2015 und 2017 wackelte um Leipzig die Erde. Nicht allzu schrecklich, aber spürbar. Für manche. Mit der Erdbebenstärke der Magnitude 3 lagen beide Erschütterungen an der Grenze dessen, was man im Leipziger Alltag wahrnehmen kann. Meist geht so etwas unter in der Alltagshektik. Aber die Erdbebenforscher aus der Region Mitteldeutschland waren alarmiert. Denn eigentlich galt der Leipziger Raum bislang als relativ erdbebenfrei. Aber was ist schon relativ?
Ein Team von Wissenschaftlern aus Potsdam, Leipzig, Halle und Hannover hat in einer aktuellen Studie nun die Ursache von ungewöhnlich tiefen Erdbeben in der Metropolregion Leipzig-Halle in den Jahren 2015 und 2017 untersucht und diese im „Journal of Seismology“ veröffentlicht. Dabei haben die Geophysiker der Universität Leipzig, des Landesamts für Geologie und Bergbau in Halle und Wissenschaftler der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe Hannover (BGR) unter Federführung des Deutschen GeoForschungsZentrums (GFZ) in Potsdam neue Methoden angewandt.
Diese ermöglichten es erstmals, Details der Bruchmechanik dieser schwachen Beben aufzulösen und in einen tektonischen Zusammenhang zu setzen. Daraus wird deutlich, dass großräumige, geologische Verwerfungssysteme zwischen Halle und Leipzig, welche die gesamte Erdkruste durchziehen und bisher als nicht aktiv eingestuft wurden, durch Erdbeben reaktiviert werden könnten.
Sollte sich diese These erhärten, dann wären auch Erdbeben, die zu Schäden in der Metropolregion führen könnten, möglich.
Auch wenn Leipzig im Grunde auf lauter Sedimenten steht und nicht gerade eine große kontinentale Bruchkante unter der Stadt verläuft (so wie im Rheinland), können auch die Gebirge tief unter Leipzig in Bewegung geraten.
Die Wissenschaftler untersuchen Szenarien für Schadensbeben und mahnen mehr Forschung zur besseren Vorbereitung auf solche Fälle an.
In den Jahren 2015 und 2017 gab es zwei Erdbeben – jeweils mit einer Magnitude von ungefähr 3. Sie waren zwischen Halle und Leipzig von der Bevölkerung in bis zu 50 Kilometer Entfernung zum Epizentrum spürbar, verursachten aber keine Schäden. Die zwei Erdbeben waren die bisher stärksten instrumentell aufgezeichneten Beben nördlich der Erdbebenzone zwischen dem Vogtland und Gera.
Eine kurze Übersicht über historisch nachgewiesene Erdbeben in der Region um Leipzig:
Instrumentell beobachtete, historische Erdbeben bei Leipzig traten am 17. August 1905 (Epizentralintensität V 1/2), am 27. Juni 1914 (Epizentralintensität VI 1/4) und am 20 Februar 1982 (Epizentralintensität V) auf. Das vermutlich stärkste regionale Beben der letzten 200 Jahren trat 1872 bei Schmölln in der Nähe von Gera südlich von Leipzig auf. Die Stärke dieses Ereignisses lag vermutlich etwas über einer Magnitude von 5.
Der Seismologie-Verbund Mitteldeutschland, der Zusammenschluss seismologisch tätiger Einrichtungen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, überwacht diese Region schon seit 1996 und hat seitdem immer wieder schwächere Erdbeben um Leipzig lokalisiert. Das Besondere an den Beben in den Jahren 2015 und 2017 ist, dass diese weithin spürbar waren und ungewöhnlich tief in der Unterkruste zwischen 22 und 29 Kilometern unter der Erdoberfläche ihren Ursprung hatten.
„Erdbeben in dieser Tiefe beunruhigen uns Seismologen, da sie Hinweise auf größere Verwerfungen geben und die Möglichkeit von stärkeren Erdbeben wahrscheinlicher machen“, sagt Sigward Funke, Leiter der Erdbebenüberwachung an der Universität Leipzig.
Aus solchen Gründen suchen die Seismologen der BGR seit einiger Zeit gezielt nach kleinen Tiefherdbeben in Mittel- und Norddeutschland. Was in der Region um Halle und Leipzig aber bisher völlig offenblieb war die Frage, auf welchen Verwerfungen diese stattfinden und wie diese im Raum orientiert sein könnten.
„Wir haben bei der Untersuchung der Bruchmechanik der Beben von Halle und Leipzig erstmals neue Verfahren eingesetzt, die wir am GeoFoschungsZentrum Potsdam speziell für die Auswertung schwacher Beben entwickelt haben“, sagt Prof. Torsten Dahm, Leiter der Sektion Erdbeben und Vulkanphysik am GFZ. „Dies hat gezeigt, dass beide Beben sehr wahrscheinlich auf derselben Bruchfläche nur wenige Kilometer voneinander entfernt aufgetreten sind.“
Die Forscher sehen daher durchaus die Möglichkeit, dass die Segmente der Bruchzone zwischen den bisherigen Ereignissen in Zukunft brechen könnten.
„Um zu sehen, was das bedeuten könnte, haben wir Szenarien solcher möglichen Erdbeben entwickelt, und die Wellenausbreitung sowie erwartete Bodenbewegungen für solche Ereignisse simuliert“, betont Dahm.
Die Ergebnisse ihrer Studie alarmieren das Team: Erdbeben wie das von Roermond im niederländisch-deutschen Grenzgebiet im Jahr 1992 (Magnitude 5,3) würden in der Leipziger Bucht zu ähnlich starken Bodenbewegungen und Schäden führen.
Sigward Funke sagt: „Auf solche Ereignisse sind wir nicht gut vorbereitet, und neben der Weiterführung der bisherigen Erdbebenbeobachtung wäre mehr geophysikalische Forschung wichtig, um mögliche Konsequenzen für die Region zu minimieren.“
Andererseits sind Erdbeben in der Region nichts Unbekanntes. Doch die meisten Schwarmbeben werden im Erzgebirge und im Vogtland registriert. Zuletzt wieder Mitte Mai. Am 14. Mai meldete das zuständige Landesamt: „Seit dem 10. Mai 2018 bebt im sächsischen Vogtland wieder spürbar die Erde. Wie das Sächsische Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) heute offiziell mitteilte, begann der noch anhaltende Erdbebenschwarm am Donnerstag um 9:15 Uhr (MESZ) mit einem Beben der Magnitude 2,0 auf der Richterskala. Das Herdgebiet lag in der Tschechischen Republik östlich von Luby.“
Wenn sich die Thesen der Forscher für den Leipziger Raum bestätigen, bedeutet das auf jeden Fall eine Änderung im Bauwesen, denn dann müssten die Gebäude auch für den Fall stärkerer Beben gesichert sein.
Originaltitel der Veröffentlichung im „Journal of Seismology“: „Seismicity in the block mountains between Halle and Leipzig, Central Germany: centroid moment tensors, ground motion simulation, and felt intensities of two M ≈ 3 earthquakes in 2015 and 2017“, DOI: 10.1007/s10950-018-9746-9
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