Ihr großes Weihnachtsgeschenk bekamen die Forscher des Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften schon am 14. Dezember. Da konnten sie den Hirnscanner Connectom in Betrieb nehmen. Ein Gerät, mit dem sie das menschliche Gehirn beobachten können wie die Astronomen das Weltall mit dem Hubble-Teleskop. Der Scanner ist einer von drei seiner Art weltweit.

Wie sieht eigentlich das menschliche Gehirn aus? Was den Verlauf und die Verknüpfung seiner Nervenfasern anbelangt, ist unser Bild von ihm noch immer sehr grob. Auch über den Zusammenhang zwischen der exakten Anatomie des Gehirns und seinen einzelnen Funktionen, die funktionelle Struktur, wissen wir bisher nur wenig.

Das Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig will nun gezielt in diese unbekannten Tiefen des Gehirns vordringen und setzt seit dem 14. Dezember dazu vor allem auf einen: den Connectom – einen der drei besten Hirnscanner weltweit, wenn es um die innere Verdrahtung des Gehirns geht, und dem einzigen seiner Art auf dem europäischen Festland. Nicht umsonst wurde er kürzlich von einem der führenden Neurowissenschaftler, Prof. Derek Jones von der Universität Cardiff, als das „Hubble Teleskop der Neurowissenschaft“ bezeichnet.

Dank seiner einzigartigen Gradientenstärke soll er den Leipziger Gehirnforschern vor allem Auskunft über die weitestgehend unbekannte innere Verdrahtung des lebenden menschlichen Gehirns geben, den entscheidenden Strukturen, um den Transport von Informationen innerhalb unseres Denkorgans zu verstehen.

Obwohl er von außen wie ein herkömmlicher MRT-Scanner erscheint, trägt er eine Technologie in sich, die es in sich hat: Sie wird, seinem Namen alle Ehre machend, präzise Auskunft über die Verknüpfungen im Gehirn geben können. Wie verlaufen die Faserverbindungen in den Tiefen unseres Gehirns genau, wo kreuzen sie sich, wo ändern sie ihre Richtung? Wo gelangen sie wieder an die Oberfläche und treten in die Großhirnrinde, den Cortex, ein? Welche Hirnareale stehen miteinander in engem Datenaustausch?

„Durch ihn werden wir erfahren, wie die Nervenfaserbündel im Gehirn verlaufen, die als Datenautobahnen die einzelnen Hirnareale miteinander verbinden“, so Prof. Nikolaus Weiskopf, Direktor am MPI CBS und wissenschaftlicher Leiter des Connectoms. „Sie sind so das eigentlich Entscheidende, um den Informationstransport im Gehirn zu verstehen.“

Wie arbeitet das Gerät?

Sein Geheimnis liegt in seinem besonders großen Magnetfeldgradienten. Mit 300 Millitesla pro Meter ist dieser bei ihm beinahe vierfach höher als bei den derzeit besten Serien-Tomographen. Auf dem Prinzip der sogenannten diffusionsgewichteten Magnetresonanztomographie aufbauend kann er so sehr viel präziser die Diffusion der Wassermoleküle im Gehirn erfassen und darüber Rückschlüsse auf die Faserverbindungen ziehen. Dabei macht er sich zunutze, dass Zellmembranen oder andere Hindernisse die Bewegungen der Wasserteilchen beeinflussen, so dass diese sich entlang von Nervenfasern rascher bewegen als quer zu ihnen. Aus Diffusionsmessungen entlang verschiedener Richtungen lässt sich so der Verlauf, die Form und die Größe der Nervenfasern rekonstruieren – ohne dass die Neurowissenschaftler dazu die nur wenige Mikrometer großen Axone direkt sehen können.

„Was den präzisen Verlauf der Nervenfasern anbelangt, ist der Connectom der absolute Champion, ein Meilenstein der Hirnforschung und modernen Medizintechnik“, so Prof. Harald Möller, technischer Leiter dieses Hirnscanners.

