Wer sich seiner Vergangenheit nicht stellt, der landet in den Schleifen des Rassismus. Ein Thema, das seit August 2014 auch die USA wieder beschäftigt. Damals wurde der 18jährige Afroamerikaner Michael Brown von einem weißen Polizisten in der Kleinstadt Ferguson in Missourie erschossen. Viele weitere solcher Ereignisse haben gezeigt, dass die USA mit dem Schatten ihrer Vergangenheit bis heute nicht aufgeräumt haben. Hat es Deutschland besser gemacht? Einer will es wissen: der US-amerikanische Anwalt und Menschenrechtsaktivist Terron Ferguson.

Er ist derzeit im Rahmen eines Bundeskanzler-Stipendiums der Alexander-von-Humboldt-Stiftung zu Gast an der Universität Leipzig. Innerhalb der kommenden 15 Monate forscht er hier zu der Frage, wie und ob die Kultur der Erinnerung an rassistische Verbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus auch aktuell noch deutsche Meinungen über den modernen internationalen Terrorismus sowie die deutsche Flüchtlingskrise beeinflusst.

Dabei interessiert den Stipendiaten besonders, welche Rolle Medien und Kommunikation bei der Vergangenheitsaufarbeitung gespielt haben. Mit den gewonnenen Erkenntnissen möchte sich der 31-Jährige nach seiner Rückkehr mithilfe einer Medienkampagne für soziale Gerechtigkeit und gegen Rassismus in den USA einsetzen, teilt die Uni Leipzig mit.

Jährlich vergibt die Alexander-von-Humboldt-Stiftung bis zu zehn dieser renommierten Stipendien an junge Nachwuchsführungskräfte in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik aus Russland, China, Brasilien, Indien und den USA. Die Stipendiaten haben hierbei die Möglichkeit, ihre Forschungsprojekte selbst auszuwählen und profitieren dabei vom wissenschaftlichen Netzwerk ihrer Gastinstitution.

Als Anwalt vertritt Terron Ferguson in seiner Heimat in Montgomery, Alabama, ausschließlich schwarze und arme Menschen. Er engagiert sich für soziale und rassische Gerechtigkeit, humane Haftbedingungen und für die Abschaffung der Todesstrafe. Bevor er Jura studierte und Anwalt wurde, arbeitete er zwei Jahre als Grundschullehrer mit benachteiligten Kindern. Seinen Aufenthalt in Leipzig sieht er schon jetzt als bedeutsamen Wendepunkt in seinem Leben.

“Es ist das erste Mal, dass ich die Freiheit, die Zeit und die Möglichkeit haben werde, all die Fähigkeiten, die ich über die Jahre erlangt habe in einem einzigen Projekt zu bündeln”, erklärt der Humboldt-Stipendiat Ferguson.

Gastinstitution des Nachwuchswissenschaftlers mit Führungskraftpotenzial ist der Leipziger Lehrstuhl für Empirische Kommunikations- und Medienforschung. Hier untersucht er, inwiefern die Aufarbeitung rassistischer Verbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland sich noch heute auf Wirtschaft, Justiz, Politik, Kultur und Gesellschaft des Landes auswirkt. Als jemand, der immer wieder selbst Rassismus und Diskriminierung in den USA ausgesetzt war, möchte Ferguson in Leipzig herausarbeiten, wie Medien genutzt werden können, um den kollektiven Prozess der Abrechnung mit den schwierigen Teilen der Geschichte einer Nation zu unterstützen und die soziale Versöhnung und Gerechtigkeit in der Gegenwart zu fördern.

Dafür plant der Stipendiat unter anderem 120 Einzel- und Experteninterviews durchzuführen. Spannend ist für ihn vor allem die Frage, ob aus der Entnazifizierung Lehren gezogen werden können, die auf aktuelle Probleme mit Rassismus in den Vereinigten Staaten von Amerika übertragen werden können.

