Man kann es eigentlich so formulieren: Leipzig täte gut daran, die alten Waldbewirtschaftungspläne im Auenwald zu stoppen. Jetzt. Was man so ein Moratorium nennt. Denn mit Moratorien gewinnt man Zeit, ein Thema zu durchdenken und vor allem Fachkompetenz hinzuziehen. Das hat Leipzigs Abteilung Stadtforsten jetzt zwar getan. Aber gerade Leipziger Forschungsergebnisse zeigen, wie rudimentär die üblichen Erkenntnisse über Bodenbiotope sind. Die eigentliche Bodenforschung hat gerade erst begonnen.
So wie am Umweltforschungszentrum, das jetzt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ein besonderes Bodenforschungsprojekt mit sechs Millionen Euro gefördert bekommt: ein neues Schwerpunktprogramm zur Rhizosphärenforschung.
Die Rhizosphäre – was ist das?
Die Rhizosphäre ist der unmittelbar durch eine lebende Wurzel beeinflusste Raum im Boden. Sie ist Lebensraum für zahlreiche Organismen, darunter Pilze, Bakterien und Fadenwürmer. Pflanzenwurzeln geben verschiedene organische Verbindungen in das Erdreich ab. Diese Stoffe verändern pH-Werte, mobilisieren Nährstoffe und dienen der Bildung einer speziellen Mikroorganismengesellschaft aus Bakterien und Pilzen.
Im Verlauf der Pflanzenentwicklung dringen die Wurzeln in immer neue Bereiche des Bodens vor und erschließen sich so kontinuierlich Nährstoffe und Wasser. Ein besonderes Kennzeichen der Rhizosphäre sind die ausgeprägten Gradienten der chemischen, biologischen und physikalischen Parameter. Das heißt, auf kleinstem Raum sind extrem unterschiedliche Lebensbedingungen für die verschiedenen Organismen anzutreffen.
Und: Über die Rhizosphäre kommunizieren Pflanzen mit ihrer Umwelt. Oder wie es Wikipedia knapp beschreibt: „Dieser Bereich ist bodenökologisch von besonderem Interesse, da hier Boden, Pflanzen und Lebewesen (insbesondere Mikroorganismen der Mikrofauna) interagieren.“
Das trifft für Bäume im Wald mit ihrem gewaltigen Wurzelwerk genauso zu wie für Nutzpflanzen wie den Mais.
Mais ist ja auch deshalb interessant, weil er in diesem Dürresommer eine der Pflanzen war, die besonders unter dem Wassermangel litten. Die Rhizomsphären-Forschung ist also auch für eine andere, klimaangepasste Landwirtschaft wichtig.
Es geht um das Gesamtsystem Wurzel und Boden
Zentrales Anliegen des Schwerpunktprogramms ist die Betrachtung des Gesamtsystems von Wurzel und Boden. Insbesondere sollen die Wechselwirkungen zwischen Wurzeln, Mikroorganismen und Böden erforscht werden und wie sich daraus charakteristische Muster in der räumlich-zeitlichen Entwicklung von physikalischen, biologischen und chemischen Eigenschaften ergeben. Diese Muster bedingen zahlreiche Prozesse im Wurzel-Boden-System, etwa die Aufnahme von Wasser- und Nährstoffen, die Speicherung von Kohlenstoff und die Gesundheit von Pflanzen. Diese Muster sind jedoch bislang vielfach ungeklärt.
Um diese Lücken zu schließen, starten unter dem Schirm des Schwerpunktprogramms insgesamt 25 Forschungsprojekte in verschiedenen Disziplinen – von der Mikrobiologie und Pflanzengenetik über Bodenchemie und Bodenphysik bis hin zur Modellierung. 18 deutsche Forschungseinrichtungen sind am Konsortium beteiligt. Das UFZ selber bringt sich neben der Koordination des Gesamtprojektes mit seiner Expertise in der Bodensystemforschung, der Bodenökologie, der Analytik sowie mit ProVIS (Zentrum zur Visualisierung biochemischer Prozesse auf zellulärer Ebene) und der Feldversuchsstation Bad Lauchstädt in mehrere Teilprojekte ein.
„Auch wenn Rhizosphären-Prozesse auf sehr kleinen Skalen stattfinden, sind ihre Effekte für gleich zwei große globale Themen von essenzieller Bedeutung“, erläutert Prof. Doris Vetterlein, Agrarbiologin am UFZ und Koordinatorin des Programms. „In der Rhizosphäre findet nicht nur die Ressourcenaneignung der Pflanze statt, sondern auch der Kohlenstoffeintrag in den Boden. Damit ist unser Forschungsanliegen nicht nur für Fragen der Nahrungsmittelversorgung, sondern auch für die Bindung von Treibhausgasen hochrelevant.“
Mais als Versuchspflanze
Damit die Ergebnisse der Teilprojekte vergleichbar sind, nutzen die Forschenden standardisierte Versuchspflanzen- und bodentypen. Bei den Versuchspflanzen handelt es sich um zwei Maisgenotypen. Mais eignet sich aus zwei Gründen: Zum einen ist das Genom der Maispflanze vollständig sequenziert. Zum anderen existiert eine aus der Natur isolierte Mutante, die zwar Wurzelhaare ausbildet, diese aber nicht verlängert. Im Unterschied zum Wildtyp, der die Wurzelhaare normal ausbildet, lässt sich der Einfluss der räumlichen Parameter besonders gut untersuchen.
