Ob ein paar Neandertaler-Gen-Sequenzen das Denken einiger Zeitgenossen beeinflussen, wissen die Forscher noch nicht. Sie versichern zwar, dass das wohl nicht der Fall ist. Aber sie sind erst ganz am Anfang dieser sehr speziellen Forschung. Denn einige Erbstücke in unseren Genen haben wohl Auswirkungen auf die Kopfform. Und die Kopfform, beeinflusst – „auf subtile Weise“ – unsere kognitiven Fähigkeiten. Leipziger Forscher wollen es jetzt wissen.
Dass sie sich seit Jahren intensiv mit der gemeinsamen Vorgeschichte von Menschen und Neandertalern beschäftigen, darüber haben wir ja schon mehrfach berichtet. Seit das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig arbeitet, hat es schon manche alten Vorstellungen der Menschheitsgeschichte infrage gestellt.
Mittlerweile wissen wir auch, dass ein Teil unseres Genoms vom Neandertaler stammt, der keineswegs so primitiv war, wie lange geglaubt wurde. Mittlerweile sind sich die Forscher ja auch ziemlich sicher, dass der Neandertaler-Mensch auch kreativ war und über durchaus beachtenswerte kulturelle Errungenschaften verfügte.
Und da es ganz sicher zu einigen gemeinsamen Sprösslingen kam, besitzen heute lebende Europäer zwischen 1 und 2 Prozent Neandertaler-Erbgut. Wobei aber eben noch nicht geklärt ist, was diese Sequenzen im Genom eigentlich alles bewirken.
Aber zwei Genom-Abschnitte deuten darauf hin, dass diese Sequenzen auch bei der Bildung unserer Kopfform eine Rolle spielen. Und die Frage liegt dann nahe: Beeinflusst das auch unsere kognitiven Fähigkeiten? Am 12. Dezember veröffentlichte das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie dazu eine kleine Meldung, die quasi den Beginn des Forschungsfeldes beschreibt.
Die Sache mit der Kopfform
Ein typisches Merkmal des modernen Menschen ist die ungewöhnlich runde Kopfform, die uns von länglichen Schädeln anderer Menschenarten unterscheidet. Ein Forscherteam am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen, Niederlande, und am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hat Daten von fossilen Schädeln, Gehirnscans und genetische Daten miteinander kombiniert und dabei Gene entdeckt, die Einfluss auf die runde Schädelform heutiger Menschen haben.
Die runde Schädelform des modernen Menschen ist einzigartig, und unterscheidet sich vom länglichen Schädel unseres nächsten ausgestorbenen Verwandten, des Neandertalers. Es wird vermutet, dass dieser auffällige Gestaltunterschied evolutionäre Veränderungen der menschlichen Gehirnorganisation widerspiegelt, möglicherweise sogar in der Art und Weise, in der unterschiedliche Gehirnbereiche miteinander verbunden sind. Da das Gehirn selbst nicht versteinert, waren die der rundlichen Gestalt zugrunde liegenden biologischen Prozesse bislang ungeklärt.
Der virtuelle Abdruck unseres Schädelinneren
Ein internationales Forscherteam unter Leitung des Paläoanthropologen Philipp Gunz vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und der Genetiker Simon Fisher und Amanda Tilot vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik hat eine neue Strategie zur Untersuchung dieser Frage entwickelt und die Analyse fossiler Schädel, Genomsequenzdaten und Gehirnscans miteinander kombiniert.
„Unser Ziel war es Gene und biologische Mechanismen zu finden, die mit der rundlichen Gehirngestalt zusammenhängen“, erklärt Amanda Tilot. Um die Suche einzugrenzen, nutzen die Forscher die Tatsache aus, dass sich verteilt über das Genom heute lebender Europäer noch Fragmente von Neandertaler DNA finden lassen – ein Resultat der Vermischung von Neandertalern mit den Vorfahren heute lebender Menschen außerhalb von Afrika vor mehr als 30.000 Jahren. Etwa ein bis zwei Prozent des Erbguts von Europäern stammen vom Neandertaler.
