisiert eine „Sexualpädagogik der Vielfalt.“
Die AfD hat offenbar ein Problem mit der Buntheit der sächsischen Gesellschaft. Ein Zurück zum traditionellen Familienbild würde bedeuten, Menschen, die eine andere sexuelle Orientierung haben oder andere Formen des Zusammenlebens vorziehen, von vornherein zu diskriminieren. Dass die Unterdrückung der eigenen sexuellen Orientierung mit psychischen Belastungen einhergeht, wissen wir längst. Selbst in unserer relativ offenen Gesellschaft ist es schwer genug, sich zu outen, wenn man nicht den Vorstellungen einer überwiegenden Mehrheit entspricht.
Gegen solche Ausgrenzungsmechanismen wendet sich eine „Sexualpädagogik der Vielfalt“. Die AfD scheint aber auch ein Problem mit dem Grundgesetz zu haben: Der schulische Bildungsauftrag setzt eine demokratische Vorstellung des Zusammenlebens auf der Basis des Grundgesetzes um, wonach Schülerinnen und Schüler eben gerade lernen sollen, allen Menschen vorurteilsfrei zu begegnen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihren religiösen und weltanschaulichen Ansichten und ihrer sexuellen Orientierung.
Des Weiteren fordert die AfD ein Kopftuchverbot an Schulen und Kindergarten….
Soweit sich das AfD-Programm auf die Kinder bezieht, versucht man dadurch ein Problem zu erfinden, was praktisch nicht existiert. In den Kindergärten und in den Grundschulen tragen die allerwenigsten Mädchen Kopftücher. Das beginnt viel später. Ansonsten halte ich das Kopftuch für ein Symbol eines bestimmten Glaubens. Ob man solche Symbole in den Schulen und Kindergärten erlaubt, müsste religionsübergreifend diskutiert werden.
Mich stören in dem Programm Begriffe wie Massenimmigration. Der Begriff der Masse verschleiert, dass es um Menschen geht. Es geht um einzelne Menschen, gerade auch in der Bildung. Diese Verantwortung einer Bildung für alle, die hier leben, gerät bei Forderungen wie „Einheimische sollen durch Migranten nicht beim Lernen behindert werden“ unter die Räder. Niemand wird im Lernen behindert, wenn man konsequent Programme zur Sprachförderung und Integration – auch zur Berufsbildung – umsetzt.
Darüber hinaus fordert die Partei, „schulpflichtige Kinder von Asylbewerbern auf das Leben nach der Rückkehr in ihr Herkunftsland vorzubereiten und die Zeit bis zur Rückkehr sinnvoll zu überbrücken.“ Die beste Überbrückung ist aber gerade Bildung. Besonders Kriegsflüchtlinge könnten mit den hier erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten in ihren Ländern nicht nur am Aufbau von Infrastruktur sondern auch an der Entwicklung von demokratischen Strukturen mitwirken. Sprachförderung und schulische und berufliche Bildung sind darüber hinaus die beste Prävention, um Konflikten und Gewalt vorzubeugen.
…und die Erhaltung des mehrgliedrigen Schulsystems.
Wir wissen spätestens seit PISA; dass alle Länder, die zu den Hochleistungsländern gehören, wie beispielsweise Japan, ihre Bildungseinrichtungen an Gesamtschulmodellen ausrichten und bis zur 8./9. Klasse gemeinsam lernen lassen. Das macht aus verschiedenen Gesichtspunkten Sinn: Zum Beispiel gibt es ein gewisses Anregungspotenzial, wenn die Klassen leistungsmäßig heterogen zusammengesetzt sind.
Dieses Anregungspotential fehlt den Kindern, die in sogenannten „Rest-Schulen“ verbleiben. Das Lernen in gemischten Gruppen fördert die Schwächeren und es ist mehrfach belegt, dass die Stärksten in den gemischten Gruppen nicht Schaden nehmen, wenn leistungsstärkere und leistungsschwächere in einem ausgewogenen Verhältnis zusammen lernen. Was man natürlich braucht, ist ein solides Differenzierungssystem mit spezifischen Angeboten für Kinder mit verschiedenem Kenntnisstand.
Die Separierung der Schüler nach Begabung ist also nicht im Sinne der erziehungswissenschaftlichen Forschung?