Prof. Dr. Anne Bartsch, die den Stipendiaten während seines Forschungsaufenthaltes betreuen wird, sieht sein Vorhaben als wertvolle Ergänzung zu ihren eigenen Forschungsaktivitäten: “Ich war von Anfang an beeindruckt von der scharfsinnigen Analyse und dem innovativen, zukunftsweisenden Charakter seines Projekts. Terron Ferguson sieht Gerechtigkeit als eine Kultur, die durch Kommunikationsprozesse etabliert, verstärkt und an die nächste Generation weitergegeben werden muss. Ich halte das für einen sehr fortschrittlichen, partizipativen Ansatz.”

Statt eines klassischen Forschungsberichts wird es am Ende seiner Untersuchungen eine multimediale Dokumentation der Ergebnisse geben. Ferguson möchte seine Ergebnisse nicht nur mit der Fachwelt teilen, sondern einem breiten Publikum zugänglich machen. So sollen beispielsweise die zentralen Erkenntnisse in einem Zeichentrickfilm zusammengefasst werden. Bereits während seines Aufenthaltes möchte er zudem einen wöchentlichen E-Mail-Newsletter herausgeben, der multimediale Notizen über seine Deutschlanderfahrungen enthalten wird sowie Forschungserkenntnisse und Anekdoten aus den Interviews.

“Es ist mir wichtig, dass meine Ergebnisse am Ende nicht irgendwo in der Schublade verschwinden, sondern, dass so viele Menschen wie möglich davon profitieren können”, sagt er.

Nach seiner Rückkehr in die USA plant er, eine öffentliche Aufklärungskampagne durchzuführen. Dafür hat er vor, durch die Vereinigten Staaten zu touren und Kleingruppengespräche mit verschiedensten Teilnehmern zur kollektiven Verantwortung der rassischen Vergangenheit der USA zu organisieren. Außerdem ist seine Vision, ein Netzwerk internationaler Vordenker aufzubauen, um dem Problem der rassistischen Ungerechtigkeit in den USA entgegenzuwirken und die Beziehungen der Menschen verschiedener Hautfarbe in den USA zu verbessern.

Auch über eine Firmengründung im Bereich von Bildungs-, Kunst- und Medienprodukten denkt der ambitionierte Stipendiat nach.

Im Rahmen seines Forschungsaufenthalts an der Universität Leipzig ist Terron Ferguson nicht nur an vielfältigen Forschungskontakten interessiert, sondern auch auf der Suche nach Studierenden, die im Rahmen eines Praktikums in seinem Projekt mitarbeiten möchten.

Nach Leipzig ist er in erster Linie aufgrund des ausgezeichneten Renommees von Prof. Dr. Bartsch gekommen. Doch auch die Stadt selbst hat es ihm angetan.

“Ich denke, dass ich eine großartige Zeit hier haben werde. Ich halte Leipzig für die zurzeit interessanteste Stadt Deutschlands und freue mich sehr darauf”, sagt der 31-Jährige. Er beschreibt drei Arten von Reaktionen, wenn er Menschen erzählt, dass er hier leben wird: die einen sagen, er werde sehr viel Spaß haben, tolle Menschen kennenlernen, viel Input bekommen und eine sehr lebendige Kulturszene erleben.

Andere warnen ihn zur Vorsicht, da die Zahl der AfD-Wähler in Sachsen bei der letzten Bundestagswahl sehr hoch war. Und wieder andere würden sich sehr interessiert daran zeigen, wie er die Stadt wahrnimmt und wollen unbedingt, dass er seine Eindrücke mit ihnen teilen wird, weil sie die Stadt selbst nicht kennen.

Das Bundeskanzler-Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung steht unter der Schirmherrschaft der Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland und zielt darauf ab, insbesondere jüngeren Amerikanern, Russen und Chinesen die Bedeutung freundschaftlicher, auf persönlichen Erfahrungen und Kontakten aufbauender Beziehungen zwischen den einzelnen Ländern und Deutschland stärker ins Bewusstsein zu rufen.

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