Eigentlich kommt man bei all dem Geschrei, das in Deutschland angestimmt wird, wenn es um Wölfe, Bären oder Luchse geht, gar nicht auf die Idee, Raubtiere für besonders gefährdet zu halten. Doch nicht durch menschliche Landschaften, gar Straßen! Aber selbst Menschen wissen, wie gefährlich Straßen sind. Und sie beschneiden die Lebensräume auch der kühnsten Raubtiere.

Was das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) jetzt zu der Einschätzung bringt: Die Auswirkungen von Straßen auf Raubtiere wurden beim weltweiten Artenschutz offenbar bisher unterschätzt.

Zu diesem Ergebnis kommt die erste umfassende globale Studie zu diesem Thema, die ein Forschungsteam aus Deutschland und Portugal jetzt im Fachblatt „Global Ecology and Biogeography“ veröffentlicht hat. Der Schutzstatus mehrerer Arten, die besonders von der Zerschneidung ihres Lebensraumes durch Straßen betroffen sind, sollte dringend überdacht werden, so die Wissenschaftler.

Welche Räuber sind bedroht?

Besonders bedroht ist der Iberische Luchs (Lynx pardinus), der nur in Spanien und Portugal vorkommt und von dem es Schätzungen zufolge nur noch wenige hundert Tiere gibt. Die Hochrechnung in der aktuellen Studie ergibt, dass die Art in 114 Jahren ausgestorben sein wird. Doch während der Iberische Luchs von der Weltnaturschutzunion als „stark gefährdet“ eingestuft wird, sind andere von Straßen betroffene Tierarten dies nicht. Zum Beispiel zwei Arten aus Japan: Der Japanische Dachs (Meles anakuma) und der Japanische Marder (Martes melampus) werden der Hochrechnung zufolge aufgrund der Bedrohung durch Straßen in neun bzw. 17 Jahren ausgestorben sein.

Jene fünf Prozent an Raubtierarten (17 Arten), die weltweit am stärksten von Straßen beeinflusst werden, gehören zu den Säugetierfamilien der Katzen, Bären, Marder, Hunde und Kleinbären. Bei den Bären sind vier Arten betroffen – die Hälfte aller existierenden Bärenarten. Überraschend für die Forscher war, dass auch der Steinmarder (Martes foina) unter die 17 am stärksten durch Straßen betroffenen Arten fällt. Diese Art ist zwar weit verbreitet und nicht als gefährdet eingestuft, wird aber oft durch Autos getötet. Eine andere Art in Deutschland, der Wolf (Canis lupus) gehört zu den obersten 25 Prozent der weltweit am stärksten von Straßen betroffenen Raubtieren (55 Arten).

Und dann kommen die Forscher auf einen Punkt, der klar macht, warum Straßen für Raubtiere so gefährlich sind: Der Wolf ist eines jener Tiere, die für ein langfristiges Überleben große Flächen benötigen, deren Lebensräume aber durch Straßen zerschnitten werden. Da haben dann Raubtiere gerade in Deutschland mit seinem engmaschigen Straßennetz logischerweise Probleme, denn diese engen ihr Revier ein oder durchschneiden es sogar. Es muss zwangsläufig zu Konflikten kommen.

Zerschnittene Lebensräume

Für ihre Studie erfassten die Wissenschaftler 232 Raubtierarten weltweit (von insgesamt ca. 270 existierenden Raubtierarten). Für diese bestimmten sie, wie stark sie von der Zerschneidung ihres Lebensraumes durch Straßen beeinflusst werden. Dafür berücksichtigten die Forscher zum Beispiel die natürliche Mortalitätsrate, die Anzahl der Nachkommen und das Wanderverhalten einer Art. Aus diesen Faktoren errechneten sie, welche Dichte an Straßen eine Art maximal ertragen kann. Außerdem ermittelten sie die minimale Fläche an unzerschnittenem Lebensraum, die eine Art braucht, um dauerhaft gesunde Populationen erhalten zu können. Diese Daten glichen sie mit dem weltweiten Straßennetz ab.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Nordamerika und Asien die Regionen mit den meisten Raubtierarten sind, die durch den Straßenverkehr negativ beeinflusst werden,  gefolgt von Südamerika und Europa“, erklärt Ana Ceia-Hasse vom iDiv, der Martin-Luther-Universität Halle (MLU) und dem Portugal Infrastructures Biodiversity Chair/CIBIO-InBIO. „Doch während wir erwartet hatten, dass die fleischfressenden Säugetiere besonders in Regionen mit hoher Straßendichte leiden, waren wir überrascht zu sehen, dass es auch in Regionen mit geringer Straßendichte Raubtiere gibt, die durch Straßen bedroht sind.“

So haben Straßen in Afrika deutliche Auswirkungen auf das Verbreitungsgebiet des Leoparden (Pathera pardus). Empfindliche Arten, die natürlicherweise regelmäßig weitere Distanzen zurücklegen, können nämlich schon durch vergleichsweise wenige Straßen behindert werden.

„Wir haben nicht einfach Straßen und Verbreitungsgebiete der Raubtiere übereinandergelegt, sondern haben auch die spezifischen Eigenschaften und Ansprüche der Arten in unseren Berechnungen berücksichtigt. So konnten wir auch Arten ermitteln, die bereits auf wenige Straßen sensibel reagieren“, so Ceia-Hasse. Aus Sicht der Wissenschaftler kann die Methode künftig für weitere Untersuchungen genutzt werden – so zum Beispiel für die Erarbeitung lokaler Schutzmaßnahmen, für Umweltbewertungen durch Behörden oder um die langfristigen Auswirkungen des Straßenbaus in Szenarien der Weltbank zum globalen Biodiversitätswandel einfließen zu lassen.

Der Bericht und die Schlussfolgerungen

Der erste globale Überblick über die Auswirkungen von Straßen auf Raubtiere liefert also wichtige neue Erkenntnisse für den Schutz so bekannter Arten wie den Puma (Puma concolor), den Amerikanischen Schwarzbären (Ursus americanus) oder den Braunbären (Ursus arctos). Der Studie zufolge gehören sie zu jenen Arten, deren Überleben langfristig am stärksten vom Verkehr bedroht wird, für die diese Gefahr aber bisher nicht in voller Tragweite erkannt wurde. Unter jenen fünf Prozent an Raubtierarten (17 Arten), die weltweit am stärksten von Straßen beeinflusst werden, sind aktuell neun von der Weltnaturschutzunion (International Union for Conservation of Nature, IUCN) als „nicht gefährdet“ eingestuft.

„Unsere Ergebnisse zeigen die Notwendigkeit, den Schutzstatus dieser 17 Arten zu aktualisieren, da deren Bedrohung durch Straßen bisher unterschätzt wurde“, betont Prof. Henrique Pereira vom iDiv).

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