Die frühe Separierung von Schülerinnen und Schülern entspricht der Vorstellung eines alten, längst überholten statischen Begabungsbegriffs, wonach man mit einer bestimmten Begabung geboren wird und daran nichts mehr ändern kann. Begabung hat aber auch mit dem Angebot einer anregungsreichen Umgebung zu tun. Aus der Forschung wissen wir, dass die Klassenzusammensetzung – ob homogene oder heterogene Klassen, ob hochleistende Klassen – unterschiedliche Effekte haben.
Man geht davon aus, dass homogen schwächer zusammengesetzte Gruppen benachteiligt sind, weil einerseits das Anregungspotenzial durch die gleichaltrigen „Hochleister“ fehlt, aber auch die Lehrpläne und nicht zuletzt die Lehrkräfte an schwächer zusammengesetzte Gruppen eine eher geringere Erwartungshaltung haben, was wiederum auf die Leistungen zurück wirkt.
Die Aussage im Programm, dass effizientes Lehren und Lernen bei großen kognitiven Unterschieden nicht möglich sei, ist schlichtweg falsch. Andere Länder machen es uns ja vor und sind damit erfolgreicher als wir. Gemischte Gruppen bieten außerdem die Chance, Haltungen für ein verantwortungsbewusstes Miteinander zu erwerben.
Mit der Forderung, die Oberschulen zu stärken und den allgemeinen Run auf das Abitur zu beenden, bewegt sich die Partei in derselben Gedankenwelt wie die aktuelle Politik.
Oberschulen in der bestehenden Form zu stärken ist richtig. Man könnte diese Schulen beispielsweise durch zwei Lehrer pro Klasse oder ein Team von Lehrkräften und weiteren pädagogischen Kräften stärken. Gerade Kinder mit bestimmten Handicaps würden davon profitieren, aber auch die gesamten Klassen, deren Unterricht von Kindern mit sehr herausforderndem Verhalten in Mitleidenschaft gezogen wird. Davon steht im Programm aber nichts.
Die Forderung, die Dualität in der Berufsausbildung beizubehalten, halte ich nicht für verkehrt. Will man mehr Schulabgänger in nicht akademische Berufe holen, setzt man den Hebel aber besser woanders an: Nicht das Abitur reglementieren, sondern die entsprechenden Berufe attraktiver machen, einerseits hinsichtlich der finanziellen Entlohnung und vor allem in ihrer gesellschaftlichen Wertschätzung. Das gilt von der Müllabfuhr bis zu den Pflegeberufen. Wenn eine Arbeit nicht angemessen gewürdigt wird, muss man sich nicht wundern, wenn sie keiner machen will.
Was halten Sie von einer Abkehr von der „geschwätzigen Kompetenzorientierung“ hin zur „Vermittlung des Fachwissens“ als zentrale Aufgabe der Schule, wie es die Partei postuliert?
Kompetenzorientierter Unterricht heißt nicht, Fachwissen außen vor zu lassen, sondern Fachwissen anwendungsorientiert zu verarbeiten. Es gilt, träges Wissen zu vermeiden. Wer nur inhaltliche Informationen abspeichert, kann sein Wissen nicht in Alltagssituationen abrufen.
Kompetenzorientierung bedeutet nicht nur inhaltliches Wissen abzuprüfen, sondern genau das, was in dem Programm in Abrede gestellt wird, nämlich Urteilsvermögen in Verbindung mit Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu schulen. Bildung soll letztlich ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben ermöglichen.
Ich kann auch die undifferenzierte Kritik an der Digitalisierung nicht nachvollziehen. „E-Learning ist Geldverschwendung und verbessert nicht die Leistungen der Schüler“, heißt es in dem Dokument. Natürlich machen Tablets und Smartphones noch kein besseres Lernen, es geht darum, mit ihnen adäquat umzugehen und sie didaktisch so einzusetzen, dass Schülerinnen und Schüler mit diesen Tools effizient lernen können – genauso wie mit Büchern und Stiften.
Es geht dabei aber nicht nur um das Lernen mit digitalen Medien, sondern auch um Medienbildung. Schülerinnen und Schüler haben täglich mit Medien zu tun. Missbräuche wie Mobbing in Sozialen Medien sind auch an den sächsischen Schulen ein Thema. Hate speech und Fake News sind verbreitet.
