Für FreikäuferEigentlich sind wir Menschen zu vielem fähig. Eigentlich sogar geboren, denn wir sind allesamt fähig mit anderen Menschen zu kooperieren, selbst wenn die anders aussehen, andere Sprachen sprechen oder einer andere Kultur angehören. Wie wichtig Kooperation ist, um überall auf der Welt Freunde zu finden, das hat jetzt die Leipziger Forscherin Anne Pisor durch ein Experiment belegt.
Darüber berichtet das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Ja, das ist das, das sich auch um Neandertaler und Menschenaffen kümmert. Weil jeder, der genauer hinschaut, merkt, wie viel uns unsere Vorfahren eigentlich mitgegeben haben – genetisch und in den Verhaltensweisen. Wir lernen über das Studium unserer Verwandten jede Menge über uns selbst. Und mit den Studien über Menschen weltweit lernen wir auch etwas über eine Eigenschaft, die eigentlich ziemlich wertvoll ist und uns große gemeinschaftliche Unternehmungen ermöglicht.
Nur sind wir gerade dabei, das zu vergessen, weil die Menschenfeinde in Politik und Medien auf einmal (wieder) den Ton angeben. Diese jämmerlichen Egoisten, die nicht mal wissen, wie man mit anderen Menschen echte Freundschaften schließt. Aber selbst das scheint menschlich zu sein.
(Autsch: Das ist nur so ein abseitiger Gedanke. Aber kann es sein, dass das Auftrumpfen der Narzissten, Populisten und Rassisten etwas mit der zunehmenden Vereinsamung in einer egoistischen Gesellschaft zu tun haben? Mit der Zerstörung solidarischer Lösungsmodelle zugunsten egoistischer Raffmentalität? Nur so ein Gedanke. Könnte sein, darüber muss ich noch mal schreiben.)
Aber so ähnlich klingt es auch an, wenn das Leipziger Institut über die Forschungsarbeit von Anne Pisor berichtet:
„Obwohl die Schlagzeilen weltweit vor allem von Uneinigkeit und Konflikten beherrscht werden, schließen Menschen seit jeher Freundschaften über Gruppenzugehörigkeiten hinweg. Doch nach welchen Kriterien wählen sie Freunde aus, die einer anderen Gruppe angehören?“
Man hätte schon gestaunt, wenn sich Anne Pisor dafür eine Eingeborenenpopulation in der Sächsischen Schweiz ausgesucht hätte. Aber ihr Forschungsthema hat sie nach Lateinamerika verschlagen.
In Zusammenarbeit mit Gartenbauern aus Bolivien haben Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der University of California Santa Barbara herausgefunden, dass Menschen sehr ähnliche Kriterien anwenden wie bei der Auswahl von Freunden innerhalb der eigenen Gemeinschaft: In beiden Fällen zählen vor allem individuelle kooperative Eigenschaften. Nur wenn es darum geht, begrenzte Ressourcen aufzuteilen, beeinflussen Gruppeneigenschaften die Wahl.
Und dann wird die Erklärung zur Geschichte natürlich historisch. Denn all das, was Menschen seit 13.000 Jahren geschaffen haben, haben sie in Teamwork geschaffen.
„Menschen haben sich im Laufe der Geschichte und Vorgeschichte auf Freunde verlassen, die anderswo leben oder anderen ethnischen Gruppen angehören. Diese Freunde können den Zugang zu Ressourcen erleichtern, die vor Ort nicht verfügbar sind oder knapp werden. Auch wenn viele von uns heute einen Großteil von dem, was wir täglich brauchen, einkaufen können, sind Freunde, die anderswo leben, nach wie vor wichtig: Geändert hat sich nur, welche Ressourcen uns relevant erscheinen. Wenn wir einen neuen Freund aus einer anderen Gruppe auswählen, achten wir dann nicht nur auf seine Kooperationsbereitschaft, sondern auch darauf, ob seine Gruppe Zugang zu wichtigen Ressourcen hat?“
Und nun zu Anne Pisor vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Michael Gurven von der University of California Santa Barbara, USA, die anhand dreier Populationen von Gartenbauern in Bolivien untersucht haben, inwieweit sich individuelle Eigenschaften und Gruppeneigenschaften darauf auswirken, ob ein Fremder als potentieller Freund betrachtet wird.
Gartenbauern betätigen sich traditionell mit Brandrodung, Fischen und Jagen. In Bolivien aber kaufen und verkaufen Gartenbauern zunehmend Waren auf Märkten. Die drei untersuchten Populationen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Marktbeteiligung. Menschen, die sich an diesen Märkten beteiligen, begegnen häufiger Personen aus anderen ethnischen und religiösen Gruppen. Die Bedeutung, Freundschaften mit Mitgliedern dieser Gruppen zu knüpfen, kann sich entsprechend verändern.
