Klimawandel ist kein groรes homogenes Phรคnomen. Jedes Land trifft es anders, jedes รkosystem erlebt einen anderen Stress. Tierarten, die zuvor nicht heimisch waren, finden neue Weidegrรผnde โ die bisherigen Lebensgemeinschaften aber verschwinden. Manchmal hilft (wie in Sachsen) der Mensch noch tรผchtig nach. Manchmal reicht โ wie am Baikal โ ein spรผrbarer Temperaturanstieg, um einen einmaligen See zu gefรคhrden.
Was ist am Baikal das Besondere? โ Aufgrund seines Artenreichtums und seiner einzigartigen Tierwelt gehรถrt der Baikalsee zum UNESCO Weltnaturerbe. Der Baikalsee ist vor 25 bis 30 Millionen Jahren entstanden. Er speichert etwa 20 Prozent des gesamten ungefrorenen Sรผรwassers der Erde. Mit rund 23.000 Kubikkilometern ist sein Wasservolumen sogar grรถรer als das der Ostsee. Der Baikal ist nicht nur der รคlteste und grรถรte, sondern mit รผber 1.500 Metern Tiefe auch der tiefste See der Erde โ und womรถglich auch einer der kรคltesten: Denn seine durchschnittliche Wassertemperatur liegt im Uferbereich bei nur etwa sechs Grad.
โDas Wasser ist kristallklar, hat nur einen geringen Salz- und Nรคhrstoffgehalt und ist extrem sauerstoffreich โ sogar bis auf den Grund des Seesโ, sagt Dr. Till Luckenbach, รkotoxikologe am Helmholtz-Zentrum fรผr Umweltforschung (UFZ). Diese besonderen Bedingungen des Baikalsees haben im Laufe der Evolution eine ganz besondere Fauna hervorgebracht. So sind etwa 80 Prozent der rund 2.600 im Baikalsee lebenden Tierarten endemisch, das heiรt: Sie kommen ausschlieรlich im Baikalsee vor und haben sich somit sehr gut an die extremen Bedingungen angepasst.
Und das machte die Sache fรผr Leipziger Wissenschaftler so spannend.
Denn an diesem einmaligen See kรถnnen die Wissenschaftler vom Umweltforschungszentrum im Rahmen der Helmholtz-Russland Forschungsgruppe LaBeglo erforschen, welchen Einfluss Klimawandel und Umweltgifte auf die Fauna des Baikalsees haben kรถnnen. In ihrer aktuellen Studie gingen sie gemeinsam mit Forschern des Helmholtz-Zentrums fรผr Polar- und Meeresforschung (AWI) und der Universitรคt Irkutsk der Frage nach, wie Baikal-Flohkrebse, die in dem See wichtige รถkologische Funktionen erfรผllen, auf Schadstoffe im Wasser reagieren.
Die ungewisse Frage nach der Zukunft
Ob die Fauna des Baikalsees auch in Zukunft so artenreich und besonders bleiben wird, ist nicht sicher. Denn der See liegt in einer Region, in der die globale Erwรคrmung besonders stark voranschreitet. In den vergangenen 50 Jahren ist die durchschnittliche Temperatur der Wasseroberflรคche des Baikals um fast 1,5 Grad Celsius gestiegen.
โUnd sie steigt weiterโ, warnt Luckenbach. โAuch die Zeit, in der der See im Winter mit Eis bedeckt ist, ist deutlich kรผrzer geworden. Eine Belastung mit Chemikalien ist ebenfalls nachweisbar. Vor dem Hintergrund, dass die Umweltbedingungen im Baikalsee รผber sehr lange Zeitrรคume stabil waren, sind diese Verรคnderungen bedenklich.โ
Im Zentrum der Forschung: ein Wasserfloh
Zwei im Uferbereich heimische Flohkrebsarten der Gattung Eulimnogammarus dienen den Forschern, die seit sechs Jahren am See aktiv sind, als Modellorganismen. Flohkrebse haben in Gewรคssern eine wichtige รถkologische Funktion: Sie vertilgen organisches Material, sorgen so fรผr die Reinhaltung des Wassers und dienen Fischen als Nahrung. Aufgrund dieser zentralen Rolle im Nahrungsnetz sind sie fรผr die รkotoxikologen wichtige Modellorganismen.