Hier müssen Kinder frühzeitig erlernen, dass sie nicht alles machen sollen was sie machen können. Deshalb gehört es zu den schulischen Bildungsaufgaben, mit den Schülerinnen und Schülern Möglichkeiten, Chancen und Risiken von Medien als Lernmittel für Kommunikations- und Unterhaltungszwecke zu reflektieren und verantwortungsbewusst zu nutzen.
Werden Sachsens Schüler ideologisch beeinflusst, wie es die AfD im Programm anführt.
Ideologische Beeinflussung ist in Sachsen – ebenso wie in allen anderen Bundesländern – nicht akzeptiert. Es gilt das sogenannte Überwältigungsverbot. Man muss den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geben, sich verschiedentlich zu informieren. Die AfD will namentlich den Verein „Schule ohne Rassismus“ aus den Schulen haben.
Wofür ist das denn ein Plädoyer? Kann jemand wollen, das Rassismus in der Schule akzeptiert ist? Die Vielfalt in unserem Lande ist gesellschaftliche Wirklichkeit. Mit ihr offen und diskriminierungsfrei umzugehen ist Auftrag unserer Grundgesetzes, der besten Verfassung, die Deutschland je hatte. Wer diese Offenheit „Ideologie“ nennt, der hat das Grundgesetz nicht verstanden.
Was die AfD für die Bildung in Sachsen außerdem plant
Mut zur Leistung statt Akademisierungswahn: „Nicht eine geschwätzige Kompetenzorientierung“, sondern die Vermittlung des Fachwissens muss zentrale Aufgabe der Schule sein. „Die ständige Senkung des Leistungsniveaus zur Erhöhung der Abiturientenquote lehnen wir ab.“
Mehrgliedriges Schulsystem erhalten: „Die AfD befürwortet […] ein nach Begabungen differenziertes Schulsystem, das dem unterschiedlichen Leistungsvermögen der Schüler gerecht wird und wie bisher guten Schülern den Wechsel ermöglicht. „Schulen in freier Trägerschaft sind eine sinnvolle Ergänzung des staatlichen Bildungswesens.“ „Trotz des hohen Umstellungsaufwandes verschließen wir uns nicht einem längeren gemeinsamen Lernen bis zur Klasse 6.”
Berufliche Bildung und Oberschulen stärken: „Die beruflichen Schulen müssen als tragende Säulen der beruflichen Bildung und des lebenslangen Lernens gestärkt […] werden.“ „Die Oberschulen sollen durch Kooperationen mit Betrieben und den Industrie- und Handelskammern attraktiver werden.“ „Gewalt gegen Lehrer muss stärker geahndet werden.“
Keine ideologisch motivierte Inklusion: Förder- und Sonderschulen erhalten: „Die AfD wendet sich gegen den Versuch, auf dem Rücken der behinderten Kinder die Förder- und Sonderschulen abzuschaffen.“
Bildungsauftrag für Horteinrichtungen: „Neben dem freien und gemeinsamen Spiel gehören Hausaufgaben, Lernhilfen, Regeln und Aufgaben zur Hortbetreuung ebenso dazu wie Musik und Sport, Werte- und Kulturvermittlung, insbesondere zur Heimatregion.“
Bologna ist gescheitert: Diplom und Magister wieder einführen: „Die AfD will die bewährten Diplom- und Magisterstudiengänge wieder einführen. Die Modularisierung des Studiums und die Akkreditierungsbürokratie sollen abgeschafft werden. „Deutsch muss als Lehr- und Wissenschaftssprache erhalten bleiben.“
Autonomie der Hochschulen stärken: Freiheit von Forschung und Lehre bewahren: „Wir wollen eine höhere Grundfinanzierung der Hochschulen einführen, um deren Abhängigkeit von Drittmitteln zu verringern. „Der durch planwirtschaftliche Zielvorgaben zu Studentenzahlen, Studienerfolg und anderen Quoten erzeugte Zwang zur Nivellierung ist zu beenden.“
Kultus- und Wissenschaftsministerium zusammenlegen: „Wir fordern die Verschmelzung von Wissenschafts- und Kultusministerium zu einem Landesbildungsministerium. Dadurch können alle bildungspolitischen Entscheidungen von der frühkindlichen Bildung bis zur Hochschulbildung aufeinander abgestimmt werden.“
Mein rechter, rechter Platz ist leer: Was die geschrumpfte AfD-Landesliste für die Sachsenwahl bedeuten könnte
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