Als Bodenarten kommen ein sandiger Boden sowie ein tonhaltiger Boden zum Einsatz. In der UFZ-Feldversuchsstation in Bad Lauchstädt wird ein Versuchsfeld installiert, das alle Partner gemeinsam nutzen. Auf dem speziell präparierten Feld mit einer Fläche von 4.000 Quadratmetern wachsen die Versuchspflanzen in den beiden Bodentypen, abgeschirmt durch eine Wurzelsperre von anderen Gewächsen.
Hierfür werden 2.500 Tonnen Boden in 125 LKW-Ladungen bewegt. Daneben werden Säulenversuche durchgeführt. Mit ihnen untersuchen die Forscher die frühen Entwicklungsstadien der Pflanzen. Die Maispflanzen wachsen dazu in circa 25 Zentimeter hohen Zylindern mit einem Durchmesser von sieben Zentimetern. In diesem System können die Wurzeln, die ansonsten nicht zu sehen wären, während des Wachstums sichtbar gemacht werden.
3D-Bildgebung für den Blick in den Boden
Die wichtigsten Analysetechniken zur Untersuchung der räumlich-zeitlichen Komponente sind zwei- und dreidimensionale bildgebende Verfahren. Sie sollen aufklären, wo und wann die elementaren Prozesse in der Rhizosphäre stattfinden, wie zum Beispiel Nährstoff- und Ressourcentransporte, aber auch die Kommunikation zwischen Pflanze und Mikroorganismen.
Im Projekt kommen dazu verschiedene hochmoderne Verfahren zum Einsatz – je nach Skala des zu untersuchenden Parameters. Die Computer-Tomographie beispielsweise ist das Mittel der Wahl, um die natürlichen Wurzelstrukturen im Boden sichtbar zu machen. Mittels der Neutronenradiographie oder Magnet-Resonanztomographie lassen sich wiederum Wassertransportprozesse gut abbilden. Durch das selektive Markieren von Mikrobenstämmen mit Fluoreszenz-Farbstoffen können die Wissenschaftler die Rolle der Mikroorganismen in der Rhizosphäre gezielt untersuchen.
Begleiteffekt: Wissenstransfer und Qualifikation
Ein weiterer wichtiger Aspekt im Schwerpunktprogramm ist der interne Wissenstransfer. 23 Doktoranden nutzen das Projekt für ihre Promotion. Darüber hinaus sind über die dreijährige Laufzeit sechs Workshops geplant, die neben der Vernetzung der beteiligten Wissenschaftler die Weiterbildung und den wissenschaftlichen Austausch befördern sollen. In den Workshops, zu denen auch international renommierte Wissenschaftler eingeladen werden, wird es neben Vorlesungen auch Hands-on-Seminare geben, beispielsweise zum Aufbau der Experimente, zu bildgebenden Methoden, statistischen Verfahren oder zur Modellierung.
Schwerpunktprogramme (SPP) sind ein themenspezifisches Förderinstrument der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Sie sind in der Regel auf zwei mal drei Jahre angelegte Forschungsprogramme eines Konsortiums von deutschen Forschungseinrichtungen. Von ihnen sollen spürbare Impulse zur Weiterentwicklung der Wissenschaft durch die koordinierte, ortsverteilte Förderung wichtiger neuer Themen ausgehen. Zum jetzigen Zeitpunkt sind insgesamt 97 SPPs in der Förderung. Das letzte Schwerpunktprogramm der DFG zur Wurzelforschung fand im Jahr 1989 statt. Im September 2018 startet nun „Räumlich-zeitliche Organisation der Rhizosphäre – der Schlüssel zum Verständnis von Rhizosphärenfunktionen“ (SPP 2089).
Koordiniert wird es am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), 18 deutsche Forschungseinrichtungen sind mit 25 Projekten daran beteiligt. Ziel des interdisziplinären Konsortiums ist es aufzuklären, welche Bedeutung die Wechselwirkungen zwischen Wurzel und Boden für Wasser- und Stoffkreisläufe in der Umwelt haben. Die Wissenschaftler wollen belegen, dass die Rhizosphäre ein selbstorganisiertes System ist, das von sich aus Stabilität gegenüber Störungen entwickeln kann. Am 11. September treffen sich die Forschungspartner zum Projekt-Kick-off am UFZ in Leipzig.
Wie Stieleichen sich im Lauf ihres Lebens ein ganzes Arsenal an Resistenzgenen zulegen
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