Diese Konferenz wird erst nach der Bundestagswahl stattfinden, obwohl sie thematisch davor gehört. Denn sie thematisiert erstmals aus wissenschaftlicher Sicht, warum Deutschland und Europa politisch so in Schieflage geraten sind. Denn das Grundproblem ist das Auseinanderdriften der Regionen. Und die Verlierer dabei werden zur Schwungmasse der Nationalisten. Die Konferenz findet vom 27. bis 29. September in Leipzig statt.

Dass das was mit einer falschen Wirtschaftstheorie zu tun hat, ist zentrales Thema der Konferenz, in der sich die Wissenschaftler unter anderem damit beschäftigen, warum die vielgepriesene europäische Kohäsionspolitik tatsächlich ihr Gegenteil bewirkt und statt den Zusammenhalt der Regionen zu stärken dazu geführt hat, dass die alten Nationalismen gestärkt wurden und die Staaten in einem rücksichtslosen Ringen gegeneinander verstrickt sind und nicht nur die „Populisten“ wieder ihr eigenes nationales Ding machen wollen.

„In Europa hat sich der Gegensatz zwischen wirtschaftlich starken Metropolen und strukturschwachen ländlichen Räumen in den letzten Jahren weiter verschärft“, stellt denn auch das in Leipzig ansässige Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) fest. „Den Ursachen und Folgen sind internationale Wissenschaftler in den vergangenen drei Jahren in mehreren europäischen Regionen auf den Grund gegangen. Demnach haben vor allem die großen Städte und Metropolen von der auf Wettbewerbsfähigkeit ausgerichteten Politik der vergangenen Jahre profitiert. Die kleineren Städte und ländlichen Räume sind dagegen weiter ins Abseits geraten.“

Lösungswege aufzuzeigen war ein Ziel des vom Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) koordinierten Forschungsprojekts „Socio-economic and Political Responses to Regional Polarisation in Central und Eastern Europe“, kurz RegPol2. Die Ergebnisse werden dann auf der Konferenz „Coping with uneven development in Europe: socio-economic and political responses to regional polarisation“ vom 27. bis 29. September 2017 in Leipzig vorgestellt.

Die Wissenschaftler präsentieren auch konkrete Handlungsempfehlungen zur nachhaltigen Entwicklung ländlicher Räume in Ostdeutschland und weiteren Regionen Europas.

Natürlich werden wir versuchen, neugierig zu sein.

Aber dass das Dilemma ein falsches Denken ist, macht das IfL schon mit der Titelzeile „Neoliberale Politik verstärkt Stadt-Land-Gegensatz in Europa“ deutlich. Denn dass der Wettstreit zwischen starken und schwachen Regionen derart scharf entbrannt ist, hat mit dem neoliberalen „Wettbewerbsdenken“ zu tun. Das kennt nur „Sieger“. Alle politischen Strategien sind darauf angelegt, dass der Gewinner alles an sich zieht. Politik wird immer mehr zum Zuschauer. Wirtschaftlich starke Länder und Regionen diktieren den schwächeren ihre Bedingungen.

Öffentlich ausgetragen in der Griechenlandkrise, die bis heute nicht beendet ist, weil der große Aufpasser Deutschland keine wirkliche Lösung will – er will nur Geld. Nicht die gemeinsame Lösung mit den gebeutelten Griechen ist das Ziel, sondern das Geschäft der geldgebenden Banken. Seit der Finanzkrise ist deren Hegemonie über die europäischen (Geld-)Beziehungen noch stärker geworden.

Und auch über die Staatspolitik. Wenn die Bundesregierung die sogenannte „Schwarze Null“ zum obersten Staatsziel erklärt, dominiert Geldpolitik und Bankenrendite über Politik im Bürgersinn. Dann steht eine Lösung der tatsächlichen Probleme nicht mehr an erster Stelle. Deswegen wird das Rentenproblem nicht gelöst, wird die Armutsthematik gerade bei Familien und Alleinerziehenden nicht angegangen, gibt es keine Lösung für die Bildungsmisere, stecken deutsche Kommunen bis zum Hals in Schulden und fehlt das Geld für dringend überfällige Investitionen.

Das ist Neoliberalismus in Reinkultur.

Doch er hatte über 30 Jahre Zeit, nicht nur das Denken der Politiker zu okkupieren, er hat auch das Bild einer seltsamen Allianz erzeugt, ganz so als wären Demokratie und Neoliberalismus identisch. Als bedinge das eine zwangsläufig das andere.

Denn nichts anderes war mit Margaret Thatchers Satz „There is no alternative“ gemeint. Und nichts anderes steckt in Angela Merkels „alternativlos“, mit dem sie gerade in ihrer frühen Zeit eine Politik begründet hat, in der „die Wirtschaft“ das Primat über die Politik bekommen hat.