Das Experiment
Anne Pisor führte ein Experiment durch, bei dem jeder Teilnehmer Geld erhielt, das dieser wiederum an Fremde aus derselben oder einer anderen ethnischen oder religiösen Gruppe weitergeben oder für sich behalten konnte. Jedem Teilnehmer wurden Bilder dieser Personen gezeigt und gesagt, dass das Geld diesen Personen im Namen des Teilnehmers überreicht würde. Pisor forderte die Teilnehmer außerdem auf, ihre Wahrnehmung der einzelnen Kandidaten in mehreren Bereichen zu beschreiben und die Vorteile, Kosten und Stereotypen zu benennen, die sie mit der Gruppe des Empfängers verbinden.
Den Forschern fiel auf, dass die Teilnehmer, unabhängig davon, ob die potentiellen neuen Freunde aus ihrer eigenen oder einer anderen Gruppe stammen, denjenigen bevorzugt Geld zukommen ließen, die sie für „gute Menschen“ hielten – was im bolivianischen Spanisch der Bedeutung „freundlich und offen“ entspricht.
„Das finde ich immer wieder in Bolivien: Einen guten Menschen zum Freund zu haben, ist ganz besonders wichtig“, sagt Pisor.
Dass die Teilnehmer im Experiment ihr Interesse an einer Freundschaft in Form von Geld zum Ausdruck bringen sollten, führte sie dann zu einigen informativen Einblicken.
„Unter den Kandidaten, die zur eigenen Gruppe gehörten, bevorzugten die Teilnehmer die wohlhabenderen, wollten mir das aber nicht sagen“, berichtet Pisor. „Sie gaben denjenigen mehr Geld, die von anderen als wohlhabend eingestuft worden waren, beschrieben sie mir gegenüber aber als nicht wohlhabend. Wahrscheinlich, um zu rechtfertigen, dass sie ihnen Geld gaben.“
Die Forscher fanden auch keine eindeutigen Hinweise darauf, dass die Teilnehmer bestimmte Gruppeneigenschaften bei Empfängern bevorzugen, die nicht der eigenen Gruppe angehörten; es sei denn, es ging um Geld: Obwohl stereotype Vorstellungen, die ein Teilnehmer von Angehörigen einer bestimmten Gruppe hatte, nicht beeinflusste, wie viel Geld er einem Empfänger aus dieser Gruppe gab, gaben Teilnehmer der Tsimane‘-Population Angehörigen anderer Gruppen generell weniger, wenn sie glaubten, dass diese einen stärkeren Marktzugang hatten als sie selbst. Die Tsimane‘ haben weniger Zugang zum Markt als die beiden anderen Populationen und werden auch regelmäßig von Mitgliedern anderer Gruppen diskriminiert.
„Angesichts einer langen Geschichte der Ausbeutung durch andere Populationen geben die Tsimane‘-Teilnehmer lieber anderen Tsimane‘ Geld, anstatt Mitglieder reicherer Fremdgruppen zu unterstützen, von denen sie vielleicht profitieren könnten“, sagt Gurven. „Das deckt sich mit anderen Studien, denen zufolge enge Gemeinschaften, die sich dem Markt öffnen, das Geld lieber innerhalb der Gemeinschaft halten.“
Die Einschätzung der Forscherin
„Obwohl unsere Ergebnisse sich speziell auf den bolivianischen Kontext beziehen, deuten sie auch generell darauf hin, dass wir bei der Wahl neuer Freunde ähnliche Kriterien anwenden, egal ob diese derselben oder einer anderen ethnischen oder religiösen Gruppe angehören“, sagt Pisor. „Individuelle Eigenschaften sind in diesem Zusammenhang wichtiger als Gruppeneigenschaften und Kooperationsbereitschaft ist besonders wichtig.“
Dass Gruppeneigenschaften nur dann von Bedeutung sind, wenn Mitglieder einer Gruppe sich selbst als weniger reich wahrnehmen als die Mitglieder einer anderen Gruppe oder wenn sie von diesen diskriminiert werden, deckt sich mit Forschungsergebnissen aus der Sozialpsychologie. Diese besagen, dass Gruppengrenzen nur dann überwunden werden können, wenn zwei Gruppen eine gemeinsame Basis finden.
„Das ist für uns der nächste Schritt“, sagt Anne Pisor. „Herauszufinden, wie gut Interaktionen mit Personen aus anderen Gruppen laufen müssen, um sich mit diesen anfreunden zu wollen.“
Was noch nicht erklärt, warum reichere Gesellschaften so egoistisch sind und so gern Mauern und Grenzzäune bauen und den ganzen Reibach lieber für sich behalten. Kooperativ ist das nicht. Aber das wissen vielleicht tatsächlich nur die Leute, die arm wie die Kirchenmäuse sind und wissen, wie wertvoll gute Freunde sind, die einem auch dann helfen, wenn es wirklich Knopf auf Zwirn geht.
Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie
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