Eigentlich wissen wir es. Aber wir können es nicht wirklich berechnen. Oder vielmehr: Wir stehen erst am Anfang dieser Berechnungen, die so bitter nötig sind, weil die Leute, die unsere Umwelt zerstören, nur für eines empfänglich sind: Preise. Seit geraumer Weile diskutieren deshalb Umweltforscher, wie man die Leistung unserer natürlichen Umgebung in Preise übersetzen kann. Im aktuellen Newsletter des Umweltforschungszentrums rechnet Kerstin Viering vor, wie so was geht.

Sie kann dabei auf ein bundesweites Projekt verweisen, an dem sich auch das Leipziger Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UFZ) beteiligt. „Naturkapital“ heißt es logischerweise. Denn das Hauptproblem dabei ist ja, dass eine entfesselte und von Wachstum besessene Wirtschaft alles kapitalisiert und verwertet – auch unsere Natur: Meere, Wälder, Flüsse, Felder, Tiere … Und zwar ohne berechneten Gegenwert. Man tut einfach so, als habe das alles keinen Wert. Deswegen taucht es nirgendwo in den Bilanzen auf. Und unsere Gesellschaft stellt dafür auch keine Rechnung aus. Und selbst wenn es eigentlich Gesetze für solche Rechnungen gibt – wie etwa die Abgaben von Bergwerksbetreibern – dann neigen des Rechnens nicht wirklich begabte Politiker dazu, ihnen diese Abgaben zu erlassen. Der Wettbewerbsfähigkeit wegen.

Dass die Kosten dieses Raubbaus an unserer Umwelt dann trotzdem wieder bei uns aufschlagen – und zwar echte Kosten – das wissen eigentlich alle. Das beginnt bei den enormen Sanierungskosten für Tagebaue, geht weiter über die Kosten für neu gepflanzte Wälder oder die aufwendige Sanierung von Flüssen bis hin zu den Milliardenkosten im Gesundheitswesen. Denn viele Umweltbelastungen machen krank – etwa das Blei aus der Verbrennung bleihaltiger Kohle. Nur werden diese Kosten nicht beim Kraftwerksbetreiber fällig, sondern bei den Menschen, die von der Belastung in ihrer Umwelt krank werden.

Die große Rechnung, wie viele unserer Gesundheitskosten auf solche Umweltbelastungen zurückgehen, steht noch aus. Das beginnt bei Atemwegserkrankungen durch rußbelastete Luft, geht bei vielen Krebsarten weiter und hört bei der Belastung vieler Lebensmittel nicht auf.

Auf der Homepage des Bündnisses findet man viele Fallbeispiele, wie man den Wert von Natur im Einzelnen berechnen kann.

Den Gesamtwert kann eh keiner berechnen. Da müsste man – wie bei berühmten Gemälden alter Meister – dranschreiben: „Unbezahlbar“. Denn wenn diese Ökosysteme zusammenbrechen, dann verlieren wir ganz einfach unsere Lebensgrundlagen.

Die Berechnung einzelner, eingrenzbarer Verluste ist zumindest ein Weg, um auch einmal zu zeigen, dass der kleine Gewinn des Nutzers oft genug einen Berg gesellschaftlicher Kosten nach sich zieht, der deutlich höher ist als der magere Gewinn.

Kerstin Viering nimmt als Beispiel etwas, was auch Bauern schon einleuchtet: Den Preis für den Umbruch von Grünland. Grünland ist nicht einfach nur Wiese, sondern Lebensraum für tausende Tier- und Pflanzenarten – auch für die Insekten, die uns gerade verloren zu gehen drohen. Und der Umbruch klassischer Weiden und Wiesen hat seinen Anteil daran.