Was freilich auch nur (ganz im Wettbewerbsdenken) bedeutet, dass einige geldschwere Konzerne diese Wirtschaftsmacht haben und auch ausnutzen, indem sie allein ihre Interessen auf politischer Ebene durchdrücken.

Und zur Wahrheit gehört auch, dass für diese Konzerne alle Türen in die Regierung Merkel sperrangelweit offen standen und stehen – man denke nur an den Glyphosat-Skandal (Monsanto) oder den Dieselskandal (VW und Co.).

Dass dabei die Gestaltungsräume für Politik deutlich geschrumpft sind, wissen auch die Polen und Ungarn. Beides einstmals Musterschüler neoliberaler Reformen in den 1990er Jahren. Doch diese Reformen haben diese Länder zerrissen: Einige wenige Regionen haben profitiert – weite Teile dieser Länder aber verfielen in Stagnation. Und deswegen gärt es auch in Ostdeutschland und greifen Wähler zur härtesten (und dümmsten) aller Keulen: der Wahl einer rechtsradikalen Partei.

Man kann es als Hilflosigkeit interpretieren. Denn darin drückt sich eben nicht nur das Gefühl aus, dass die eigene Region abgehängt wurde und die eigenen Lebenschancen sich als Staub erwiesen. Da helfen auch keine hübsch sanierten Innenstädte.

In Frankreich gab es genau denselben Effekt: Die abgehängten „Verlierer“-Regionen wählten mehrheitlich den Spuk von rechts. Regelrecht abgestraft wurden die Sozialisten, die in ihrer Regierungszeit alles mögliche waren, nur nicht klug und gestaltungsfähig.

Denn gegen die radikale Wirkung neoliberalen Wirtschaftens hilft nur Wissen um die Fakten. Ein umfassendes Wissen, was die Radikalisierung des Wettbewerbs aller gegen alle (Staaten gegen Staaten, Regionen gegen Regionen, Großstädte gegen Großstädte, Stadt gegen Land …) bedeutet, denn genau darum geht es. Und deshalb kritisieren wir die immer neuen falschen Interpretationen dessen, was scheinbar in Sachsen und Ostdeutschland vor sich geht in all den Meldungen von Wirtschaftsinstituten. Wie zuletzt des HWWI, das seine Studie zu den Großstädten für die Berenberg Bank erstellt hat und sich irgendwie wunderte, dass ausgerechnet in Berlin, Dresden und Leipzig im Osten irgendwas abgeht, die drei Städte scheinbar schneller wachsen als die Konkurrenten im Westen.

In Wirklichkeit zeigen diese drei Großstädte, was passiert, wenn ein Wettbewerb vor allem einigen wenigen regionalen Kernen zugute kommt.

Man könnte es auch positiv interpretieren und entsprechend politisch gestalten. Aber auch das passiert nicht. Politik im Osten hat mit Gestalten derzeit nicht viel zu tun. Aber dieses Auseinanderdriften einiger weniger erfolgreicher Regionen und großer abgehängter Regionen findet auch im Westen statt. Und wird einfach ignoriert. Obwohl alle Zahlen auf dem Tisch liegen. Worum es auf der Konferenz auch gehen wird.

Die aktuell regierenden Politiker scheinen – so wird Ray Hudson zitiert – nicht in der Lage zu verstehen, was die tiefen wirtschaftlichen Probleme mit der ungleichen Entwicklung in der EU zu tun haben. Wo aber die Regierenden die fatalen Folgen ihres Tuns nicht sehen wollen und weiter auf neoliberale Rezepte setzen (mehr Markt, mehr Wettbewerb, mehr Freihandel, mehr „Liberalisierung“ und Deregulierung), da verschärfen sie die ökonomischen Widersprüche immer weiter und machen die Demokratie zum Angriffsziel von Leuten, die die Gunst der Stunde zu nutzen versuchen, ihre alten, brachialen nationalen Rezepte wieder als Allheilmittel anzupreisen.

Was übrigens auch der Grund dafür ist, dass ausgerechnet die linken Strömungen zwischen diesen beiden Entwicklungen zerrieben werden: Wenn sie keine plausiblen Vorschläge machen, wie diese zunehmenden Widersprüche zwischen „Siegern“ und Verlieren aufgelöst werden können, gewinnen die Nationalisten und Separatisten zunehmend Oberwasser.

Die radikale Wachstumsideologie bringt nicht nur unseren Planeten an seine Grenzen, sie zerstört auch den demokratischen Grundkonsens unserer Gesellschaft. Es ist eher erstaunlich, dass echte Gegenentwürfe im Wahlkampf eine so geringe Rolle spielen.

Die LEIPZIGER ZEITUNG ist da: Seit 15. September überall zu kaufen, wo es gute Zeitungen gibt

Ein Blitzlicht in einen drögen Wahlkampf, in dem alle ungelösten Probleme unter den Tisch gelächelt werden

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