Das passt schon zusammen. Da macht ein Passus zu „kostenlosem ÖPNV“ in einem Brief der Bundesregierung an die EU-Kommission Furore, entfacht einen gewaltigen Streit. Und wenig später veröffentlicht das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) seine jährliche Befragung von (Ober-)Bürgermeisterinnen und (Ober-)Bürgermeistern großer deutscher Städte ab 50.000 Einwohner: Und Mobilität wird in ihren Augen immer wichtiger. Es ist jetzt Nr. 3 der Top-Aufgaben.

Gefragt wurde nach den aktuell wichtigsten Aufgaben in der eigenen Stadt, den aktuellen Herausforderungen für Kommunen insgesamt, nach Themen, die in den nächsten fünf Jahren für die Kommunen an Bedeutung gewinnen werden und nach Bereichen, in denen sich die Rahmenbedingungen für Kommunen ändern müssen.

Und an der Spitze steht – auch wenn es nicht mehr ganz so dringlich erscheint – das Thema Migration.

Oder mit den Worten des Difu: „Die im Zusammenhang mit der Zuwanderung stehenden Aufgaben beschäftigen die Stadtspitzen größerer deutscher Städte auch in diesem Jahr nach wie vor sehr stark und werden sie weiterhin beschäftigen. Dieses Befragungsergebnis zieht sich wie ein roter Faden durch alle Antworten des OB-Barometers, auch wenn das Thema seine deutliche Vorrangstellung im Vergleich zu Vorgängerumfragen verloren hat.“

Denn nach der großen Aufregung um die Zuwanderung im Jahr 2015 treten mittlerweile die elementaren Probleme der großen Städte in den Vordergrund.

Gerade in den großen Städten ist der Wohnraum knapp geworden: „Inzwischen ist es eine ebenso dringliche Aufgabe bezahlbaren Wohnraum zu schaffen – vor allem für Städte aus dem Norden und Süden Deutschlands sowie für Großstädte. Trotz insgesamt verbesserter öffentlicher Finanzlage bleiben außerdem für viele Städte Haushaltskonsolidierung sowie der Aus- und Umbau der Infrastruktur eine große Herausforderung. Deutliche Trendverschiebungen zeigen sich auch hin zu den Themen Verkehr und neue Mobilitätsformen sowie ‚Smart City‘. So gewinnen Mobilität und Digitalisierung aus Sicht der eigenen Stadt deutlich an Bedeutung. Die befragten Stadtspitzen nehmen diese Themen jetzt und auch künftig mit als größte Herausforderungen für deutsche Kommunen insgesamt wahr.“

Daher verwundere es auch nicht, dass die Städte sowohl für die aktuell brennenden Themen als auch mit Blick auf die zukünftigen Handlungsfelder Unterstützung durch EU, Bund und Länder fordern. Vorrangig gehe es ihnen darum, die kommunale Finanzlage zu verbessern und Hilfen zur Bewältigung der Integration von Flüchtlingen zu erlangen. Deutlich größerer Unterstützungsbedarf als noch in den Vorjahren wird außerdem bei der Verkehrspolitik, beim Aus- und Umbau der Infrastruktur, bei der Bildungspolitik und im Bereich Städtebau und Wohnen gesehen.

Und da schauen wir lieber etwas genauer ins Detail, denn so einhellig sind die Stimmungslagen nicht.

Denn auch diese Umfrage zeigt einen Riss zwischen Ost und West.

„Für die Befragten aus ostdeutschen Städten stellen Politikferne und -verdrossenheit sowie Fragen rund um Sicherheit und Resilienz drängendere Problemlagen dar als Mobilität und soziale Ungleichheit.“ Also all die psychologischen Themen, die die ostdeutschen Politiker so ins Rätseln bringen und die Stimmung in vielen Städten so vergiften.

Eine solche Befragung zeigt natürlich nicht, woher das kommt und mit welchen Rezepten man dem begegnen kann.

Aber ein Grund ist natürlich oft die finanzielle Handlungsunfähigkeit der betroffenen Kommunen. Was die Kommunen im Osten mittlerweile mit vielen Kommunen im Norden und Westen gemeinsam haben. Die kommunalen Rahmenbedingungen im Bereich Finanzpolitik müssten dringend verbessert werden. Ein Problem, das die meisten süddeutschen Städte aufgrund der starken Industrieansiedlung nicht haben. Für sie scheint deshalb eher das Thema Migration das Wichtigste.

Oder besser: Integration.

Das ist etwas völlig anderes. Denn wenn Menschen wirklich ankommen sollen in ihrer neuen Wahlgesellschaft, dann muss Integration auf allen Ebenen funktionieren.

Tut sie nicht. Ist leider so. Und die deutsche Bürokratie hat ihren Anteil daran. Auch weil sie Städte nicht als Integrationswelten begreift, sondern wie im Aschenbrödel-Märchen agiert und Menschen sortiert nach „berechtigt“ und „unberechtigt“, woraus dann schnell ein „illegal“ wird.

Kleines Trostzeichen: Union und SPD haben im Koalitionsvertrag zumindest vereinbart, endlich ein Zuwanderungsgesetz zu schaffen. Das beliebteste Land Europas hat bis heute kein Zuwanderungsgesetz.

Alles hängt mit den großen Städten zusammen. Integration ist übrigens auch auf die eigene Bevölkerung gerichtet – und ein sozial ausgewogener Wohnungsbau gehört genauso dazu wie eine barrierefreie und für alle nutzbare Mobilität. Wer genau hinschaut, sieht, dass das alles zusammengehört und dass Städte ganz schlechte Karten haben, wenn sie Integration nicht so komplex denken.

Deswegen verstört das seltsame Herumreiten auf „Sicherheit“ und „Politikferne“ in ostdeutschen Kommunen so. Aber dieses Gefühlsknäuel hat natürlich direkt damit zu tun, dass den (Ober-)Bürgermeistern finanziell die Hände gebunden sind. Sie können nicht in die Zukunft denken und investieren. Und daraus entsteht natürlich ein schleichender, kaum lokalisierbarer Frust, der sich seine Feindbilder sucht.

So gesehen haben ostdeutsche Politiker natürlich Recht, wenn sie jetzt auch einen Ostminister/eine Ostministerin im Kabinett Merkel fordern. Man kann den Osten nicht immer nur als Rumpelkammer benutzen. Man muss ihn wieder in Gang bringen und seine Netzknoten stärken. Ein riesiger Frachtflughafen ausgerechnet neben der wachsenden Stadt Leipzig sieht dabei eher wie eine dumme, weil einfallslose, Idee aus.

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