Die Leistung des Connectoms liegt jedoch nicht nur darin, die Faserverbindungen unseres Denkorgans zu entschlüsseln. Vielmehr wird er uns mit seiner gegenüber Standard-Scannern bis zu zehnfach höheren Auflösung den Blick in bisher unerforschte anatomische Mikrostrukturen am lebenden menschlichen Gehirn freimachen.

„Wir wollen auf eine Ebene von rund 0,6 Millimeter gelangen“, so Weiskopf über die von SIEMENS Healthcare entwickelte Anlage. „Damit können wir endlich einen deutlich genaueren Einblick in den nur rund drei Millimeter dünnen Cortex bekommen, der für unsere höheren kognitiven Fähigkeiten so entscheidend ist. Vielleicht erreichen wir sogar eine Größenskala, auf der sich zwischenmenschliche Unterschiede erklären lassen.“

Warum ist ein Mensch ängstlicher als ein anderer? Warum kann sich einer Dinge besser merken, als ein anderer? Warum lernt der eine Fremdsprachen in Windeseile, während der andere sich eher schwertut? Das sind Fragen, die sich mit dem Connectom womöglich in einigen Jahren aus den Mikrostrukturen ablesen lassen.

Und nicht nur die: Auch bisher ungelöste Rätsel zur Anpassungsfähigkeit des Gehirns, der Hirnplastizität, könnten damit gezielt untersucht werden. Was verändert sich beispielsweise in der Mikrostruktur des Gehirns, wenn eine Person nach einem Schlaganfall bestimmte Bewegungen wiedererlernt? „Was man hier nicht vergessen darf: Jeder, um einige hundert Mikrometer größere Zoom in diese Strukturen bedeutet eine bisher nie dagewesene physikalisch-technologische Meisterleistung“, fügt der Neurophysiker hinzu.

Connectom ist nicht allein

Nicht nur der Connectom allein wird in den kommenden Jahren bahnbrechende Aufnahmen des Gehirns liefern. Auch die anderen Tomographen am Leipziger MPI CBS werden ganz neue Möglichkeiten bieten, die Vorzüge jedes einzelnen miteinander zu kombinieren.

„Jeder der Hirnscanner kann andere Strukturen und Aspekte sichtbar machen. Unser Ziel ist es daher, die Aufnahmen der einzelnen Scanner zu einem biophysikalischen Gesamtmodell des Gehirns zusammenzufügen“, erklärt Weiskopf. „Eine dünner werdende Myelinschicht der Nervenzellen und eine ansteigende Eisenkonzentration etwa sind frühe Anzeichen von Alterungsprozessen. Ersteres kann mithilfe des Connectoms, letzteres durch unseren Magnetom 7T und seiner sieben Tesla magnetischen Feldstärke erkannt werden.“

Diese einmalige Kombination der Technologien bietet den Wissenschaftlern am MPI CBS damit nicht nur die Möglichkeit, die Anfangsstadien neurodegenerativer Krankheiten besser zu verstehen. Vielmehr eröffnet sie ihnen ein vollkommen neues Fenster in die Grundlagenforschung der Neurowissenschaft.

„Ich bin überzeugt davon, dass sich dadurch unser Verständnis des Gehirns um Dimensionen vertiefen wird und wir vermutlich bisherige Annahmen wieder über Bord werfen werden. Insbesondere in Bezug auf die bislang weitgehend unbekannten Faserverbindungen, die sich in den letzten Jahren als die unterschätzten, eigentlich entscheidenden Hirnstrukturen herauskristallisiert haben“, so Prof. Angela D. Friederici, Vizepräsidentin der Max-Planck-Gesellschaft und ebenfalls Direktorin am MPI CBS in Leipzig als einem der europaweit führenden Standorte der Neurowissenschaft. „Wir sehen uns dabei ganz im Sinne unseres Leitprinzips – ‚dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehen‘.“

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