„Zum anderen wird Grünland oft umgepflügt und muss dem Anbau von Energiepflanzen wie Mais und Raps weichen, weil die Agrarflächen ihrerseits oft durch Siedlungen und Straßen verdrängt werden“, schreibt Viering. „Besonders stark ist der Schwund beim artenreichen Grünland, das für den Naturschutz sehr wertvoll ist. Dessen Fläche ist bundesweit zwischen 2009 und 2015 um fast neun Prozent geschrumpft. Doch wenn eine Wiese zum Acker wird, bringt das Ökosystem nicht mehr dieselben Leistungen wie zuvor. Ungünstig wirkt sich die Umwandlung zum Beispiel auf die Klimabilanz aus: Durch das Umpflügen laufen im Boden andere mikrobiologische und chemische Prozesse ab, die größere Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid freisetzen. Jede zusätzliche Tonne Kohlendioxid aber verursacht nach Berechnungen des Umweltbundesamts einen Schaden von 120 Euro.“

Das ist ein Preis. Wer bezahlt den?

Natürlich wir alle mit all den Kosten, die jetzt mit dem Klimawandel auf uns zukommen. Die Viering natürlich noch nicht eingepreist hat. Dafür lässt sich berechnen, welche Kosten die Düngung eines Hektars Acker erzeugt. Denn schon heute sind viele Äcker (auch in Sachsen) überdüngt, das Nitrat gerät ins Grundwasser und muss bei der Trinkwassergewinnung wieder aufwendig herausgefiltert werden. Das kostet. Schwieriger lässt sich berechnen, was der Verlust von Hase, Feldlerche, Biene und Schmetterling eigentlich kostet. Also an biologischer Vielfalt, die Ökosysteme erst stabilisiert.

Da stehen auch die Forscher erst ganz am Anfang und versuchen den Preis durch Bereitschaftsanalysen zu ermitteln: Was würden Menschen bezahlen, um eine intakte Landschaft zu erhalten?

Auch das kein ganz neues Thema – denn Bauern verkaufen sich ja gern als Landschaftspfleger und verweisen auf die Biotope, die sie erhalten. Was aber in der Summe nicht viel nützt, wenn sie an anderer Stelle der reinen Erntequantität wegen dennoch wichtige Ökosysteme zerstören.

Deswegen ist das, was Viering herausbekommt, auch erst einmal nur eine Annäherung: Dem möglichen Ernteertrag von 370 bis 600 Euro je Hektar stehen ökologische Verluste von 440 bis 3.000 Euro gegenüber.

Wie gesagt: Ohne einzuberechnen, was zum Beispiel der Verlust an Insekten in der gesamten Nahrungskette für Kosten (also Verluste) nach sich zieht.

Aber selbst der Wert von Grüninseln in der Stadt lässt sich so zumindest erst einmal ansatzweise errechnen. Zehn Jahre Forschung zur Kostenbilanz stehen jetzt zu Buche.

Logische Frage der Autorin: „Was also bleibt nach rund zehn Jahren Forschung zum Thema Ökonomie von Ökosystemen und Biodiversität außer einer Vielzahl von Publikationen?“

Irgendwie scheint diese Aufrechnerei doch ein paar Leute zum Nachdenken gebracht zu haben.

„In der Politik hat ein Umdenken stattgefunden“, zitiert sie Bernd Hansjürgens, den Leiter des Departments Ökonomie am UFZ. „Das Konzept der Ökosystemleistungen ist in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft voll angekommen.“

Nur ist es halt augenscheinlich nicht überall angekommen. Und wenn es um harte Entscheidungen geht, sitzen Forscher und Umweltverbände meistens draußen vor verschlossener Tür, während die emsige Agrar-Lobby die Gesetze mitschreibt und die Umweltminister am Nasenring durch die Manege führt. Siehe Glyphosat, um nur ein Beispiel zu nennen. Der kurzfristige kleine Gewinn erscheint noch immer größer als der langfristig viel höhere Verlust. Den ja nicht die Konzerne bezahlen, sondern alle betroffenen Menschen.

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