Mithilfe von computertomografischen Aufnahmen von Neandertalern und modernen Menschen haben die Forscher zuerst virtuelle Abdrücke des Schädelinneren erstellt. Sie haben die Gestalt des Gehirnschädels mittels hunderter Messpunkte erfasst und zwischen Neandertalern und modernen Menschen verglichen. Gemeinsam mit Kollegen der Radboud Universität in Nijmegen, der Universität Greifswald und der UC Irvine, ließ sich so mit der gleichen Methode die innere Schädelgestalt tausender lebender Menschen mittels MRT-Gehirnscans erfassen.
Obwohl sich die Gehirnformen und die Schädelformen aller modernen Menschen deutlich von denen der Neandertaler unterscheiden, haben die Wissenschaftler bei den Teilnehmern erhebliche Gestaltunterschiede entdeckt. Schließlich suchten die Forscher in den Gensequenzen von rund 4.500 Teilnehmern nach DNA-Fragmenten vom Neandertaler. Würde eines dieser Neandertaler DNA Fragmente die Gehirngestalt eines lebenden Menschen beeinflussen?
DNA-Fragmente beeinflussen die Gehirnentwicklung
Das Team fand Neandertaler-DNA auf den Chromosomen 1 und 18, die mit weniger rundlichen Gehirnen assoziiert sind. Diese Fragmente verändern die Aktivität zweier Gene, UBR4 und PHLPP1, die bei wichtigen Aspekten der Gehirnentwicklung eine Rolle spielen und an der Bildung von Nervenzellen sowie der Myelinscheide beteiligt sind. Die stärksten Hinweise für die Auswirkungen dieser Neandertaler-DNA auf die Genaktivität fanden die Forscher im zu den Basalganglien gehörenden Putamen und im Kleinhirn.
„Die Verbindungen zwischen evolutionären Veränderungen der Gehirngestalt und Mechanismen, die sich auf Basalganglien und Kleinhirn auswirken, ist faszinierend“, sagt Gunz. Beide Gehirnstrukturen erhalten direkte Signale aus dem Motorkortex und sind an der Vorbereitung, dem Lernen und der Koordination von Bewegungen beteiligt. Die Basalganglien tragen auch zu kognitiven Funktionen wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Planung, Erlernen von Fertigkeiten und möglicherweise zur Sprachentwicklung bei.
Keine Schlüsse auf geistige Fähigkeiten
Die Autoren betonen, dass jüngste archäologische Funde symbolische Verhaltensweisen bei Neandertalern dokumentiert haben, die zuvor ausschließlich dem modernen Menschen zugeschrieben wurden. Dazu zählen die geheimnisvollen Steinkreise, die tief in der französischen Bruniquel-Höhle aus Stalagmiten errichtet wurden, und die Neandertaler-Höhlenkunst auf der Iberischen Halbinsel.
Philipp Gunz betont daher: „Der Fokus unserer Studie liegt auf einem besseren Verständnis der ungewöhnlichen Gehirnform des modernen Menschen. Unsere Ergebnisse lassen keine Rückschlüsse auf die kognitiven Fähigkeiten der Neandertaler zu.“
„Die Auswirkungen dieser seltenen Neandertaler-DNA-Fragmente sind sehr subtil, aber aufgrund der großen Stichprobengröße nachweisbar“, erklärt Simon Fisher und fügt hinzu: „Dies ist nur der erste Blick auf die molekularen Grundlagen der Gehirngestalt. Wie andere Aspekte der Gehirnstruktur ist auch die rundliche Gehirngestalt ein Merkmal, das wahrscheinlich durch die kombinierten Wirkungen vieler verschiedener genetischer Varianten beeinflusst wird.“
Dem Forscherteam zufolge erzeugt diese Entdeckung Hypothesen, die mit neuen Experimenten getestet werden können, zum Beispiel unter Verwendung von menschlichem Nervengewebe, das im Labor gezüchtet werden kann. Gunz und Fisher vergrößern derzeit die Stichprobe durch Einbeziehung der britischen UK Biobank. Sie gehen davon aus, dass zukünftige genomweite Studien weitere Gene entdecken, die die Gehirngestalt beeinflussen.
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