Untersuchungen zur Temperaturempfindlichkeit von Baikal-Flohkrebsen, die an der Universitรคt Irkutsk durchgefรผhrt wurden, zeigten, dass die eine Art (E. cyaneus) in der Lage ist, Wassertemperaturen bis zu etwa 20 Grad Celsius auszuhalten, wie sie im Sommer nahe des Ufers durchaus vorkommen kรถnnen. Die Forscher konnten nachweisen, dass E. cyaneus einen konstant hohen Pegel sogenannter Hitzeschock-Proteine ausbildet, die fรผr den Organismus wichtige Eiweiร-Molekรผle schรผtzen, die bei hohen Temperaturen sonst Schaden nehmen wรผrden.
Die andere Flohkrebsart E. verrucosus bildet weit weniger Hitzeschock-Proteine aus und wandert in tiefere, kรผhlere Regionen des Sees ab, um hohen Wassertemperaturen zu entgehen.
โSteigen mit dem Klimawandel die Wassertemperaturen, kann dies mit weitreichenden Folgen fรผr die jeweilige Art, aber auch fรผr das Gleichgewicht des รผber lange Zeit eingespielten รkosystems verbunden seinโ, erklรคrt Luckenbach. โFรผr E. cyaneus kann im Sommer bereits jetzt das Temperaturmaximum erreicht werden, das die Art รผber lรคngere Zeit aushalten kann โ ein weiterer Temperaturanstieg wรคre รคuรerst kritisch. Und wenn E. verrucosus mehr als bislang in tieferes Wasser abwandern muss, tritt die Art mit den dort lebenden Flohkrebsarten verstรคrkt in Konkurrenz um Nahrungsquellen.โ
Auch die Chemie bereitet zunehmend Probleme
In ihrer aktuellen im Fachmagazin Environmental Science and Technology verรถffentlichten Studie untersuchten die UFZ-Forscher in Kooperation mit dem AWI und der Universitรคt Irkutsk, wie die beiden Flohkrebsarten auf chemische Belastung des Wassers reagieren. Dabei wurden sie dem toxischen Schwermetall Cadmium ausgesetzt, das als Modell-Giftstoff diente. Denn bislang ist das Wasser des Baikals zwar noch weitgehend unbelastet, doch Cadmium ist ein Umweltschadstoff, der vergleichsweise hรคufig vorkommt und aufgrund seiner Toxizitรคt fรผr รkosysteme รคuรerst problematisch ist.
Eine zunehmende Belastung des Baikals mit Schwermetallen ist durchaus abzusehen. Der wasserreichste Baikal-Zufluss, die Selenga, ist zunehmend mit Minenabwรคssern aus der Mongolei belastet, und รผber die Luft gelangen Schadstoffe aus der Industrie-Region um Irkutsk in den See.
Im Labor zeigten die Flohkrebse dann bedenkliche Reaktion.
โDie kleinere Art E. cyaneus nahm den Schadstoff schneller auf und starb schon bei geringeren Schadstoffkonzentrationen im Wasserโ, erklรคrt Dr. Lena Jakob, รkophysiologin am AWI, die die Untersuchungen am Baikalsee durchfรผhrte. โDarรผber hinaus konnten wir feststellen, dass E. verrucosus bereits bei niedrigen Cadmium-Konzentrationen seinen Stoffwechsel herunterfรคhrt. Das ist ein Alarmzeichen, denn die Tiere fressen dann womรถglich nicht, pflanzen sich nicht fort und kรถnnten durch eingeschrรคnkte Aktivitรคt eher Opfer von Fraรfeinden werden. Eine auch nur geringe, aber konstante chemische Belastung des Lebensraums Baikalsee kรถnnte also massive Auswirkungen auf einzelne Arten und das gesamte รkosystem haben.โ
Auch das Genom der Wasserflรถhe wird untersucht
In einer weiteren Studie haben die UFZ-Forscher gemeinsam mit Bioinformatikern der Universitรคt Leipzig erste Einblicke in das Genom von E. verrucosus erhalten. Es ist รผberraschend groร, etwa dreimal so groร wie das menschliche Genom. Die Daten zum Genom sollen als Grundlage zur weiteren Erforschung der physiologischen Anpassungsstrategien an unterschiedliche Umweltbedingungen dienen.
Luckenbach: โWir mรถchten noch ein wenig mehr Licht ins Dunkel bringen, die physiologische Ebene noch besser verstehen und herausfinden, ob es noch weitere Mechanismen gibt, mit denen die Tiere in der Lage sind, den Auswirkungen des Klimawandels und dem Eintrag von Schadstoffen standzuhalten, denn letztlich geht es uns darum Vorhersagen treffen zu kรถnnen, wie sich das รkosystem zukรผnftig mรถglicherweise verรคndern wirdโ.
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